2. Kapitel

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"Hope. Hope!", eine gedämpfte Stimme drang an Hopes Ohren.
Sie versuchte ihre Augen zu öffnen, doch es kostete sie verdammt viel Kraft.
Ihre Glieder fühlten sich ungewohnt schwer an.
War es normal so viel Energie allein zum öffnen der Augen aufzubringen?
"Hope, Liebes", sprach die Stimme weiter, die für sie immer noch so klang, als hätte sie Watte in den Ohren.
Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte öffnete Hope nun ihre Augen.
Ihre Großmutter hatte sich über sie gebeugt und ihr eine Hand auf die Stirn gelegt: "Oh Liebes. Du bist wohl schon wieder Schlaf gewandelt. Ich dachte es wäre vorbei damit."
Verwirrt sah sich das Mädchen um. Sie lag im Kaminzimmer auf dem Sofa. Die Lichtgestalt war verschwunden und das Fenster war verriegelt.
Hatte sie all dies nur geträumt?
Ihre Großmutter musterte sie skeptisch:  "Vielleicht solltest du heute lieber Zuhause bleiben? Du siehst echt nicht gut aus." "Was? Nein! Ich schreib heute Mathe und Morgen Physik. Ich kann nicht krank machen!"
Ihre Großmutter nickte verstehend und erhob sich: "Dann sollten wir jetzt mal Frühstücken gehen." Mit diesen Worten verließ sie das Kaminzimmer.
Hope blieb alleine und verwirrt in dem Zimmer zurück.
Hatte sie das alles nur geträumt?
"Okay... erstmal kein Abendtraining mehr!"

Immer noch müde knallte sie ihren Rucksack in ihr Schließfach und nahm sich ihre Bücher für die nächste Stunde. "Und wie liefs?", eine Stimme hinter ihr ließ sie zusammenschrecken. Collin, ihr bester Freund stand direkt hinter ihr und grinste sie breit an. Ihr verwirrter Blick war wohl Antwort genug. Collin lächelte: "Na du weißt schon, die Mathearbeit. Wie du aussiehst wohl nicht so gut..." Hope seufzte: "Die habe ich vermutlich richtig versemmelt. Jane wird mir sicher das Volleyball spielen verbieten, wenn ich nicht Morgen die Physikarbeit bestehe." "Was ist nur los mit dir, Hoppy? Du bist doch bist doch sonst immer die beste."
Sie schenkte ihrem Freund ein müdes Lächeln, doch seine Besorgniss schien dies nicht zu mildern.
Gemeinsam mit Collin machte sie sich auf den Weg in die Mensa.
"Guck, da sitzen Chealsey und Lauren. Komm, wir setzen uns zu ihnen", ohne auf eine Antwort zu warten, griff ihr bester Freund sie am Arm und zog sie mit sich.
Eigentlich wollte sie im Moment nur alleine sein, doch sie schwieg.

Stumm saß sie neben ihren Freunden, die sich fröhlich unterhielten. Doch Hope hörte nur halbherzig zu. Sie hatte gerade nur eine Sache im Kopf.
Verlor sie hier gerade den Verstand?
Wieder sah sie zu ihren Händen.
Und wenn nicht, was war das für ein Licht, welches sie in der Gasse selbst erzeugt hatte? Konnte sie das wieder tun?
"Was sagst du dazu Hope?", Chealseys Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Wie ertappt zuckte sie zusammen und sah zu ihren Freunden. Verlegen kratzte sie sich am Hinterkopf: "Ähm... tut mir leid, aber ich hab nicht zugehört."
Wieder lagen besorgte Blicke auf ihr, doch niemand sprach sie darauf an.
"Wir haben nur über den Sporttest nächste Woche geredet. Aber da brauchst du die ja wenig Gedanken zu machen", feixte Lauren.
Hope nickte leicht und versuchte sich den Rest der Pause über auf durch Gespräche ihrer Freunde zu konzentrieren. Was ihr auch einigermaßen gelang.

Der Rest des Schultages zog sich wie ein Kaugummi. Umso glücklicher war Hope, als sie aus der Bahn stieg und sich auf den Weg nach Hause machte.
Die Gasse von Gestern mied sie dabei allerdings, auch wenn das einen riesen Umweg bedeutete.
Wie gerne würde sie gleich ihrer Großmutter alles erzählen, doch die Angst als verrückt abgestempelt zu werden war zu groß.
Und so schwieg sie, als sie ihr Haus betrat.
Ihre Großmutter wartete bereits mit dem Essen in der Küche. Sie war erstaunlich gut gelaunt. Summend tanzte sie durch die Küche. "Grany? Geht es dir gut?"
Angesprochene drehte sich zu ihr um und grinste sie an: "Ich werde für den Rest der Woche zu meinem Bruder fahren. Du bist ja mittlerweile groß genug und zu Not wohnt ja Miss Black direkt nebenan." Hope blieb wie versteinert stehen. "Wie? D-du w-willst mich 3 Tage allein lassen?"
Jane lächelte sanft und trat an ihre Enkelin heran: "Liebes, du bist alt genug. Ich vertraue dir!" Da war sie wohl die einzige, denn Hope vertraute sich im Moment ja selbst nicht mal mehr. Aber sie wollte ihrer Großmutter ihre Freude nicht nehmen, also zwang sie sich zu lächeln: "Und wann geht's los?" "Ich wollte jetzt los", ihre Großmutter zeigte auf die gepackten Koffer, die neben der Küchenzeile standen.
Was war denn nur in ihre Grany gefahren. Ein so kopfloser Aufbruch war sonst nicht ihre Art. "Gibt es einen Grund für euer Treffen?" Jane nickte: "Oh ja. Er will zurück nach London ziehen und ich soll ihm bein Umzug helfen."
So euphorisch hatte sie ihre Großmutter ja lange nicht gesehen. Das letzte Mal war als sie den Fernseher bekommen hatte.
Hope kicherte: "Na dann seh zu, dass du den Zug bekommst!" "Ja, ja das mach ich! Pass auf dich auf mein Engel." Jane legte eine Hand unter das Kinn ihrer Enkelin und sah sie liebevoll an, dann gab sie ihr ein Kuss auf die Stirn. "Pass auf dich auf Liebes." Mit diesen Worten griff sie nach ihrem Koffer und verließ die Küche.
Hope war bereits aufgesprungen um ihr zu helfen, doch ihre Grany schüttelte nur grinsend den Kopf: "Das schaff ich schon."
Trotzdem begleitete sie  sie noch bis zur Tür, um sie zu verabschieden.
Tränen bildeten sich in  den Augen ihrer Großmutter, als sie diese in ihre Arme schloss. Das erste Mal ließ sie ihre Enkelin für einen so großen Zeitraum allein. Das längste bisher war ein Tag gewesen, den Grany mit ihren Freundinnen in London unterwegs war. Doch jetzt handelte es sich um ein Wochenende. "Grany, mir wird schon nichts passieren. Ich bin mittlerweile alt genug und du hast es ja selbst gesagt, Miss Black wohnt direkt gegenüber." Angesprochene nickte und wischte sich übers Gesicht: "Ja du hast recht. Pass auf dich auf, mein Herz." Hope nickte: "Das werde ich tun!"
Dann sah sie ihrer Großmutter hinterher, die das Gartentor hinter sich zuzog und die Straße hinunter lief, bis sie um die nächste Hausecke bog.
Als sie nicht mehr zu sehen war, ging Hope zurück ins Haus und direkt in die Küche.

Nachdem sie gegessen und den Abwasch gemacht hatte, ging sie die Treppe hinauf ins Kaminzimmer. Dort blieb sie vor dem großen Bücherregal stehen. Die Hälfte der dicken Wälzer kannte sie schon auswendig, andere hatte sie noch nicht gelesen.
Ihre Großmutter war besessen von diesen Büchern. Wie gerne sie ihr doch gelauscht hatte, während sie die Geschichten las und somit magische Welten zum Leben erweckte.
Hope hatte dann ihre Augen geschlossen und sich vorgestellt dabei zu sein.
Klar hatten sie auch einen  Fernseher, sogar einen mit Flachbildschirm, doch dieser war eher selten in Gebrauch.
Summend griff sie nach einem Buch und holte es aus dem Regal.
Sie ließ sich aufs Sofa sinken und blätterte in besagtem Buch.
Es war ihr Lieblingsbuch: Alice im Wunderland.
"Das Unmögliche zu schaffen, gelingt einem nur wenn man es für möglich befindet", las sie das Handgeschriebene Zitat auf der ersten Buchseite.
Ein Schmunzeln schlich sich auf ihre Lippen. Ihre Großmutter liebte dieses Buchzitat und sie hatte die Angewohnheit, ihre Lieblingszitate in das Buch zu schreiben, aus dem sie kamen.
Sie kuschelte sich in die Weichen Sofakissen und begann zu lesen.

Müde schloss sie das Buch wieder und legte es auf dem kleinen Kaffeetisch ab.
Draußen vor dem Fenster dämmerte es bereits und so beschloss Hope, sich fürs Bett fertig zu machen.
Sie schlürfte ins Badezimmer und betrachtete sich im Spiegel. Dort blitzten sie zwei Eisblaue Augen an, die von einem schwarzen Rahmen um die Iris umrahmt worden. Ihre blonden Locken hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihr blasses Gesicht stand im Kontrast zu ihren vollen, dunklen Wimpern.
Laut ihrer Großmutter hatte sie das Gesicht ihrer Mutter.
Leider konnte Hope das nicht bestätigen. Sie war noch sehr jung, als ihre Eltern verstarben. Seitdem Autounfall lebte sie bei ihrer Großmutter, welche ungern über all dies sprach.
Es hatte sie hart getroffen, als ihre einzige Tochter und ihr Schwiegersohn verstarben. Und dann musste sie auch noch auf ihre, damals 4 Jährige, Enkelin aufpassen.
Hope konnte sich nur noch schwach an ihre Eltern erinnern. So wusste sie noch, wie ihre Mutter ihr immer dieses eine Schlaflied vorgesungen hatte.
Sie erinnerte sich vielleicht nicht mehr an den Text, aber die Melodie hatte sich tief in ihr Gedächtnis gebrannt.
Leise summte sie vor sich hin, während sie sich fertig machte.

Sie verließ das Bad und schlürfte in die Küche.
Gähnend holte sie das Toastbrot aus der Schublade und steckte es in den Toaster. Während sie wartete griff sie nach ihrem Handy.
20 verpasste Nachrichten. Davon 10 von Collin.
Er schien sich wirklich Sorgen zu machen. Mit einem Seufzen drückte sie auf anrufen und ließ das Telefon klingeln.
"Jo, hier Collin", meldete sich ihr bester Freund. Hope musste lächeln: "Hey Collin. Mir geht es wirklich gut." "Sicher?" "Ja, ich bin nur Müde", lachte sie an ihrem Ende der Leitung.
Sie unterhielten sich noch eine Weile, bis sie der Toaster unterbrach. "Du Collin, mein Essen ist fertig. Wir sehen uns Morgen?" "Ist gut Hoppy. Bis Morgen dann." Somit war ihr Gespräch beendet und Hope wand sich an ihr Essen.

Müde räumte sie ihren Teller in die Spülmaschinen und schlürfte die Treppe hinauf in ihr Zimmer.
Wie jeden Abend öffnete sie ihr Fenster und setzte sich auf ihr Fenstebrett.
Sie winkelte ihre Beine an und schlang ihre zarten Arme darum.
Verträumt wanderte ihr Blick hinauf zu den Sternenhimmel.
Ihre Großmutter hatte ihr mal erzählt, das die Verstorbenen vom Himmel auf ihre Liebsten hinunter sehen.
Ob Mum und Dad gerade hier hinunter sehen?
Im Augenwinkel bewegte sich etwas.
Verwirrt blinzelte Hope, doch der Schatten war verschwunden.
Hatte sie sich das eingebildet? Doch da war es wieder.
Auf dem Dach des Nachbarhauses hatte sich etwas bewegt.
Wie vom Blitz getroffen, sprang Hope auf und taumelte zurück.
Der Schatten, der eben noch über dem Nachbarhaus zu schweben schien, kam immer näher.
Rote Augen starrten sie an, während die schemenhaften Umrisse mittlerweile in ihr Zimmer schwebten.
Hinter dem Schatten flog die Lichtkugel, die sie Gestern Nacht bereits gesehen hatte.
Mit dem Rücken an die Wand gepresst stand sie da und atmete flach.
Sie wollte schreien, doch aus ihrer Kehle kam kein Ton.
Mittlerweile wurde der Schatten deutlicher und sie konnte die Umrisse eines Jugen erkennen. Doch dies beruhigte sie nicht im geringsten. Stattdessen ließen die roten Augen ihr das Blut in den Adern gefrieren.
"Sie ist es", hörte sie eine unbekannte Stimme zischen. Die Hand des Schattens streckte sich in ihre Richtung aus und versuchte sie zu ergreifen.
Wie den Abend zuvor, wich ihre Panik dem Adrenalin.
Mit beiden Händen, in Richtung ihres Angreifers gestreckt, schloss sie die Augen.
Das warme Kribbeln, was ihren Körper bereits gestern durchströmt hatte, machte sich breit und das gleißend helle Licht sprühte auf den Schatten zu.
Dieser wich gekonnt aus und so traf sie lediglich die weiße Zimmerwand.
Blitzschnell packte der Schatten Hope an der Schulter und knallte ihren Kopf gegen die Wand.
Diese gab ein Stöhnen von sich und sackte zusammen.
Alles um sie war in Dunkelheit getaucht und ihr Bewusstsein verabschiedete sich.

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