Nina:
Draußen herrscht ein ungewohnt mildes Klima für diese Jahreszeit. Der Himmel
ist wolkenlos, die Temperaturen sind noch nicht ganz einstellig. Dennoch spüre ich es ganz deutlich. Ein Sturm zieht auf. Matthias spürt es auch. Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter. Seit Stunden haben wir das Hauptquartier nicht verlassen. „Noch immer keine Nachricht von Kaz?" fragt Wylan. Inej schüttelt den Kopf. „Er wird sich schon noch melden. Wer weiß, ob die Verhandlungen gut laufen." „Kaz ist Geschäftsmann. Niemand wagt es sich mit ihm anzulegen." entgegnet Jesper und spielt mit dem Lauf seines Revolvers herum. Ich verspüre nicht oft ein Gefühl von Ungeduld, aber diese Ungewissheit lässt mich wirklich verzweifeln. „Wir kommen bald hier raus" Matthias streicht mir sanft über die Wange. „Hoffentlich" sage ich. Manchmal bin ich es leid Kaz Schoßhündchen zu sein. Vor einigen Wochen hat er mir und Matthias mehr Freiraum gewährt, wir können kommen und gehen wann wir wollen, hatten sogar überlegt uns ein eigenes Wohnquartier in der Nähe des Hafens zu beschaffen. Aber sein Befehl nagelt uns hier fest. Ich könnte genauso gut wieder in Gefangenschaft sein. „Wir können nicht ewig hierbleiben. Jemand sollte ihm folgen" Wylan steht auf aber Inej packt ihn am Arm. „Nein! Du weißt doch wie Kaz auf Ungehorsam reagiert. Ich würde ihn an deiner Stelle nicht herausfordern" „Du hast leicht Reden, du bist auch seine Geliebte. Dir wird er nie etwas antun oder übel nehmen." Wylan lässt sich seufzend auf seinen Stuhl zurückfallen. „Auch ich halte mich an Regeln" meint Inej und dreht einen ihrer Dolche in der Hand. Wir beginnen uns bereits gegenseitig auf die Nerven zu gehen. Keiner von uns hat das Hauptquartier seit zehn Stunden verlassen. Wir sind Krähen. Man sollte uns nicht in einen Käfig einsperren. „Also wie vertreiben wir uns am besten die Zeit?" Wylan sieht Jesper an. In letzter Zeit sehe ich die beiden recht oft zusammen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich beinahe vermuten, sie finden einander attraktiv. „Sieh mich nicht so an" entgegnet Jesper. „Ich hab auch keine Ideen" „Aber du bist doch der Spielmeister. Meine Spiele enden alle in Explosionen" Wylan lacht und Jesper und Inej stimmen mit ein. „Also gut" Jesper erhebt sich und hält seine Revolver in der Hand. „Das Spiel ist ziemlich einfach" Er steckt die Waffen in seinen Gürtel. „Ich denke mir eine Person aus und ihr müsst erraten wer ich bin" Inej seufzt. „Super Idee, Jes" Doch Jesper lässt sich nicht beirren und beginnt wild zu gestikulieren. Dabei nimmt sein Gesicht einen so merkwürdigen Ausdruck an dass ich mich vor Lachen kaum halten kann. „Ein Seekranker!" rät Wylan. „Nein, für mich sieht das eher aus wie eine Krake" mutmaßt Inej. „Nina?" fragt Jesper. „Was denkst du?" „Für mich sieht das aus als wärst du auf Drogen" sage ich und lache. Jesper grinst. „Nicht ganz, Matthias? Was ist deine Vermutung?" Mein Freund räuspert sich. „Der Pirat den wir vor zwei Tagen auf dem Schwarzmarkt überführt haben" sagt er und Jesper nickt. „Richtig!" „Ein Pirat?" Inej schüttelt den Kopf. „Sorry, Jesper aber das sah sowas von nicht piratisch aus" „Euch allen fehlt die Fantasie" erwidert Jesper und will noch etwas hinzufügen, aber plötzlich wird die Tür aufgerissen und eine Frau stürzt herein. Sie wirkt panisch, ihre Augen sind weit aufgerissen und das rote Kleid welches sie trägt ist zerknittert und schmutzig. „Kaz Brekker!" keucht sie. „Wo ist Kaz Brekker, ich muss ihn sprechen!" Mit einem Ruck haben wir uns erhoben. Vorbei ist die Langeweile. „Er ist momentan nicht hier" erwidert Inej. „Können wir Ihnen vielleicht weiterhelfen? Wir gehören zu seiner Gruppe" Die junge Frau wirkt so blass, ich befürchte sie könnte jeden Moment das Bewusstsein verlieren. „Setzen sie sich erst einmal" Jesper bietet der Frau seinen Stuhl an und sie lächelt ihn dankbar an. „Was genau ist passiert?" frage ich. „Sie können offen reden, sie haben vor uns nicht zu befürchten, Miss...?" „Juliette, mein Name ist Juliette." Die Frau beginnt nervös an ihrer Kette zu spielen. „Ich wurde beraubt" Ihre Stimme zittert. „Dabei habe ich niemandem ein Unrecht getan. Ich war alleine im Haus und habe unsere Einnahmen gezählt. Dafür ist sonst mein Mann zuständig, aber er ist momentan unterwegs. Plötzlich kamen sie, haben die Fenster eingeschlagen und mich überfallen. Mich mit ihren Pistolen bedroht, ich war wehrlos, ich konnte nichts machen. Sie haben mein ganzes Vermögen mitgenommen. Den Tresor, das Geld. Es ist alles weg" Die Frau hält sich die Hand vor den Mund und schüttelt den Kopf. Tränen schimmern in ihren Augen. „Der Besitz war alles was ich habe" „Ganz ruhig" erwidere ich. „Es wird alles wieder gut, das verspreche ich Ihnen" Sanft streiche ich der Frau über den Rücken. „Wer hat sie beraubt?" will Jesper wissen. „Es waren Banditen. Ich weiß nicht wer sie sind. Aber sie hatten einen Stern auf ihrer Uniform" „Das ist eine Gruppe radikaler Gläubiger" entgegnet Wylan. „Störenfriede, die sich uns immer wieder in den Weg stellen. Sie glauben sie handeln im Namen von Gott" „Das ist doch lächerlich" Die Frau schüttelt schockiert den Kopf. „Ich habe nichts verbrochen. Ich war Gott nicht unwürdig" „Reichtum ist für sie eine Sünde" erwidert Matthias. „Deswegen haben sie Euch bestohlen" „Keine Sorge" Ich schenke der Frau ein sanftes Lächeln und drücke ihre Hand. „Sie bekommen ihren Besitz zurück. Dafür werden wir sorgen" „Vielen Dank. Ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Ich werde für immer in eurer Schuld stehen. Wie kann ich das wieder gut machen?" „Nun ja, wir sind Geschäftsleute. Was für ein Anteil springt für uns dabei raus?" fragt Jesper und sieht die Frau an. „Ich verstehe" Juliette legt ihre Hand aufs Herz. „Ich verspreche euch hiermit euch die Hälfte meines Besitzes zuzuschreiben, vorausgesetzt ihr bringt ihn mir heil und vollständig zurück." „Darauf können sie sich verlassen" erwidert Jesper grinsend und auch Wylan scheint angetan. „Ich weiß nicht" Inej zögert. „Können wir ohne Kaz Zustimmung einen Deal abschließen?" „Die Frau ist in Not" sage ich. „Hierbei geht es nicht ums Geschäft sondern um ein Menschenleben" „Außerdem" fügt Matthias hinzu. „werden wir so schnell wieder zurück sein, dass Brekker unser Verschwinden nicht einmal bemerkt. Und dann verbannen wir diese Gauner ein für alle Mal aus unserer Stadt."
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Six of Crows Short Story
FanfictionEine Fanfiction von mir die ich 2017 nach dem Beenden von Six of Crows geschrieben habe ☺️ Damals hatte ich Band 2 noch nicht gelesen, mittlerweile natürlich schon