6 | Keine gute Idee

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Es war so falsch.

Alles an dieser Situation war falsch.

Er widerte sich selbst an.

Und trotzdem stand er wieder hier, in der Umkleidekabine. Das Handtuch mit dem eingestickten HG fest in beiden Händen, während er ungläubig auf den kleinen Haufen Kleidung starrte.

Die ganze Woche über hatte er sich eingeredet, dass ihn Granger nicht länger interessierte. Dass es nur Zufall und eine falsche Interpretation seinerseits gewesen waren, was er am Freitagabend gesehen und gehört hatte. Dass Granger ihn immer noch so abstoßend fand wie die Jahre zuvor. Dass sie bestimmt nie wieder das Vertrauensschülerbad benutzen würde.

Doch als Blaise und Theo schließlich in ihren gemeinsamen Schlafsaal gegangen waren, hatte Draco sich wie von alleine in Bewegung gesetzt. Bis er vor der Tür zum Bad stand, hatte er selbst nicht genau gewusst, wohin er eigentlich ging. Und nun stand er wieder hier, in exakt derselben Situation wie vor einer Woche.

Nur dass er jetzt eine bessere Vorstellung davon hatte, was er dort drinnen vorfinden würde.

Er konnte das nicht wieder tun. Jetzt, wo er wusste, was Granger vermutlich tat, konnte er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. So schäbig war nicht einmal er.

Doch er konnte es auch nicht einfach so lassen. Brennende Neugier flackerte in ihm wie ein hungriges Feuer. Lebte Granger nur irgendwelche Fantasien aus oder war sie tatsächlich an ihm interessiert? Ihr Verhalten die Woche über deutete daraufhin, dass sie keinen Gedanken an ihn verschwendete. Aber jetzt war sie wieder hier. Hatte sie heute einen anderen Mann im Sinn oder dachte sie wieder an ihn?

Langsam ließ er das Handtuch los und schaute zur Milchglastür. Er könnte einfach hindurchgehen. Er könnte sich entkleiden und zu ihr ins Becken steigen. Er könnte ihr anbieten, ihr zur Hand zu gehen. Oder mehr. Dann musste sie sich nicht mit ihren Fingern und ihrer Fantasie begnügen.

Eine Hitzewelle schoss durch seinen Körper. Die Idee war attraktiv, sehr attraktiv sogar.

Er schüttelte den Kopf. Wenn er sich vorstellte, dass er dort im Becken gerade Hand anlegte und das Subjekt seiner Fantasien plötzlich auftauchte, wäre er vermutlich wenig begeistert. Er wäre zu entsetzt und beschämt, als dass auch nur ein Gedanke an Sex möglich wäre. Ihr würde es sicher nicht anders gehen.

Aber er konnte ja auch schlecht am Tag zu ihr gehen. „Hey, Granger, ich weiß, was du nachts im Vertrauensschülerbad machst. Lust auf Sex?" Nein, das war unmöglich.

Fluchend fuhr er sich mit beiden Händen durchs Haar. Er war einfach nur widerlich. Was tat er hier? Was gab ihm das Recht, mit vollem Bewusstsein die Intimsphäre eines anderen Menschen so zu verletzen? Er sollte sich entschuldigen dafür, aber auch das war unmöglich, ohne Granger zu sagen, was er getan hatte. Und er würde ihr das niemals sagen.

Angespannt vergrub er beide Fäuste in seinen Hosentaschen. Sollte er einfach wieder gehen? Das wäre anständig. Aber es fühlte sich gleichzeitig so falsch an. Als würde er vor einer verschlossenen Tür stehen, hinter der das Paradies lag, und er musste nur den Schlüssel finden, um sie zu öffnen.

Und plötzlich wusste er, was er tun konnte. Anstatt die Unwissenheit von Granger wieder zu missbrauchen, konnte er den Ball einfach in ihr Spielfeld werfen und sehen, was sie tat. Dann würde er auf jeden Fall seine Antwort erhalten.

***

Zufrieden mit sich und der Welt griff Hermine nach ihrem Handtuch. Egal, was der reale Draco tat oder sagte, in ihrer Fantasie war er immer noch perfekt und sie war nicht bereit, das aufzugeben. Dazu fühlte es sich zu gut an.

Mit einem langen Seufzen wickelte sie ihr weiches Handtuch um sich und ließ sich dann auf die Bank sinken. Entspannt streckte sie sich – und erstarrte.

An einem Haken an der Wand ihr gegenüber hing ein grünes Tuch. Ein grünes Tuch, das dort vorher definitiv nicht gehangen hatte. Sie hatte sich wie zuvor sehr genau umgeschaut, dass keine Spur von Kleidung anderer Schüler hier war. Das Tuch musste also aufgetaucht sein, während sie im Becken gelegen hatte.

Hitze schoss ihr in die Wangen. Schnell sprang sie auf und riss das Tuch von der Wand. Es sah aus wie ein Einstecktuch, vermutlich von einem Schüler aus Slytherin. Ihre Finger ertasteten eine Unebenheit. Mit klopfendem Herzen drehte sie es um.

Wieder erstarrte sie.

Eingestickt in einer Ecke des Tuchs waren die Buchstaben DM. Es war offensichtlich, wem dieses Tuch gehörte. Nur ein Malfoy würde überhaupt etwas so extravagantes wie ein Einstecktuch in der Schule tragen.

Draco Malfoy war hier gewesen, während sie im Becken gelegen und Fantasien über ihm nachgegangen war.

Hatte er sie gesehen?

Hatte er sie gehört?

Zitternd ließ Hermine sich auf eine der Bänke sinken. Natürlich hatte er das. Warum sonst sollte er das Tuch hiergelassen haben? Er hatte es nicht aus versehen verloren, dazu hatte es zu offensichtlich am Haken gehangen. Er hatte es absichtlich hiergelassen, damit sie es finden konnte.

Übelkeit machte sich in ihr breit. Draco Malfoy wusste, was sie tat. Was sie über ihn dachte. Hatte er das Tuch hiergelassen, um sie zu warnen? Um sie zu erpressen? Würde morgen die ganze Schule wissen, was sie nachts im Bad tat?

Am besten ging sie morgen direkt zu Schulleiterin McGonagall und bat darum, das Schuljahr abbrechen zu dürfen. Sie würde Malfoy nie wieder unter die Augen treten können. Sie würde für den Rest des Jahres zum Gespött der Schule werden, wenn sie hierblieb.

Tränen brannten in ihren Augen. Wie sie auch nur eine Sekunde gedacht haben konnte, dass es gut war, dass Malfoy auch wieder hier war. Natürlich hatte er es immer noch auf sie abgesehen, genauso wie in all den Jahren zuvor. Nur, weil er sie nicht mehr öffentlich als Schlammblut bezeichnete, hieß das nicht, dass er nicht immer noch genau das dachte.

Wut stieg in ihr auf. Wie konnte er es überhaupt wagen, sich hier reinzuschleichen? Er war kein Vertrauensschüler! Andere beim Baden auszuspionieren und zuzuhören, wie sie sich selbst befriedigte, war abscheulich. Er hatte kein Recht dazu. Er sollte sich schämen, nicht sie. Sie hatte überhaupt nichts falsch gemacht. Er war derjenige, den man öffentlich bloßstellen sollte.

Heiße Tränen rannen ihr über die Wangen. Sie hatte sich noch nie dafür geschämt, dass sie Sex mochte und masturbierte. Ihre Mutter hatte ihr immer beigebracht, dass das normal und gesund und gut war. Warum sollte sie sich für Dinge schämen, die in ihren Gedanken passierten? Wie konnte Malfoy es wagen, sie damit erpressen zu wollen? Das zeigte nur, wie pervers und rückständig er selbst war.

Entschlossen wischte sie sich die Tränen weg. Sie würde nicht gehen. Wenn überhaupt, dann musste er gehen. Sie würde ihm zeigen, dass man mit ihr, Hermine Granger, keine solchen Späße trieb. Sie würde sich nicht für ihre Sexualität schämen, nicht vor ihm, nicht vor irgendjemandem.


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