2. Der schöne Unbekannte

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Der Bus hielt direkt vor der Schule. Dort tummelten sich nach Lenas Geschmack viel zu viele Leute. Sie blieb erstmal stehen und versuchte es auf sich wirken zu lassen. Vergeblich. Ihr erschien es so surreal, hier zu sein. Sie würde einfach gerade lieber in ihre alte Schule gehen, dann Bob sehen, da wo er immer stand. Bob war Football Spieler an ihrer alten Schule, und Lena war unglaublich in ihn verliebt gewesen. Jedoch war sie nicht sein Typ, dachte sie, bis er sie fragte, mit ihr Auszugehen. Sie hatte Höhenflüge und war überglücklich. Als sie Abends wieder nach Hause kam, stand das Haus jedoch schon voll mit Umzugskisten. Plötzlich wollten ihre Eltern weg. Berufliche Gründe. Als sie das Bob erzählte, interessierte es ihn aber herzlich wenig. Und trotzdem vermisste Lena ihn.
Sie versuchte Bob aus ihrem Kopf zukriegen. Das bringt doch eh nichts, dachte sie. Sie begann, die Leute zu mustern, die an ihr vorbei liefen. Ihr fiel dabei niemand besonders auf. Sie bewegte sich mit dem Strom in Richtung des Eingangs. Doch plötzlich spürte sie ein Blick in ihrem Nacken. Sie drehte sich hastig um. Etwas weiter entfernt stand ein Junge. Er war groß, braunhaarig und sah ziemlich gut aus. Er starrte sie förmlich an. Lena erwiederte den Blick. Sie konnte nicht wegsehen. Von ihm ging irgendeine besondere Energie aus, die Lena faszinierte. Er zog an seiner Zigarette. Dabei hielt er stetig den Augenkontakt. Plötzlich spürte Lena ein Stoß gegen ihre Schulter. „Beweg sich doch endlich mal", sagte ein Junge und quetschte sich neben ihr in die Schule. Sie schien einfach im Türrahmen stehen geblieben zu sein. Sie sah den Jungen kurz entgeistert an, und sah dann wieder zurück, wo der mysteriöse Typ stand. Doch er war verschwunden. Lena runzelte die Stirn. Na ja, egal, sagte sie zu sich selber. Doch es war nicht egal. Der Blick des Fremden ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.

Es klingelte zur Mittagspause. Lena hatte den bisherigen Unterricht gut überstanden. Sie fand die Lehrer bis jetzt netter als an ihrer alten Schule und sie konnte sich gut in den Stoff einfinden. Doch zu ihren Mitschülern hatte sie noch keine Verbindung gefunden. Die Mädchen waren fast alle ausnahmslose Modepüppchen. Die schlimmste Art von allen, fand Lena. Die Jungs: schmierig und pupertär. Bis jetzt hat sie es eigentlich genossen, allein zu sein, doch als sie sich auf den Weg zur Mensa machte, wurde ihr etwas mulmig zu Mute. Sie wollte nicht auf dem Präsentierteller sitzen, so dass jeder sehen konnte, sie war die Neue. Als sie die Mensa betrat, waren fast alle Tische bereits mit Gruppen besetzt. Etwas panisch sah sie sich um, ob es noch einen freien Tisch gab. Nach einiger Zeit sah sie einen, an dem nur ein einziges Mädchen saß. Sie war groß und ihre Haare hingen ihr tief ins Gesicht. Irgendwie wollte Lena sich zu ihr setzen. Es schien, als hätte sie auch nicht sonderlich viele Freunde. Damit würden sie sich ganz gut ergänzen. Sie atmete einmal tief durch und ging Richtung Tisch.
„Hey, ist hier noch frei?", fragte Lena und lächelte. Das Mädchen hob kaum den Kopf. Sie nahm ihr Handy, welches um ihren Hals hing, und begann darauf zu tippen. Lena dachte, das war ein klares ‚Verpiss dich' und ihr Lachen verging. Sie wollte gerade umdrehen und gehen, doch plötzlich ertönte eine Computerstimme.
„Hier ist frei", sagte sie sehr monoton. Lena war überrascht. Konnte das Mädchen etwa nicht reden?
„Also kann ich mich setzen?", fragte sie vorsichtshalber noch einmal. Das Mädchen sah auf. Es lächelte und nickte. Auch wenn ihre langen Haare immer noch die rechte Hälfte ihres Gesichts verdeckten, konnte Lena erkennen, dass etwas mit ihrem Auge darunter nicht stimmte. Es war größer, rund und schwarz. Doch sie schien freundlich zu sein, deswegen wollte Lena sie nicht darauf ansprechen. Sie setzte sich einfach und holte ihr Essen aus der Tasche. Dann sah sie das Mädchen an und fragte: „Wie heißt du denn?".
Schnell fing es wieder an auf ihrem Handy zu tippen. Kurz darauf blickte sie auf und die Computerstimme ertönte wieder. „Ich heiße Shelly."
„Freut mich dich kennenzulernen, Shelly ich heiße Lena.", beide lächelten sich an. Sie verstanden sich gut.
Als die Klingel erneut läutete, verabredeten sich die beiden, sich morgen auch wieder dort zu treffen. Lena stand auf und ging zum Ausgang. Kurz bevor sie die Mensa verlassen wollte, drehte sie sich um, um Shelly noch einmal zum Abschied zuzuwinken. Doch ihr Herz blieb stehen. Neben Shelly stand nun der geheimnisvolle Fremde, der sie heute vor der Schule angestarrt hatte. Er lachte sie an, und sie freute sich sichtlich ihn zu sehen. Sie umarmten sich und er strich ihr durch das blasse Gesicht. ‚War das ihr Freund?', fragte Lena, und ihr Magen zog sich zusammen. Aber natürlich hat so ein gutaussehender Typ eine Freundin. Wieso hatte sie auch nur eine Sekunde geglaubt, er könnte Interesse an ihr haben. Lena erschrak. Stimmt, sie hatte sich wirklich vorgestellt, wie das wäre. Sie war überrascht von sich selber, das war sonst nicht ihre Art. Sie beobachtete die beiden. Plötzlich hob der Junge seinen Kopf und sah sie an. Er fing an zu Lächeln. Aber war er nicht Shellys Freund? Ohne eine Miene zu verziehen drehte sie sich um und ging. Nicht zurück schauen, dachte sie sich, auch wenn er so süß aussieht.

Roman GodfreyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt