Kapitel 4

9 1 0
                                    

George zog mich an sich und küsste mich zärtlich. »Ich will nicht, dass du gehst«, murmelte er, und begann mich zu streicheln. Seine Hände auf meiner nackten Haut machten mich beinahe schwach. Aber nur beinahe. Ich löste mich von ihm und schüttelte den Kopf. »Ich kann unmöglich bleiben, George. Wie soll das gehen? Ich werde vor Scham eingehen, wenn Christy mich nur ansieht.«

»Du meinst, du könntest einfach so weggehen? Ich dachte, du liebst mich.«

Bei dem Gedanken, ihn nicht mehr zu sehen, bildete sich ein Kloß aus Tränen in meinem Hals, der sich einfach nicht hinunterschlucken ließ. »Das tue ich auch. Und bestimmt würde ich vor Sehnsucht nach dir verrückt werden, aber -«

»Aber was?« Erneut zog er mich an sich, küsste meine Stirn, meine Wange, meine Nasenspitze. Ich stieß ihn schweren Herzens von mir. »Ich kann nicht verantworten, dass eure Ehe kaputt geht. Für den Rest meines Lebens würde ich mich mit Vorwürfen quälen. Aber was ist mit dir? Hast du gar keine Gewissensbisse?« Er setzte sich aufs Bett und fuhr sich durchs Haar, ehe er mich mit einem Gesichtsausdruck ansah, zu dem mir nur ein Wort einfiel. Verzweifelt. »Doch, natürlich habe ich Gewissensbisse, Allie. Noch nie habe ich mich so schuldig gefühlt. Aber ich fürchte, ich ...« Er brach ab und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Pausenlos muss ich an dich denken. Ich sehe dein Gesicht vor mir, wenn ich im Cockpit sitze. Höre deine Stimme, dein Lachen, und wünsche mir nichts mehr, als dich zu spüren. Bei dir zu sein. Du bist so anders als Christy. So wild und lebendig. Du bist wie ein Wirbelsturm in mein Leben gefegt und hast mich mit dir gerissen.«

»Das wollte ich wirklich nicht, George. Bitte glaub mir das.«

Er nahm meine Hand und zog mich neben sich aufs Bett. »Natürlich weiß ich, dass du mich nicht absichtlich verzaubert hast. Das war auch ein Grund, warum ich mich in dich verliebt habe.«

Ratlos starrte ich vor mich hin. »Was sollen wir denn jetzt machen?« Eine Weile schwiegen wir und grübelten vor uns hin.

»Was hast du vorhin gesagt, ich meine, von deinem Verlag und irgendwelchen Appartements?«

»Sie haben welche für ihre Angestellten. Ich könnte mich für eins davon bewerben.«

George nickte. »Tu das. Sie sind vermutlich in der Nähe deines Arbeitsplatzes?«

»Ja, sogar im selben Gebäude.«

»Perfekt. Das ist doch ein guter Grund, um dorthin zu ziehen. Und ich werde dich besuchen, so oft ich nur kann.«

Wenig später ließ er mich nach einem zärtlichen Gute-Nacht-Kuss allein zurück. »Es sind vermutlich nur ein paar Tage, die stehen wir gemeinsam durch«, hatte er noch gesagt, ehe er leise die Tür von außen schloss. Ich stand auf und stellte mich vor den Spiegel, der in den Kleiderschrank eingelassen war. Das Gesicht, das mir entgegensah, kam mir fremd vor. Meine Augen sprühten nicht mehr, meine Mundwinkel waren herabgesackt. Als würde ein Gewicht sie nach unten ziehen. Ein weiteres Gewicht schien an meinem Herzen zu hängen. Es fühlte sich unerträglich schwer an. Ich drehte mich um und betrachtete nachdenklich den halb gefüllten, offenen Koffer auf meinem Bett. Dann ging ich langsam zu dem Regal mit den Fotos hinüber. Ich nahm das von Christy, George und den Kindern in die Hand und betrachtete es, während mir die Tränen über die Wangen liefen. Was hatte ich nur getan? Ich war eine Teufelin, die sich als Freundin getarnt hatte. Wenn ich je wieder ruhigen Gewissens schlafen wollte, gab es nur einen Weg für mich.

Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Inzwischen war es nach neun. Gut möglich, dass Christy bald nach Hause kam. Ich musste mich beeilen. Also packte ich den Koffer fertig, zog mich an und rief von meinem Handy aus ein Taxi. Wehmütig ließ ich ein letztes Mal meinen Blick durch mein Zimmer schweifen. Ich hatte mich so unglaublich wohl hier gefühlt. Nun aber konnte ich keine weitere Nacht hier verbringen, wenn ich nicht völlig die Achtung vor mir selbst verlieren wollte. Das Wohnzimmer war leer. George befand sich offenbar im ersten Stock. Ob er schon schlief? Nein, das kam mir unwahrscheinlich vor. Vermutlich überlegte er, wie er Tommy davon abbringen konnte, Christy über seine prekäre Entdeckung zu informieren. Ich zweifelte daran, dass ihm das gelingen würde. Aber wenn er es schaffte, würde mir ein Stein von der Größe einer Boing 747 vom Herzen fallen. Denn eines wollte ich auf jeden Fall vermeiden; dass Christy irgendwie erfuhr, was geschehen war. Sie durfte nicht verletzt und gedemütigt werden.

You've reached the end of published parts.

⏰ Last updated: Dec 29, 2019 ⏰

Add this story to your Library to get notified about new parts!

Chaos der GefühleWhere stories live. Discover now