14. Kapitel

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Es war bereits elf Uhr, als ich endlich wach wurde, in meine Kleidung schlüpfte und ins Wohnzimmer ging. Constanze lag auf dem Sofa, den Mund halb offen, eine Decke überdeckte die Kleidung von gestern Abend. Unruhig sah ich mich um. Sollte Mary sie nicht vielleicht wecken? Schließlich hatten wir bereits elf. Ich schlich durch die Wohnung auf der Suche nach ihr. Erst sah ich in ihrem Zimmer nach, dann lugte ich in Constanzes Zimmer und schlussendlich klopfte ich auch ans Badezimmer, das ich allerdings verlassen vorfand. Nirgendswo war eine Spur von ihr.

Unschlüssig sah ich auf Constanze hinunter, raffte mich dann zusammen -schließlich würde sie mich nicht umbringen, wenn ich sie wecken würde- und tippte sie leicht an die Schulter.

"Constanze?"

"Mhm... was?", fragte sie schlaftrunken, öffnete kurz die Augen und schloss sie dann wieder.

"Wir haben elf Uhr."

"Quatsch...", murmelte sie und klang ärgerlich. "Mary hätte mich geweckt."

"Mary... ist nicht da", sagte ich so freundlich wie möglich und sie öffnete wieder die Augen. Starrte mich kurz an, setzte sich auf und zog die Decke um ihre Schultern.

"Sie ist also wirklich weg", stellte sie fest und Bedauern schwang in ihrer Stimme mit.

"Bestimmt ist sie nur einkaufen."

"Ich", sagte Constanze und stand auf. "Denke nicht."

Mit diesen Worten ließ sie die Decke auf das Sofa fallen, kehrte mir den Rücken zu und verschwand in ihr Zimmer. Ich starrte ihr nach, beziehungsweise starrte ich die Tür an, denn diese hatte Constanze demonstrativ zugedonnert. Was war gestern Abend passiert? Waren wir gestern nicht in Hochstimmung gewesen? Und wieso war Mary weg?

Ich seufzte. Vincent hatte mich vor Ewigkeiten gewarnt: Mädchen. Einfach schwer zu verstehen.

Dann setzte ich mich an den Küchentisch, zog eine Schüssel zu mir und schenkte mir Milch ein. Schnell war das Keksglas neben mir geöffnet und ich tunkte die Kekse in die Milch, während ich die Post durchging. Eigentlich sollte ich das gar nicht tun, fiel mir ein, als ich einen Brief betrachtete, auf dem fettgedruckt: "PRIVAT" stand. Aber es war nun mal verdammt lange her, seit ich das letzte Mal die Post durchgesehen hatte. Das war im Waisenhaus gewesen, denn da ich auf dem Dachboden versteckt wohnte, bekam ich natürlich auch keine Post. Das wäre auch absolut seltsam gewesen. Eine Adresse wie:

An den Meisterdieb Laurent

Dachboden über der Bäckerei (erst die Regenrinne hinaufklettern)

Paris, Frankreich

Lächerlich, die Vorstellung- aber amüsant. Erst als die Geräusche in Constanzes Zimmer verstummt waren, merkte ich wie einsam die Wohnung ohne Mary war. Mary, die ich grade erst kennengelernt hatte, und über die ich noch so viel mehr erfahren wollte.

Verträumt sah ich im Zimmer herum und mein Blick blieb an der Standuhr hängen. Die filigranen, goldenen Zeiger sahen aus wie Federn, oder Nadeln, die aufwendig verziert worden waren und das Zifferblatt war geschmückt mit lauter kleinen Bildern, die hinter den Stunden versteckt waren. Der Zeiger bewegte sich lautlos auf die Zwölf zu, hinter der ein kleiner... Drache aus schwarzem Turmalin lauerte und es gongte. Der Klang hallte in meinen Ohren nach. Ach ja, zwölf Uhr, was für eine schöne... Warte, was? Zwölf Uhr?!

"Constanze!", rief ich aufgeregt. "Wir haben zwölf Uhr! Constanze?! Constanzeee!"

Ich schmiss mich förmlich gegen ihre Zimmertür und hämmerte dagegen.

Laurent der MeisterdiebWo Geschichten leben. Entdecke jetzt