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Kyrill Pov

Kritisch schaute ich an dem Gebäude nach oben. Der Altbau sah leicht heruntergekommen aus und erinnerte mich ein bisschen an ein Reihenhaus aus diesen ganzen Asi-Vierteln. Oder zumindest an die, die man im Fernseher immer zeigte. 'Dann passt du hier ja super rein', meldete sich mein gehässiges Ich zu Wort. Ich lachte kurz sarkastisch auf. Noch ein Asi fiel hier nicht auf. Aber Asi war für mich vielleicht nicht ganz die richtige Bezeichnung. Parasit traf es eher. Jemand, der alle, die ihm zu Nahe kommen, aussaugte bis aufs Letzte und dann auf Nimmerwidersehen verschwand. Ja, das passte wirklich besser. Dieser Gedanke lies mich erneut sarkastisch auflachen. Ich liebte mein Leben. Ich liebte mein Leben so sehr, dass es ein Wunder war, dass ich immernoch lebte. Und jetzt stand ich hier vor diesem Saftladen, wollte eine Bleibe und die Asis, die hier wohnen, wussten noch nichts von ihrem Glück, das sie erwartete, wenn sie mich einliesen. Und vielleicht waren meine zukünftigen Mitbewohner ja tatsächlich keine Asis. Man sollte vom Äußeren schließlich nicht auf das Innere schließen, oder sowas in der Art. Ich bin nur froh, dass sie mir so schnell geantwortet hatten, als ich ihnen gestern eine Anfrage für das freie Zimmer geschickt hatte. Sonst wäre ich echt am Arsch gewesen. Noch eine Nacht in dem Motel hätte ich nicht überlebt - in vielerlei Hinsicht. Mich schüttelte es schon bei dem Gedanken an dieses stinkende Loch. Ekelhaft! Besser als das wird dieses Zimmer hier auf jeden Fall sein. Sauberer. Ruhiger. Sicherer... Und mehr brauchte ich nicht! Einfach einen einigermaßen sauberen Ort, an dem ich meine Ruhe hatte und einigermaßen sicher war. Mehr verlangte ich nicht.

Lea Pov

Das Studium hatte vor vielleicht 3 Wochen angefangen und ich wünschte mir bereits meine alte Schule zurück. Mit all den schrägen Lehrern und den süßen, kleinen Kursen. Das Leben als Studentin war anders als ich es mir vorgestellt hatte. Viel anstrengender. Es nahm viel mehr Freizeit in Anspruch, als ich eingeplant hatte. Vielleicht war ich nicht für das Leben als Studentin geboren worden. Ich seufzte und lief weiter durch die Reihen der Universitätsbücherei. Nichtmal hier konnte ich mich wohlfühlen. Und normalerweise liebte ich Büchereien. Aber diese hier war so kalt und distanziert, was wahrscheinlich daran lag, dass man hier keine interessanten Geschichten fand, sondern nur Sachbücher in allen möglichen Ausführungen, Größen und Dicken. Stöhnend zog ich einen weiteren Wälzer aus dem Regal. Der Titel schien zu dem zu passen, nach was ich suchte. Allerdings war das Buch so fett, dass ich mir wünschte es wäre nicht so. Am liebsten würde ich es wieder zurück zu seinen Freunden im Bücherregal stellen. Aber das brachte mich nicht weiter. Dann hätte ich genauso gut im Apartment bleiben können... Bei Louis. Der beschwerte sich eh, dass ich keine Zeit mehr für ihn hätte und nur noch an meiner Zukunft interessiert wäre. Kann ja nicht jeder ein Sohn eines Firmengründers sein, dessen Produkte in die ganze Welt verschickt werden. Wenn er in seinem Leben nur einmal Geldsorgen gehabt hätte, wüsste er warum ich ihm das Studium im Moment vorzog. Ich wollte ihm ja später auch nicht auf der Tasche liegen müssen, so wie ich jetzt im Moment gezwungener Maßen mit dem Apartment tat. Ich war selber groß und konnte mein eigenes Geld verdienen! Aber das wollte dieser intelligente Faulpelz nicht verstehen... Ich seufzte. Tja, er hatte halt noch keine wirklichen Probleme in seinem Leben gehabt. Im Gegensatz zu mir... Außer man bezeichnete es nicht als Problem, ohne Vater aufgewachsen zu sein und seine Mutter mit 15 an Krebs verloren zu haben. Danach hatte ich bei meiner Oma gelebt, die mich finanziell aber nur bedingt unterstützen konnte. Vor allem da sie mir auch immer Geld zur Seite gelegt hatte um mir dieses Studium ermöglichen zu können. Ein weiterer Grund das Studium auf jeden Fall durchzuziehen. Ich wollte weder sie noch meine tote Mutter enttäuschen. Louis musste sich da leider hinten anstellen... Auch wenn er mich ebenfalls in meinen schlimmsten Zeiten sehr unterstützt hatte. Erneut seufzte ich und zog ein weiteres Buch heraus.
"Alles okay?", hörte ich neben mir plötzlich eine besorgte Stimme. Ein Mädchen, etwa in meinem Alter, stand plötzlich neben mir. Entweder ich hatte sie bis jetzt noch nicht bemerkt oder aber sie hatte sich angeschlichen... Kritisch betrachtete ich sie von oben nach unten: Sie war etwas größer, ziemlich schlank und echt hübsch. Ihre Lila-pinken Haare hatte sie zu einem unordentlichen Dutt hochbunden, aus dem ein paar Strähnen herausgefallen waren. Diese umrahmten ihr zierliches, asiatisches Gesicht. Ihr Outfit erinnerte mich ein bisschen an Insta-Models. So als wäre sie heute nur hierhergekommen um ein Stylerbild von sich zu schießen um es auf Instagram hochzuladen. Allerdings wirkte sie trotzdem nicht arrogant - also so wie ich mir eigentlich so ein Instamodel vorstellte. Das lag wahrscheinlich an ihrem ernsthaft besorgten Blick, welcher mich irgendwie verwirrte.
"Äh... ja", antwortete ich, perplex. Warum hatte sie mich nichmal angesprochen? Hatte ich etwa so schlimm seufzt?
Ihr Blick wanderte prüfend einmal an mir auf und ab, bevor sie mir wieder in die Augen sah.
"Bist du dir sicher? So herzzerreißend wie du grad geseufzt hast, dachte ich, dass du vielleicht Hilfe brauchen könntest. Ich dachte du brichst vielleicht gleich in Tränen zusammen, weil dein Freund vorhin mit dir Schluss gemacht hat, oder irgendjemand aus deiner Familie verstorben ist, oder sowas in der Art", meinte sie. Ihr brennender Blick schien sich unterdessen einen Weg in meine Seele zu bahnen. Das sowas überhaupt möglich war... So ein Gefühl zu verspüren meine ich. Sie ist gruselig! Oder hat euch schonmal jemand Wildfremdes gefragt ob alles okay mit euch wäre und hat euch dann so angesehen, als wollte er in euer Innerstes eindringen und schien obendrein auch noch dabei zu sein, dieses Ziel zu erreichen? Nein? Gut, denn bis heute hatte ich noch mal eine Ahnung, dass es Menschen geben könnte, bei denen man tatsächlich so ein Gefühl bekam. Meine Einschätzung deshalb: Sie war gruselig!
"Oh wie unhöflich von mir. Ich bin Jana.", stellte sie sich vor und lächelte mich strahlend an.
"Lea", meinte ich nur knapp und drückte meine Bücher, welche ich vorhin, als ich von dieser Jana überrascht worden war, an mich gedrückt hatte, nun fester an mich.
"Ich bin im dritten Semester und du bist - lass mich raten - im ersten Semester, oder? Brauchst du vielleicht meine Hilfe?", fragte Jana und grinste mich freundlich an.
"Ähm... Nein danke. Passt..."  versuchte ich mich herauszureden. Wie kam ich hier bloss am schnellsten weg? Leicht panisch blickte ich mich um. Ihre Art machte mir ein wenig Angst.
"Ich hab dich grad ein bisschen überfallen kann es sein?", setzte sie nun zu einer vorsichtigen und leicht geknicken Frage an.
"Leicht...", antwortete ich nur knapp und krallte mich an meinen Büchern fest. Ihr Blick bohrte sich nun nicht mehr so in mich, dennoch war sie mir nicht ganz geheuer.
"Tut mir leid. Das war nicht meine Absicht. Das passiert mir immer. Also, dass ich andere so überfalle. Ich dachte nur, du braucht vielleicht jemand zum Reden, oder zuhören, oder einfach jemand der für dich da ist. Also zumindest dachte ich das aus deinem Seufzen herausgehört zu haben...", sprudelte es nun aus Jana heraus.
Ich entspannte mich wieder ein wenig. Eigentlich hatte sie schon recht! Ich bräuchte tatsächlich mal jemanden, der für mich da war. Also mal abgesehen von meiner Oma, die ja meine Familie war, und Louis, der mein Freund und obendrein ein Junge war. Eine Freundin oder sowas wäre gut. Mit der ich über Dinge reden kann, über die ich mit den Beiden nicht reden konnte. Aber so ein Glück war mir wohl nicht vergönnt...
"Dein Blick sagt mir, dass ich einen wunden Punkt getroffen habe. Also habe ich recht!", meinte Jana zufrieden und unterbrach somit meine Gedanken.
"Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du gruselig bist?", platzte es dann genervt aus mir raus. Mist... So hatte ich das eigentlich nicht formulieren wollen, aber vielleicht hielt sie jetzt endlich mal ihre Klappe.
"Ja, schon häufig.", beantwortete Jana - zu meinem bedauern und überraschen - meine Frage und grinste mich schief an, "Aber mich interessiert das nicht wirklich. Du kannst von mir denken was du willst. Ich dachte bloss ich könnte dir behilflich sein." Bei den letzten Worten legte sie den Kopf leicht schief, als wäre ich hier die Komische und nicht sie.
"Alles gut.", versuchte ich sie abzuwehren.
"Ok. Aber falls du doch mal was von mir brauchst. Mich findest du eigentlich immer hier. Ich helfe dir gerne. Freut mich deine Bekanntschaft gemacht zu haben, Lea.", sagte sie und drehte sich dann in einer schnellen aber eleganten Drehung um. Zum Abschied hob sie kurz die Hand. Ich sah ihr nach bis sie un die Ecke verschwunden war.
Erleichtert atmete ich aus. Was ein schräger und gruseliger Vogel. Aber bis auf ihren gruseligen Blick und ihre aufdringliche Art, war sie eigentlich nett gewesen. Und sie hatte mir ja auch nur helfen wollen.

ParasiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt