Weine nicht, kleiner Bruder.

2. Brief

Danke für das Buch, kleiner Bruder. Es wird mir die Wartezeit verkürzen.
"Du musst nicht sterben, große Schwester. Warum gibst du auf?"
Als du mir diese Frage gestellt hast, hatte ich eine Antwort darauf. Ich habe nicht aufgegeben kleiner Bruder. Aber ich habe nämlich mit der Möglichkeit abgefunden dass ich nicht gesund werde. Auf meiner Station gibt es ein kleines Mädchen. Sie ist 8 Jahre alt und sie hat auch Leukämie. Ist die Welt nicht ungerecht? Ich hatte bis ich 16 wurde ein schönes Leben und sie? Sie hatte nur eines, bis sie 7 wurde.
Ich wünsche mir, dass sie gesund wird und weiterleben kann. Und das kann sie wahrscheinlich auch. Aber ich nicht. Weil die Chemotherapie bei mir nicht so gut anschlägt wie bei ihr. Weil es bei mir nicht besser wird. Ich will nicht sterben, kleiner Bruder. Ich will dich nicht alleine hier zurück lassen, in der riesigen Welt, die wir zusammen sehen wollten. Aber ich will auch nicht für immer in diesem Krankenhaus liegen und zusehen, wie Kinder sterben. Außerdem möchte ich Mama und Papa nicht noch mehr Kummer bereiten.
Aber vor allem möchte ich dich nicht so leiden sehen. Weil bei jeder noch so kleinen Verbesserung meines Zustandes strahlst du über das ganze Gesicht, du scheinst von innen heraus zu leuchten. Aber jedes Mal wenn meine Werte sich verschlechtern, dann weinst du und klammerst dich an mir fest, als würde ich mich sonst in Luft auflösen. Es ist unfassbar schwer für mich, zu wissen, dass ich dir diese Sorgen nicht nehmen kann. Du wirst jedes Mal aufs Neue enttäuscht. Dabei sollte dein einziges Problem sein, dass deine Eltern nerven oder dass deine Schulnoten gut sein müssen. Du bist doch gerade einmal 13 Jahre alt. Du bist doch fast noch ein Kind.  Ich liebe dich kleiner Bruder und ich passe auf dich auf. Versprochen.

Yannika