Nächtlicher Besuch

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In letzter Zeit wünschte sich Hinata nichts sehnlicher, als Gedanken lesen zu können.

Der kleine Spiker seufzte lautlos, federleicht strich er Kageyama noch einmal durch das rabenschwarze Haar, ehe er dann sachte von ihm abrückte und den Schlafenden noch einen Augenblick lang im matten Mondlicht gedankenverloren betrachtete. Momentan würde er wirklich alles dafür geben, nur einen winzigen Blick in den Kopf seines Freundes erhaschen zu dürfen. Vielleicht würde er so endlich einen vernünftigen Grund für dessen seltsames Verhalten erfahren.

Hinata war weder taub, noch blind. Natürlich war ihm aufgefallen, dass Kageyama schon länger irgendetwas zu beschäftigen schien. Leider hatte er noch immer keinen blassen Schimmer, welch riesige Laus ihm über die Leber gelaufen war. Denn anstatt mit ihm darüber zu reden, fraß dieser Sturkopf von einem Setter nämlich alles schön tief in sich hinein ...

Ein bedrückter Ausdruck huschte über das Gesicht des Rotschopfes. Seine ohnehin schon zugeschnürte Kehle wurde noch ein klein wenig enger, schnell wandte er den Blick ab und rieb sich stattdessen ungelenk den Schlaf aus den Augen. Ein herzhaftes Gähnen entschlüpfte ihm, verschlafen blinzelte zu dem kleinen Digitalwecker, der auf einer Kommode neben dem Bett stand, hinüber. Mit einem leisen Surren sprangen die Zahlen auf fünf Minuten nach Mitternacht. Zögernd verharrte Hinata einige Sekunden, bis er sich schließlich vorsichtig aufsetzte. Eine Grimasse ziehend, griff er sich dabei reflexartig mit einer Hand an den Hals. Möglicherweise war es doch nicht ganz so schlau gewesen, vor dem Schlafen noch eine gefühlte Warenladung Knabberzeug zu verdrücken. Verflucht, sein Hals war trockener als die Sahara!

Dicht neben ihm, spürte Hinata Kageyamas warmen Körper und am liebsten hätte er sich gleicht wieder an ihn gekuschelt. Alles in ihm sträubte sich dagegen, dieses gemütliche Plätzchen aufgeben zu müssen, aber da er genau wusste, dass er in seinem ausgedörrten Zustand sowieso nicht wieder einschlafen könnte, begann der Schüler sich nichtsdestotrotz behutsam aus der Bettdecke zu schälen. Es war Vollmond, trübes Licht fiel in das Zimmer, doch als eine Wolke die einzige Lichtquelle am schwarzen Nachthimmel verdeckte, wurde es plötzlich stockdunkel. Hinatas Herz machte einen nervösen Hüpfer. Misstrauisch schielte er zum Fenster und sofort stellten sich die feinen Härchen in seinem Nacken alarmiert auf, als er unwillkürlich an das ominöse Geräusch von vorhin dachte.

„Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd. Das war bestimmt nur eine streunende Katze oder ein Vogel ..."

Bevor Hinata allerdings die Gelegenheit bekam, irgendwie in Panik zu verfallen oder, wie es Kageyama so schön formuliert hatte, sich ins Hemd zu machen, ertönte auf einmal jedoch dessen beruhigende Stimme in seinem Kopf und augenblicklich fühlte der Rotschopf, wie das mulmige Gefühl in seinem Bauch nachließ. Angst? Wer sollte hier Angst haben? Er garantiert nicht! Außer dem sanftes Rauschen des Windes und gelegentlichen Surren des Weckers, war nun wirklich nichts Außergewöhnliches zu hören. Höchstwahrscheinlich spielte ihm seine Fantasie einfach einen üblen Streich! Genau, das musste es sein!

Vorsichtig, um Kageyama auf keinen Fall aufzuwecken, kraxelte Hinata schließlich mit neuem Elan aus dem Bett. Einen Fuß vor den anderen setzend, schlich er auf Zehenspitzen, mit Boxershorts und Shirt bekleidet, durch das Zimmer. Der flauschige Teppich unter ihm verschluckte den Großteil seiner Schritte, doch als er die Tür langsam aufzog, zerriss für einen klitzekleinen Moment ein verdächtiges Knarren die Stille um sie herum.

Hoppla!

Hinata erstarrte mitten in der Bewegung, hielt automatisch die Luft an. Hinter ihm vernahm er ein leises Brummen, kurz darauf das Rascheln von Stoff. Ansonsten passierte nichts weiter. Hinata ließ erleichtert den Kopf hängen, nachdem er einen flüchtigen Blick über die Schulter warf und Kageyamas ruhigen Atemzügen lauschte.

This isn't a Nightmare, is it?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt