Wer noch nie in einer psychiatrischen Klinik war, kennt wahrscheinlich nur die Hollywood-Darstellung davon oder hat irgendwelche Bilder im Kopf wie Leute sabbernd dahängen, in Zwangsjacken gefüttert werden müssen oder wie die Mitpatienten einen mit Verschwörungstheorien zulabbern.
Ich war bis jetzt 4 Mal in einer Psychiatrie. 3 Mal davon stationär, wobei ich jeweils zuerst in der geschlossenen Abteilung war und nach 1-2 Wochen auf die offene Station verlegt wurde. Und ein Mal war ich in einer Tagesklinik.
Ich bin jedem genannten Stereotyp ein Mal begegnet. Ein Mal in zu jedem Stereotyp genau eine Person. Der Rest meiner Mitpatienten war jeder erdenkliche Mensch aus unserem Alltag. Familienväter, Ärztinnen, Schulrektoren, alleinerziehende Mütter, der Installateur von nebenan und hey, vielleicht auch noch die liebe Oma von der Sonntagskirche dazu. Ich übertreibe nicht. Den Leuten, denen ich dort begegnet bin, hätte ich in jeder Alltagssituation begegnen können und hätte nichts gemerkt. Fun fact: ich kannte zwei meiner ehemaligen Mitpatienten sogar vor meinem Aufenthalt dort und ich hätte es nie erwartet diesen Personen ausgerechnet dort wiederzubegegnen.
Auch der Alltag hat wenig damit zu tun, was man aus Filmen kennt. Das wird großteils auch daran liegen, dass die psychiatrischen Kliniken hier sehr anders sind, als in Amerika. Gewisse Regelungen und auch Gesetze variieren aber von Bundesland zu Bundesland und teils von Klinik zu Klinik. Also hier mal wieder nur meine Erfahrungen.
Geschlossene Abteilung
Das klingt immer so, als ob man ein besonders schwerer Fall wäre. Das einzige Kriterium ist jedoch, dass man akkut selbst- oder fremdgefährdend ist. Bei Suizidalität und Einweisung mit dem Amtsarzt führt meistens kein Weg drum herum.
Meine Erinnerungen an diesen Teil meiner Aufenthalte ist leider etwas verwaschen, weil man mich tatsächlich erst ein Mal medikamentös beruhigt hat, damit ich eben wieder "klarer" sehe. Ich war bei der Einweisung selten ganz friedlich, was das natürlich nicht besser gemacht hat.
Die Regeln dort sind streng, aber nötig.
So sind keinerlei Rasierer erlaubt. Sogar wenn ich meinen Bleistift spitzen wollte, musste ich mich bei den Pflegern melden und nur unter Aufsicht.
Jegliche Gürtel, Schals, Halsketten und sogar Bänder in Pullis und in Schuhen werden konfisziert (bekommt man natürlich beim Verlassen der Klinik oder einem Stationswechsel wieder).
In manchen Stationen sind die Duschen nur zu gewissen Uhrzeiten offen und alle müssen sich beeilen und teils voreinander Duschen. In anderen Stationen muss man um einen Schlüssel für die Dusche fragen. Die persönlichen Kästen mit Kleidung und ähnlichen sind versperrt und die Zimmer überwacht.
All das zum eignen Schutz. Wie gesagt, die Regeln sind teils wirklich nötig - ich kann mich vage daran erinnern, dass ich tatsächlich versucht habe mit einer dünnen Haarklammer (die kleinen, schwarzen, die man immer verliert) das Fenster zu entsperren, damit ich abhauen kann... Und für die Geschlossene halte ich mich für normal. Wenn man dort hinkommt, ist man in den Moment oft emotional irgendwo.
Es gibt strenge Essenszeiten, und das Essen wird gemeinsam eingenommen, bei manchen Patienten sogar kontrolliert (Magersucht u.ä.). Davor oder danach findet die Tabletten Ausgabe statt. Auch diese muss man direkt vor den Pflegern einnehmen (damit sie genommen werden und man nicht bunkern kann oder sie von Mitpatienten geklaut werden können).
Dazwischen gibt es Visiten und Gespräche mit den Ärzten, zur Kontrolle oder Diagnose. Wenn man die ersten Tage überstanden hat, darf man auch zu ersten Therapien mit. ZB Sport oder Ergotherapie. Dann gibt es noch Besuchszeiten, aber die meiste Zeit soll man sich mit sich selbst befassen und sich einfach mal beruhigen.
Schlafen untertags ist übrigens ungern gesehen. Und wenn man zu sehr Radau schlägt oder drauf und dran ist, sich zu verletzen kann es tatsächlich passieren, dass man ans Bett gefesselt wird (ja, ist mir tatsächlich passiert - Fensteraktion *räusper*).Offene Abteilung
Auf die Geschlossene drauf ist das wie eine Oase. Die Essenszeiten, die Tabletten-Ausgabe und Visiten bleiben, allerdings hat man jetzt seinen eigenen Schrank mit Tresor, darf wieder anziehen, was man will und sich auch wieder rasieren - und den eigene Spitzer haben. Meistens gibt es pro Zimmer eine Dusche (also nur mit den Zimmerkollegen teilen und alleine duschen).
Vormittags bis manchmal in den frühen Nachmittag hat man einen Thérapieplan mit Sporteinheiten, Gruppen- und Einzeltherapien, kognitivem Training und Basteln (Ergotherapie). Dabei können individuell noch Dinge hinzukommen, wie Diagnose-Gespräche oder Untersuchungen wie MRT, EKG u.ä.
Nachmittags sind Besuchszeiten, wobei wir alleine oder in Begleitung aufs Gelände spazieren und dort auch in ein Café gehen durften. Allerdings aus versicherungstechnischen Gründen nur auf dem Gelände.
Alkohol ist jedoch strikt untersagt. Wer ein Mal damit erwischt wird oder in der Vergangenheit ein Problem damit hatte, wird täglichen Atemtests unterzogen bzw kann alkoholisiert sein dazu führen, dass man aus der Klinik fliegt.
Oben nicht erwähnt: es gibt auch strenge Regeln bezüglich elektronischer Geräte. Laptops und ähnliches waren bei mir zB komplett untersagt. Das Handy durfte ich auf der offenen zwar haben, aber zu viel dran zu sitzen, konnte zu Konsequenzen führen. Aber das ist wieder von Klinik zu Klinik sehr unterschiedlich.Tagesklinik
Das ist meist eine Zwischenstation "in die Außenwelt" oder um weniger akkute Fälle aufzufangen. Ich musste etwas auf meinen Platz dort warten, aber es war es wert.
Hier kommt man am Morgen zu gegebener Zeit in die Klinik und darf nachmittags und über Nacht nach Hause.
Der Tag dort ist mit einem Stundenplanartigen Therapieplan strukturiert. Es gibt ein breites Spektrum an Therapien - Ergotherapie, Sporttherapie, Gruppen- und Einzelsessions usw. Wir hatten auch Kochgruppen, Gartentherapie, basteln und vieles mehr. Meiner Meinung nach waren die Therapien dort auch um einiges enger und intensiver strukturiert, was wahrscheinlich daran liegt, dass die Patienten dort etwas belastungsfähiger sind.
Dort gibt es aber auch verstärkt Sozialarbeiter, die sich mit den Leuten bezüglich Wiedereinstieg in die Arbeitswelt zusammensetzen, über Finanzielles beraten (wer lange im Krankenstand ist, kann auch da in Schwierigkeiten kommen) und sich auch um Therapiemöglichkeiten außerhalb der Klinik kümmern.
Alkoholverbot und dergleichen bleibt aber.Aufenthaltsdauer
Bis auf meinen Aufenthalt in der Tagesklinik war keiner meiner Aufenthalte geplant - das vorweg - und auch hier haben oft Kliniken und Bundesländer individuelle Regelungen.
Bei mir war es stationär meist 1-2 Wochen geschlossene und dann noch mal 3-4 Wochen offene Station. Das bedeutet unter 6 Wochen bin ich selten raus. Dort wo ich herkomme, ist es aber zB so, dass sie einen maximal 5 Wochen "festhalten" können, wenn man nicht akkut selbst- oder fremdgefährdend ist. In anderen Bundesländern sind zB 6 Wochen Minimum Pflicht.
Geplante Aufenthalte sind oftmals die berühmten 8 Wochen und auf diese Plätze muss man oftmals länger warten.
Bei meinen Tagesklinik Aufenthalt habe ich zB 3 Wochen auf einen Platz warten müssen (was sehr wenig ist). Dafür war ich dann aber 3½ Monate (!) dort.
Man sieht: es variiert stark.WICHTIG: Solange man sich selbst einweist (zB bei dem Gefühl, wenn ich jetzt nichts mach, tu ich mir was an), kann man jederzeit wieder gehen. Nur wenn man zwangseingewiesen wurde, entscheiden Ärzte und gesetzliche Fristen.
Je "zurechnungsfähiger" man jedoch wird, desto eher finden auch Gespräche mit Empfehlungen statt (und man bleibt ev länger als die gesetzliche Frist, weil man selber befindet man braucht es noch, oder man kann früher gehen).
Wenn man sich jedoch bei allen Therapien querstellt, bekommt man leicht die "Maximalzeit", weil die Ärzte dann schnell der Meinung sind, "jo, mit dem kann man nicht reden, ergo nicht ganz zurechnungsfähig, ergo Entlassung wäre gefährlich." Das sei nur gesagt, falls man sich selber mal in der Situation befinden sollte (ich wünsche es niemanden).
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Let's talk - Du bist nicht allein!
De TodoDieses Buch soll ein sicherer Hafen für all jene sein, die sich alleine, nicht verstanden und vielleicht auch abgeschottet oder ausgestoßen fühlen. Ich werde hier über meine persönlichen Geschichte mit psychischen Problemen, Mobbing und ähnlichem be...