5//Anemones and red carnations

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Nervös sitze ich im Wohnzimmer. Ich werde mich dafür hassen, ganz sicher. "Mum?" Sie sah mich aufmerksam an. Ich wusste, ich konnte ihr so etwas anvertrauen. "Ich möchte Jimin sehen." Auch, wenn er nicht der sein wird, den ich losgelassen habe. Sie setzte sich aufrechter hin, sah mich aus großen Augen an, unfähig etwas zu sagen. "Wirklich? Hast du es dir gut überlegt?" Ich nickte leicht. Mein Herz schlug mir viel zu schnell in der Brust. "Ja, ich möchte zu ihm." Meine Mutter atmete tief durch, schien zu überlegen. "Ist gut, ziehe dich an."

Denn jetzt. 6 Monate nach seinem Vorfall, da konnte ich nicht anders. Schließlich war endlich Juni. Ich hatte lange genug gewartet und er auch und was für ein bescheuerter Freund bin ich, um ihn noch länger nicht besuchen zu wollen? Ich wollte nichts mehr falsch machen, auch, wenn ich dabei zu Grunde gehe. Er hat es verdient. Er hat viel mehr Liebe verdient. Damit er endlich aus seinem Albtraum erwachen kann, damit er endlich glücklich sein kann. Damit ihn niemand mehr stört, niemand hindert. Er hat einen tollen Freund verdient -sicher war ich das nicht, aber zurücktreten werde ich nicht mehr.

Aufgeregt und nervös machte ich mich fertig. Ich hatte genug geweint, getrauert und gewartet. Ich hatte die Nase voll. Von allem und gerade im Moment wurde die Sehnsucht so groß, dass ich nicht mehr konnte. Ich zog mir meine Jeans an und ein weißes Shirt. Ich wollte aussehen, wie immer. Auch, wenn es der erste Besuch wird. 

Im Auto war es viel zu still, trotz des laufendem Radios. "Denkst du, er wird sich über Blumen freuen?", fragte ich meine Mutter leise. Sie lächelte mich an, bevor sie wieder auf die Straße sah. Ihre Haare waren immer noch ungewohnt kurz. Aber sie hatte sicher einen Grund, sie abgeschnitten zu haben. "Sicher. Was sind seine Lieblingsblumen?" Wie bitter. Ich presste die Lippen aufeinander, sah aus dem Fenster. "Weiß ich nicht. Ich bringe ihm einfach Rosen mit." Er hasste Rosen... 
Wir fuhren an einem Friedhof vorbei. Der Anblick schmerzte mir.  Er machte mich so traurig. "Ich schaue mir im Laden hübsche Blumen an, Mum." Sie bog um. "Gut." Ich wollte ihm eine Freude machen. Auch, wenn er mich wahrscheinlich nicht mehr sehen wollte. Nicht, nachdem ich...

"Soll ich mitkommen, Yoongi?", fragte meine Mutter besorgt. Ich sah mir die Blumen in meiner Hand an. Anemonen und rote Nelken. Bunte Blumen für ihn. "Nein, ich schaffe das schon." Mein Lächeln wirkte bestimmt viel zu gezwungen. Und eigentlich hatte ich auch nicht das Gefühl, dass ich es schaffen werde. Langsam stieg ich also aus. Die grelle Sonne war schon jetzt viel zu warm und plötzlich fühlte es sich an, als wäre der Winter viel zu lange her. Sein Winter. Ich seufzte auf und lief los. Mein Bauch kribbelte mir. Ich werde dich endlich wiedersehen. Ich war wirklich schrecklich nervös. Ich fühle mich verlassen. Ich möchte bei dir sein. 

"Hallo?" Schnell halte ich mir mein Telefon ans Ohr. Es war Jungkook. "Yoongi? Wo bist du?" Ich schluckte schwer, sah auf den Boden, sah auf die Blumen. "Wieso?" Er kicherte in den Hörer rein. "Weil ich bei dir klingel und du anscheinend nicht da bist." Ich trat von einem Fuß auf den anderen. Das Gras hier war so schön grün. "Achso. Dann musst du warten." Er seufzte auf. "Was machst du denn, Yoongi?" Ich schluckte schwer. Ich war wirklich aufgeregt. "Ich besuche Jimin." Die Worte verließen meinen Mund viel zu schnell und mein Herz klopfte mir aufgeregt, während ich auf seine Antwort wartete. "Scheiße. Jetzt?" Stille. Was sollte ich darauf antworten? "Du wolltest doch noch warten..." Ich weiß das alles. Ich weiß es doch. "Ich kann nicht mehr warten." Meine Stimme brach mir ab. "Ich werde jetzt auflegen, Jungkook. Wir sehen uns später." Ich konnte wirklich nicht länger warten. Ich liebe dich heiß und innig.

Aus Aufregung wurde Angst. Ich hatte Angst ihn zu sehen. Ich hatte so unfassbare Angst. Und dann sah ich wieder auf die Blumen. Vielleicht wären Rosen wirklich besser gewesen. Oder lieber anderer Blumen, die nicht so bunt waren. Vielleicht sollte ich auch einfach gehen. Langsam stieg ich die Treppen hoch. Die Sonne war viel zu warm. Ich atmete tief durch, dabei konnte ich meine Beine nicht mehr spüren. Alles in mir schrie danach endlich wieder zu gehen. Ich war feige, schon immer. "Jimin?" Ich war schon immer egoistisch. Ich klopfte zögerlich gegen eine massive, weiß gestrichene Holztür. Ich werde dich niemals gehen lassen.

Jimin war nicht tot.
Jimin lebte, weil ich ihn gerettet hatte und jetzt hasste er mich. Denn alleine wegen mir, konnte er das machen, was er wollte. Aber den Tod wollte ich für ihn nicht. Denn ich war egoistisch und ich wollte ihn bei mir haben. Jimin war nicht tot, weil ich ihn nicht habe gehen lassen.

Nightmare || YoonminWo Geschichten leben. Entdecke jetzt