Trockener Regen

14 2 0
                                    

Hier auf der Westseite des Gebäudes erstreckte sich der Himmel in gleißendem Weiß, was meine Augen zwang, sich schmerzhaft zusammenzuziehen, um überhaupt einen Blick nach draußen zu wagen. Die alte Rüstung des Balkons knarrte laut, als ich ihn betrat, was selbst noch über den Donner hinweg zu hören war. Die Helligkeit erschien mir wie Hohn auf mein eigenes Leben, und ich fragte mich, ob es wohl ein Zeichen war, dass mein Balkon nicht in Richtung der schwarzen Wolkenwand auf der anderen Seite des Gebäudes zeigte. Vielleicht sollte ich dem Licht entgegen gehen, nicht in dem Grau meines Alltags verweilen und die Leere in mir füllen. So wie ich hier stand, fühlte ich mich hingegen eher ausgelacht von der Sonnenseite, auf der ich die einzige graue Ausnahme zu bilden schien. Das Gewitter jedoch war eine willkommene Abwechslung, denn nicht allzuoft erlebte ich mal etwas Spannung um mich herum. Alles kam mir vor, wie eine sinnlose Verschwendung von Raum auf dieser Erde. Meine trägen Füße stahlen den Platz für zwei dynamische, wandernde Füße, wund von all den Orten, die sie betraten und all den Pfaden, denen sie zielstrebig folgten. Meine hingegen fühlten sich eher an, als würden sie aufgrund eines Kaugummis auf dem Boden starrsinnig klebenbleiben und hätten den Kampf längst aufgegeben.  Und genau so ermüdet schlug auch mein Herz Tag für Tag vor sich hin, als erfülle es nur noch seine lästige Pflicht, die ihm von der Gesellschaft aufgezwungen wurde. Meine Gedanken schweiften erneut in eine Richtung, die  Therapeuten als " gefährlich" betiteln würde, als ich mir vorstellte, gemeinsam mit den dicken Regentropfen auf den Boden zu prallen. Tot. Keine sinnlose Platzverschwendung mehr, keine sinnlose Verweilung im Alltag aus Trostlosigkeiten und vorallem keine Last mehr auf meinen und anderen Schultern. Zu sehr wünschte ich mir mit dem Regen den Platz zu tauschen. Diese Art von Wetter war mir stets lieber als Sonnenstrahlen, in deren Gegenwart ich mich falsch fühlte, wie ein außerirdisches Geschöpf, dass nicht der Botschaft des Himmels entsprach. Aber der Regen galt als etwas Schlechtes, Unschönes, ein notwendiges Übel, das lieber von der eigenen Person mit Schirmen oder Dächern ferngehalten wird. Auch ich kam mir vor wie eine riesige Wolke, die sich stets mit unüberlegten Worten, einem ausdruckslosen Gesicht und viel zu viel Emotion über ihrem Umfeld ergoss, welches mich daraufhin meist verließ, ignorierte oder genervt hinnahm. Aber ich konnte es leider nicht ändern, egal wie oft ich es versuchte, denn mein Herz schien manchmal einfach zu platzen, ohne sich mit dem Kopf abzusprechen, was vielleicht angemessen oder zu meiden wäre. Und so gelang es mir immer wieder mich in Situationen oder Worten zu verlieren, die mich in Scham oder Schuldgefühlen zu ertränken drohten. Und genauso war auch der Regen. Niemand mochte ihn, niemand wollte ihn, niemand brauchte ihn. Mein starrer Blick löste sich gerade von der großen Tanne vor dem Balkon, durch die ich eher hindurch geschaut hatte, als in meinem Augenwinkel ein Farbtupfer unter ,der ins Dunkel getauchten Welt, erschien. Ich richtete meinen Blick auf die Pflastersteine unter mir, die den Autos stets das sanfte Fahren erschwerten. Zwischen den großen Mauern der eintönigen Häuser stand eine Gestalt, die in Gelbtönen erstrahlte. "Wie die Sonne selbst", sprach ich leise vor mich hin, ohne es selbst zu bemerken. Die Gestalt stand ruhig in der Mitte der Straße, bis sie plötzlich den Kopf anhob und gen Himmel streckte. Ein blasses Gesicht erschien, das von rotblonden Haaren verdeckt wurde und die Augen geschlossen hielt, während die Regentropfen hart darauf tropften. Mit einem zarten Lächeln auf dem Gesicht stand dieses Mädchen dort auf der grauen Straße und genoss den trommelnden Regen auf ihrer Haut und für einen Moment dachte ich mir: "Vielleicht gibt es ja doch Menschen, die den Regen schätzen", bevor ich den Gedanken allerdings wieder verwarf, mich zur Tür wendete und meine kalte Wohnung wieder betrat. Dies war das erste Mal, dass ich sie sah.

SplitterpoesieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt