Julie und Lucas - Teil 3

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Türchen 21


Drei Wochen später


Julie


Als Lucas sie an die Hand genommen und die Treppe herauf in den ersten Stock gezogen hatte, hatte sie geglaubt, er suche lediglich etwas mehr Privatsphäre, um zu reden. Das seine Lippen ganz plötzlich auf ihren lagen war dagegen nicht geplant. Ganz und gar nicht. Sie hatte noch nie zuvor einen Jungen geküsst und sie wusste im ersten Moment nicht was sie davon halten sollte, dann aber war es ganz leicht gewesen. Ein warmes, flatterndes Gefühl überwand den ersten Schock und ließ ihre Knie weich werden, ganz plötzlich.
Das sie dann tatsächlich weg knickten war auch nicht geplant und das sie Lucas dabei mit sich zu Boden riss auch nicht. Und dann, nach diesem ersten Kuss, lagen sie plötzlich beide auf den beheizten Fliesen und hatten sich einfach nur angesehen bevor dann das Chaos auf dem Flur ausgebrochen war und sie hörte wie ihre Mutter verzweifelt versuchte die Väter da draußen davon abzuhalten sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen.
Danach war es irgendwie vorbei gewesen. Lucas hatte sich verlegen das Gesicht gerieben, sich für alles entschuldigt und war direkt in sein Zimmer gestürmt, während Julie wieder einfach nur dagestanden hatte. Hilflos, verwirrt und irgendwie auch enttäuscht.
Der Rest des Abends, bis sich ihre Mutter und ihre Väter dazu entschlossen hatten endlich zu gehen, war ereignislos verlaufen. Lucas hatte sie nicht verabschiedet oder sich bei ihr gemeldet. Sie hatte ihm ihre Liebe gestanden und er hatte ihr einen Kuss gestohlen, doch seitdem schien er sie zu meiden als hätte sie eine Krankheit. Sie hatte ihn angeschrieben. Dutzende Male, aber nie eine Antwort erhalten und Sienna wollte sie auch nicht nach ihrem Zwilling ausfragen. Die hatte ihre eigenen Probleme. Zwar schien sie sich wieder mit William vertragen zu haben aber dieser war nach den Feiertagen wieder zu seiner Uni aufgebrochen und sie bereute erneut ihre Zögerlichkeit in Sachen Sex.
Als die Schule wieder begann, fand sie eine gewisse Ablenkung in den Zahlen und Geschichtsaufgaben, sogar in den Trainingsstunden ihres Schwimmteams, dass auch Sienna besuchte und ihr so das Gefühl gab nicht ganz alleine zurückzubleiben. Julies Herz lag schwer in ihrer Brust und sie bemerkte wie sie mittlerweile alles anzweifelte, was an Weihnachten bei den Nolans passiert war. Die Tatsache, dass sie und Lucas sich zu einem Date verabredet hatten und der überstürzter Kuss. Einfach alles.
„Sag, dass es nicht mein Bruder ist!", meinte Sienna, die sich neben ihr auf die Schwimmbank setzte und sich ein Handtuch vom Stapel nahm. Ihre langen schwarzen Haare hatte sie zu einem unordentlichen und nun feuchten Dutt aufgetürmt, aus dem sich bereits einige Strähnen gelöst hatten und ihren schlanken Hals betonten, als wäre sie nicht sowieso schon absolut umwerfend, dachte Julie, die es gar nicht gewohnt war eifersüchtig zu sein. Schon gar nicht auf Sienna, ihre beste Freundin. Sie mochten einen Altersunterschied von drei Jahren haben, aber sie hatten ihre Kindheit zusammen verbracht und das verband mehr als es wahrscheinlich guttat.
Dennoch fiel Julie gerade heute ziemlich deutlich auf, wie reif Sienna schon war. Ihr Körper hatte bereits die von den Männern präferierte Sandglasfigur, während Julie mit ihren fünfzehn Jahren wesentlich weniger an fraulichen Kurven zu bieten hatte.
Im Gegensatz zu Sienna schwamm sie bereits seit zwei Jahren und hatte deswegen einer eher sportliche Figur, wären ihre Brüste nicht Anfang letzten Jahres endlich in Erscheinung getreten, könnte man sie wohl immer noch für einen Jungen halten. Ein Grund mehr ihre verhassten langen blonden Haare weiterhin zu behalten.
„Das er was nicht ist?", fragte Julie und versuchte sich nicht anmerken zu lassen wie neidisch sie auf Sienna war. Neid war nie ein gutes Gefühl, aber Sienna musste sich auch keine Gedanken um ihren zukünftigen Partner machen. Sie hatte ja William.
„Der Grund weswegen du Trübsal bläst, hat er sich echt noch nicht gemeldet?", fragte Sienna und Julie schüttelte den Kopf. Natürlich hatte Julie ihrer Freundin alles erzählt – eine andere Wahl hätte sie sowieso nicht gehabt – sie hatte ihren Zwilling und sie im Bad gehört.
„Du lügst", lächelte Sienna, nahm es aber einfach hin, dass Julie darauf lediglich mit den Schultern zuckte. Sienna hatte offensichtlich noch etwas sagen wollen, als eine Gruppe von Jungen die Schwimmhalle betrat, kurz verdattert stehen blieb und sich dann verwirrt umsah. Die Jungen und der Trainer des männlichen Schwimmteams.
„Mist! Ihr bleibt hier Jungs und wehe, ich höre nur eine lästige Bemerkung!", mahnte der Trainer, ging auf Siennas und Julies Schwimmleiterin zu und fing an mit ihr über den Belegungsplan zu diskutieren. Gerade heranwachsenden Mädchen wollte man nicht zumuten in empfindliche Situationen wie Schwimmunterricht, wo die Frauen nur in Sportbadeanzügen unterrichtet wurden, mit heranwachsenden Jungen durchzustehen. Von der Tatsache, dass auch bei der Bildung eine strickte Frauen Männer Trennung herrschte, einmal abgesehen.
Aber wie es sich für junge Männer in der Gesellschaft gehörte, wurde zwar unter den Jungen viel gestarrt und sich gegenseitig etwas zugeraunt aber keiner wagte es die Mädchen anzusprechen. Nicht mal als Maria aus dem Becken kam, zu Sofia ging und ihr sagte, dass sie jetzt mit der Startsprungübung an der Reihe wäre. Dabei war sie direkt an der Gruppe junger Männer vorbeigegangen, wo ihr einige Blicke gefolgt waren.
Julie beschloss, es ihrer Teamkameradin gleichzutun, legte das Handtuch ab in das sie sich in der Pause gewickelt hatte und kontrollierte noch einmal den festen Sitz ihres langen Pferdeschwanzes bevor sie zielsicher auf ihre immer noch diskutierende Lehrerin zuging.
„Darf ich weitermachen?", fragte Julie sicherheitshalber und konnte regelrecht spüren wie sich einige Blicke in ihren Hintern bohrten.
„Natürlich Julie, geh nur auf den Startposten", meinte sie und schwankte dann sofort wieder zu dem Gespräch mit dem Lehrer der Jungen. Sie schien nichts dagegen zu haben, dass die Jungen zwei der insgesamt vier Bahnen jetzt schon nutzten, obwohl sie erst nach den Frauen dran gewesen wären. Voraussetzung, es gebe kein ungebührlichen Verhalten, der Trainer aber schien weniger Vertrauen in seine Schützlinge zu haben.
„Trauen Sie es uns nicht zu, etwas zu sagen, wenn uns das Verhalten der Jungen nicht gefällt?", fragte sie so neutral und beiläufig, dass es an Kälte grenze. Der Lehrer betrachtete sie nun offen und wusste nicht was er sagen sollte, dann aber schien es ihm doch einzufallen.
„Natürlich, Miss. Aber ich weiß nicht, ob das produktiv wäre", versuchte er es diplomatisch und Julies Lehrerin seufzte.
„Mein Gott, Jasper, wenn du die Stunde brauchst, dann nimm sie dir. Deine Klasse steht kurz vor dem Abschluss und sollten mittlerweile gelernt haben wie man sich benimmt", sagte sie wieder, und zwar so laut, dass es einige der Jungen hinter ihr deutlich hören konnten.
„Natürlich, Ma'am!", entfuhr er einen mit dichtem roten Haar, heller Haut und Sommersprossen auf dem Gesicht. Er war süß, schoss es Julie durch den Kopf und als sein Blick dann auch zu ihr schnellte, blinzelte er ihr flirtend zu. Es war mehr als süß. Seine Gesichtszüge schienen perfekt, selbst in diesem Alter, wo sie es normalerweise nicht sind.
Julie legte den Kopf schräg, wie immer, wenn sie ein Verhalten nicht einordnen konnte und dabei fing sie noch einen Blick auf. Lucas.
Er befand sich ganz hinten, war etwas größer als die anderen Jungs in seinem Alter und sein Blick brannte schier vor Wut, bohrte sich erst in den ihren und dann in den Hinterkopf des Rothaarigen. Dann zwängte er sich zwischen seinen Kameraden durch, legte dem anderen eine Hand auf die Schulter und flüsterte ihm etwas ins Ohr was dieser allerdings mit einem Schulterzucken abtat.
„Ich sehe kein Schmuck, Nolan, also spiel dich nicht so auf!", fauchte der Rothaarige zurück und Lucas wollte etwas sagen, doch da schienen sich die Lehrer endlich einig geworden zu sein, was für Julie das Stichwort war endlich mit ihrem Training anzufangen.

Beta: Geany

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