# 24 Annie - Zusatzaufgabe

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Zuerst kann ich ihn nur anstarren. Ich weiß nicht was mich mehr schockiert. Die Tatsache, dass er hier ist. Dass er einer der Männer war, die für das Massaker heute Morgen verantwortlich waren. Dass er mich jetzt an den Händen anfasst, als wären wir Freunde, geradezu Vertraute. Oder dass er anscheinend einer der Elite Hüter geworden ist. Ich sehe mich um, doch von seiner Partnerin ist nichts zu sehen. Der Gang ist leer bis auf uns. „Nimm. Sofort. Deine. Finger. Von. Mir.!", presse ich jedes einzelne Wort zwischen meinen Zähnen hervor.Vollkommen schockiert über meine Reaktion, tut Luca, was ich ihm befohlen habe. „Bitte beruhige dich, ich bin hier um dir zu helfen!"„Helfen?", echoe ich ungläubig. „Du hast mir bereits genug geholfen!"„Bitte, beruhige dich. Lass mich doch erklären, ich war es nicht. Aber das ist völlig egal, weil ich dir helfen werde. Ganz egal wie sauer du auf mich bist" „Nein!", schüttele ich wie wild den Kopf. „Ich bin nicht sauer auf dich! Es gibt gar keine Beschreibung für das, was ich fühle. Stinksauer! Wütend! Irgendeine Steigerung, die mir gerade nicht einfällt. Ich hasse dich! Hasse dich für das, was du mir und meiner Familie angetan hast! Halt dich fern von mir!", fauche ich und picke ihn mit meinem Zeigefinger in die Brust. Die Stimmen in meinen Kopf, die ihn irgendwie verletzen wollen, sind beinahe zu laut um ignoriert zu werden. Rasch hält er mich an meinem Handgelenk fest. „Warte, bitte. Ich möchte dir hier raus helfen. Ich dachte wir...", abrupt bricht er ab und mustert mich. Nach etwas suchend, was längst nicht mehr da ist.Will er seine Spielchen weiter führen? Er hat längst erreicht, was er wollte. Hat mein Leben zerstört. Die Zukunft meiner Geschwister und meiner Eltern vernichtet und er kann nicht aufhören zu tun, als würde ich ihm etwas bedeuten.In meiner Brust brodelt es. Der Schmerz von dem ich dachte, er wäre bei weitem nicht mehr so stark, lodert heiß und qualvoll wieder auf. Die Berührung seiner Haut auf meinem Handgelenk ist eine Mischung aus Prickeln und Brennen. Die tiefen Verletzungen in meiner Brust schreien gepeinigt auf. Er hat mich benutzt, um in seiner Karriere voran zu kommen. Nur, damit er seinen dämlichen Hütertitel bekommt und jetzt ein Soulcatcher sein kann.„Wenn du mich nicht gleich los lässt...", drohe ich ihm mit wild hämmernder Brust. Meine Lungenflügel sind kurz vor dem Kollabieren, obwohl ich nichts weiter tue als zu stehen.„Annie, ist alles in Ordnung?", erklingt eine rettende Stimme vom Eingang her. Vor Schreck lässt Luca meine Hand fallen. Schnell ziehe ich sie an meine Brust. Mit schräg gestelltem Kopf wartet Ava im Gang und schaut zu uns herüber. Ich will mir gar nicht vorstellen, was sie wohl gerade denkt. Den Moment nutzend, renne ich ihr quasi in die Arme und ziehe sie fort. Ava folgt mir, ohne auch nur ein Wort über das Warum zu verlieren.Trotz meiner wirren Gedanken kommen wir vor unserer Zellentür zum Stehen. Ich zerre meine Zimmergenossin hinein und lehne mich schnaufend an die Tür. Panisch sehe ich mich nach einem Gegenstand um, den wir als Schutz vor ungebetenen Gästen davor stellen können. Die beiden Stühle sind zu klein, um unter die Klinke zu passen. War ja klar, dass die Wärter auf den ältesten Trick der Welt vorbereitet sind. Wir Straffällige haben natürlich nicht das Recht auf Privatsphäre. Erschöpft lasse ich mich an der Tür zu Boden gleiten. Sperre die Welt um mich herum aus, indem ich meine Stirn auf meine angezogenen Knie lege und meine Arme um die Beine schlinge. Jetzt kann ich nur noch darauf hoffen, dass Luca nicht weiß in welcher Zelle ich untergebracht bin.Ava tut es mir nach und setzt sich neben mich auf den kalten Boden. „War das dieser Luca?"Schockiert sehe ich Ava an. Sie zuckt ein wenig verschämt mit den Schultern. „Du hast von ihm gesprochen. Im Schlaf. Beinahe jede Nacht", berichtet sie mir Häppchenweise als würde sie testen, ob ich die Wahrheit in kleinen Stücken besser vertrage.Laut stöhnend verstecke ich mich wieder zwischen meinen Armen. Das kann doch nicht wahr sein. Natürlich habe ich von ihm geträumt. Mehr als einmal, auch wenn ich es gern verdrängt habe sobald ich wieder wach war. Mein schlafendes Ich, hat ihn mehr als einmal weinend, wütend oder eine Mischung aus beidem, nach dem Warum gefragt. Den Kopf auf meinen Knien hin und her bewegend, imitiere ich ein Kopfschütteln. „Was macht er hier?"„Vielleicht will er dir erklären, warum er gehandelt hat, wie er es getan hat."Erneut schaue ich Ava mit großen Augen an. Ihr Mund verzieht sich zu einem entschuldigenden grinsen. „Du redest ziemlich deutlich, wenn du träumst."Stöhnend gehe ich in meine Ausgangsposition zurück. „Was weißt du?" Meine Stimme klingt gedämpft und etwas näselnd durch den Druck meiner Kniescheiben auf meine Gesichtsmitte.„Nicht besonders viel. Eigentlich wiederholst du nur ständig seinen Namen und warum er dir und deiner Familie das angetan hat"Die Luft schwer ausatmend, entsinne ich mich an den Traum, den ich immer wieder nächtlich erlebe. „Ob es ihm wert war, das Leben von vier Menschen zu zerstören, wenn er dafür seine Abschlussprüfung besteht"Die Hände knirschend zusammen drückend, versuche ich den Schmerz zurück zu drängend, der sich wieder seinen Weg nach oben bahnt. Anscheinend habe ich nichts von dem verarbeitet, sondern alles nur in den Hintergrund gedrängt.„Ob alles nur gespielt war. Wie er nur so ein Arschloch sein kann", zählt Ava weiter auf.„Ist ja schon gut, ich habe es verstanden. Ich rede ziemlich viel" Gegen meinen Willen muss ich grinsen. Ich richte mich wieder auf, den Kopf nach hinten an die Metalltür lehnend. Ava richtet ihre Position nach meiner aus. Zusammen starren wir nun nach oben an die Decke.Ohne dass ich weiter darüber nachdenke, erzähle ich ihr alles. Von meiner Angst über die Verschmelzung, die erst alles ausgelöst hat. Von Danni und meiner Verurteilung bis hin zu meiner Ankunft in der Strafgefangenenanstalt.„Ich verstehe das nicht. Wieso passiert das?"„Meinst du das mit Luca oder mit der Frau, der du die Treppe hinauf geholfen hast?"Eine neue Welle Trauer und Hilflosigkeit schwemmt über mich hinweg. „Beides" Der Kloß in meinem Hals lässt meine Stimme fremd klingen. „Warum warst du im oberen Stockwerk und konntest mich vor Luca retten?", frage ich nach, um mich abzulenken und nicht in einem Strudel aus Selbstmitleid zu versinken.„Ich habe dich auf der Treppe gesehen. Als ich mich durchgekämpft hatte, um dir zu helfen, warst du plötzlich verschwunden. Zuerst dachte ich, dieser Ordnungshüter hat dich mit der alten Frau zu Kram gebracht"„Hast du das Drama mitbekommen?"„Ich glaube die halbe Einrichtung hat es mit angehört."„Kann dieser Tag eigentlich noch furchtbarer werden?"Ava schaut auf die Uhr an ihrem Handgelenk. „Nicht in den nächsten 30 Minuten bis zur Nachtruhe", prognostiziert sie sicher und zieht mich auf die Füße. „Komm, nach einer Dusche fühlst du dich gleich viel besser. Die Soulcatcher sind sich sicher zu fein um den Baddienst zu übernehmen. Keine Aufsicht heißt Duschzeit wann du willst" Skeptisch brummend lasse ich mich von ihr ins Bad und durch die Waschanlage scheuchen. Es ist ganz praktisch zusammen mit ihr die abendliche Hygieneroutine Seite an Seite durchzuführen. Denn abgesehen von der Duscheinheit, wo ich Ava nicht sehen kann, warnt sie mich stets vor dem Ablauf der Zeit, fertig zu werden. Auf meine Nachfrage hin wie sie das macht, zeigt sie mir ein Programm auf dem Gefängnisarmband, welches sie über die genaue zur Verfügung stehende Zeit an den einzelnen Stationen unterrichtet. Einen Zusatz, den man sich zusätzlich auf die Uhr laden kann, wenn man genug privilierten Punkte erarbeitet hat.„Im Grunde brauche ich sie nicht. Nach ein paar Wochen hast du den Rhythmus von ganz allein im Gefühl."Dennoch beneide ich sie um dieses Gadget, das durch kurze Vibrationen die verbleibenden Minuten anzeigt.Schweigend laufen wir zurück in unsere Zelle. Zur Salzsäule erstarrend erkenne ich, dass Luca davor wartet. „Oh nein, da ist er!" Schnell schlüpfe ich um die nächste Ecke.„Wow, er hat es wirklich auf dich abgesehen. Vielleicht solltest du dir anhören, was er zu sagen hat"„Niemals!", protestiere ich vehement.Ava atmet schnaufend aus. „Okay, dann werde ich ihn vertreiben" Ihr Handtuch locker über die Schulter werfend, läuft sie den Gang weiter vor, auf den wartenden Ordnungshüter zu.Egal wie angestrengt ich lausche, aus der Entfernung kann ich nicht hören, was die beiden sagen. Irgendwann taucht Avas Gesicht neben mir auf. „Er ist weg. Du kannst mit ins Zimmer kommen"Schnell husche ich in Sicherheit unserer vier Wände. „Was hast du ihm gesagt?"„Dass du unten vor der Trenntür zum Männerblock bist"„Und was noch?"„Nichts weiter. Ich habe dir heute geholfen, aber in dieser Sache werde ich neutral bleiben. Du solltest dir anhören, was er zu sagen hat. Vielleicht ist es ganz anders als du denkst"Die Augenbrauen zusammen ziehend frage ich: „Was kann man da Fehlinterpretieren? Es liegt alles klar auf der Hand. Er hat mich verraten, ich werde eingesperrt, er absolviert damit seine Abschlussprüfung"Ava zuckt mit den Schultern. „Ich kann verstehen, dass du verletzt bist. Aber welchen Grund sollte er haben, dir jetzt etwas vorzuspielen? Wenn es wirklich ist wie du sagst und er alles nur vorgetäuscht hat um dich dran zu kriegen, warum ist er dann wieder hier?"Ratlos reibe ich mir über die Stirn. „Das weiß ich nicht"„Würdest du es gern wissen?", mustert mich Ava mit wachen Augen.Zerknirscht presse ich ein „Ja" heraus.Ein kleines triumphierendes Lächeln umspielt ihre Lippen, bevor sie sich in ihre Laken kuschelt. „Dann wirst du wohl in den sauren Apfel beißen und ihn anhören müssen"„Auf wessen Seite bist du eigentlich?", grummele ich parallel zum quietschen meiner Bettfedern, als ich mich auf der Matratze ausstrecke.„Natürlich auf deiner" Ich kann Avas Lächeln zwar nicht sehen, da das Licht bereits ausgeschaltet und die Türen verschlossen wurden, aber dafür ganz genau hören.Es vergehen ein paar Minuten, in denen ich an die Decke starre, ohne etwas zu sehen.„Und Annie?", fragt Ava mit ernsterem Ton nach. „Das heute mit der alten Frau war nicht deine Schuld. Ohne dich hätte sie es nicht bis zur Hälfte der Treppen geschafft"„Danke", hauche ich leise, während meine Stimme vor Trauer versagt. Trotz meiner Dankbarkeit für ihren Versuch meine Schuld abzumildern, weiß ich es besser. Daniel hätte sich nie für die alte Elise interessiert, wenn ich ihr nicht geholfen hätte. Nur durch mich ist er auf sie aufmerksam geworden. Ich habe sie mit in mein Unglück hinein gezogen und dafür muss sie nun sterben.Extraschulden: -87 GeldeinheitenSchulden gegenüber dem System: -1.000.000 Am nächsten Morgen werde ich von allein wach. Es ist merkwürdig hell im Zimmer, was mich stutzig werdend lässt. Unruhig horche ich, doch kann nichts von den üblichen morgendlichen Geräuschen hören. Ein Blick auf die Uhrzeit an meinem Gefängnisarmband bestätigt mir, dass heute tatsächlich etwas anders ist als sonst.„Ava!", dränge ich meine Bettnachbarin panisch dazu, aufzuwachen.„Was ist?", schreckt diese abrupt nach oben. „Gab es wieder einen Angriff?" Die Farbe in ihrem Gesicht wird um einige Nuancen blasser.„Ich weiß es nicht. Wir sind nicht geweckt worden. Es ist bereits eine Stunde nach unserer üblichen Aufstehzeit. Draußen auf dem Gang ist nichts zu hören"Kurz lauscht sie, dann lässt sie sich hart auf die Matratze zurück fallen. „Annie, mach die Augen wieder zu. Heute ist Sonntag, da beginnt der Tag erst zwei Stunden später als üblich"„Oh. Aber da muss ich in der Bibliothek arbeiten!", versuche ich Ava wieder wach zu bekommen.„Ich auch. Entspann dich. Wir haben noch genug Zeit."Trotz ihrer beruhigenden Worte kann ich nicht mehr einschlafen. Irgendwann gebe ich es auf und schleppe mich zum Waschraum. Bis auf ein paar vereinzelte Mädchen und Frauen bin ich ganz allein hier. Nicht einmal die Ordnungshüterinnen, die normalerweise auf die Einhaltung der Zeiten schauen, haben ihre Posten angetreten. Ob das am Sonntagsmodus oder an der ominösen Krankheit liegt, weiß ich nicht.Zurück in der Zelle grummelt Ava warum ich überhaupt auf bin und sie gefälligst schlafen lassen soll. Deswegen beschließe ich, mein Glück im Essensraum zu versuchen. Vielleicht ist dieser bereits geöffnet und ich kann mir Zeit dabei lassen, das grauenhafte Essen in mich hinein zu stopfen.Tatsächlich sind die Türen des Saals bereits geöffnet. Auch hier sind kaum Leute. Anscheinend nutzen wirklich alle den Sonntag zum Ausschlafen. Zu meiner Überraschung gibt es ein durchaus annehmbares Rührei und belegte Brötchen in der Auslage. Diese stehen zur Verfügung, ohne dass sie jemand austeilt. Das Küchenpersonal hat scheinbar ebenso einen freien Tag, obwohl dieses aus Inhaftierten besteht.Ich setze mich an meinen Platz, den ich durch die fehlenden bekannten Gesichter schwerer aufspüren kann. Aber im Grunde ist es egal. Bis zur Beendigung meines Frühstücks befinde ich mich allein am Tisch. Ich spüre einen Blick auf mir ruhen und schaue von meinem Rührei auf, das ich bereits fast bis zur Hälfte geleert habe. Luca hat gerade den Raum in seiner üblichen schwarzen Soulcatcher Uniform betreten. Nur sein Helm fehlt. Unsicher schaut er zu mir. Ich sehe ihm an, wie er überlegt. Er wird es nicht wagen, zu mir rüber zu kommen, oder? So blöd kann er nicht sein! Jeder würde es mitbekommen! Ein Ordnungshüter geht an den Tisch, um sich neben eine Straffällige zu setzen? Das kann nur große Wellen schlagen. Die Kluft zwischen uns ist größer wie der Ozean. Wenn nur tatsächlich abertausende Liter Wasser zwischen uns wären, könnte ich vielleicht in Ruhe essen. Meine Glieder sind unter Strom, sodass ich keinen Bissen hinunter bekomme. Erst, als er sich wieder abwendet, kann ich mich wieder etwas entspannen. Erleichtert lockere ich meine Finger, die sich um den Griff der Gabel verkrampft haben. Gerade als ich weiter essen will, schnappe ich Daniels zufriedenes Lächeln auf. Er steht direkt am anderen Ende der Essensausgabe. Von dort aus konnte er den Moment zwischen mir und Luca genauestens beobachtet und hat ihn sichtlich genossen. Er war bei meiner Verhaftung dabei. Man braucht nicht besonders viel Grips um sich ausrechnen zu können, was Luca und mich verbunden hat. Daniel weiß das. Und liebt es, mich unglücklich zu sehen.Schnell senke ich meinen Kopf und schaufele weiter mein Rührei in den Mund. Als ob ich damit ungeschehen machen könnte, dass der verhasste Hüter mehr über mich weiß, als mir lieb ist.Ungeduldig warte ich darauf, dass Ava fertig wird und wir endlich aufbrechen. Ich wäre längst in Richtung Bibliothek gelaufen, wenn ich nur ansatzweise gewusst hätte, wo sie sich befindet.Kurz vor neun ist sie endlich fertig und wir steigen die Treppen in Richtung Knutsch-Zone herunter. Statt wie üblich nach rechts zum Speisesaal zu laufen, wenden wir uns nach links. Unsicher durchschreite ich das geöffnete Tor zum Männertrakt.„Jetzt komm schon, wir sind spät dran! Das Tor wird sich erst heute Abend wieder schließen, keine Sorge", errat Ava meine Zweifel. Schnell schließe ich zu ihr auf. Doch trotz ihrer Beruhigung fühle mich unwohl.„Warum liegt die Bibliothek im Männertrakt?", frage ich neugierig nach.„Keine Ahnung. Die Erbauer werden sich irgendwas gedacht haben", reagiert Ava leicht ungeduldig mit dem Blick auf die Uhr.Wir eilen weiter den Gang nach hinten. Müssen aber bald darauf nach links abbiegen, da das Gebäude eine rechtwinklige Form mit zwei gleichlangen Flügeln hat. Eins davon bildet den Bereich der Frauen, das andere den der Männer. Beim Vorbeilaufen erkenne ich viele Parallelen zu unserem Trakt. Vor dem Speiseraum der Männer befindet sind links ein kleiner abgetrennter Raum mit Schaufensterläden. Dahinter kann ich trotz der ausgeschalteten Lichter die vielen Regale voller Bücher sehen. Statt hinein zu gehen, warten wir vor der verschlossenen Tür. Nach und nach gesellen sich ein paar Häftlinge mit Büchern in den Händen zu uns. „Auf was warten wir?", erkundige ich mich leise.„Wir warten auf den Schlüsseldienst, Frau Singer. Aber sie ist immer ein paar Minuten zu spät, weil sie sich auf dem Gang verquatscht" Ava verdreht genervt die Augen. „Das werden wir alles aufholen müssen", schnaubt sie und deutet auf die Wartenden. Komischerweise sind es überwiegend männliche Insassen mit einem Buch in der Hand, was mich wundert. In meiner Schulzeit waren es fast ausschließlich Mädchen gewesen, die in ihrer Freizeit gelesen haben. „Leila ist auch noch nicht da. Ich hoffe sie kommt, sonst haben wir ein Problem"Gerade will ich fragen wer das ist, da kommt eine langbeinige schwarzhaarige Schönheit um die Ecke stolziert. Trotz der üblichen grauen Kluft, sieht sie absolut fantastisch aus. Ihre Hüften wiegen sich bei jedem Schritt. Schelmisch blinzelt sie ein paar der wartenden Männer zu. Plötzlich ist mir völlig klar, warum mehr Männer als erwartet zu Leseratten mutiert sind. Die langen seidigen Haare nach hinten werfend, schließt sie die Tür auf. „Frau Singer lässt sich entschuldigen, ich habe sie eben auf dem Hauptgang getroffen. Sie war in einem Gespräch und kommt nach, sobald dieses beendet ist"Kaum ist die Glastür geöffnet, schlägt mir der typische leicht modrige Geruch nach alten Buchseiten in die Nase. „Du bist die Neue, von der Ava erzählt hat? Das ist gut, wir suchen dringend jemanden, der uns aushilft. Bisher hat es niemand lang ausgehalten", spricht mich Leila an und stellt sich mir höflich vor. Ich nenne ebenfalls meinen Namen, was mir aber peinlich ist, weil wir von allen beobachtet werden. „Na dann mal rein in die gute Stube. Ava, ich halte euch zehn Minuten den Rücken frei. In der Zeit kannst du Annie unsere heiligen Hallen zeigen, damit ihr nachher schneller mit dem sortieren seid", instruiert sie uns und nachdem wir hinein gegangen sind, auch die wartenden Menge. „Okay Jungs und Mädels, ihr kennt das Prozedere. Je nach dem Zeitpunkt eurer Ankunft bestimmt ihr euren Platz in der Warteschlange. Kein Vordrängeln, kein Schubsen, es kommt jeder an die Reihe. In den ersten zehn Minute keine Buchan- oder Abgabe. Schaut euch in Ruhe um, sicher findet ihr etwas Schönes. Fragen an mich!", flötet sie fröhlich allen zu. Nicht einer murrt über die Verzögerung. „Wow, sie hat die Leute wirklich im Griff, oder?", raune ich Ava zu, die mich hinter den Tresen führt, wo die Karteikarten zu jeder Ausleihe lagern. Dort betätigt sie den Hauptschalter, der die Leuchtstoffröhren über uns aufflackern lässt. „Oh ja. Man munkelt, sie hat selbst einige der Ordnungshüter um die Finger gewickelt. Sie ist der Dreh- und Angelpunkt aller Informationen hier im Strafgefangenenlager. Wenn du irgendetwas wissen willst, gehst du zu ihr. Sie findet alles heraus. Zumindest wenn du angemessen bezahlen kannst"Geschäftig bedeutet mir Ava, ihr zu folgen. Wir treten in einen trotz beträchtlicher Größe vollgestopften Raum. Dort stehen ein Tisch und vier Stühle. Jeden weiteren Platz nehmen Regale über Regale voller Bücher ein, die in mehreren Reihen bis nach hinten zur Wand führen.„Alle Bücher die du hier siehst, sind nicht für die Gefangenen bestimmt. Deshalb ist jedes mit einem Schloss versehen. Die Ausleihe erfolgt nur an Gefängnispersonal. Abgesehen von dem klimpernden Metall erkennst du Bücher die hier her gehören an der Kategorie A am Buchrücken. Das ist die höchste Wichtigkeitsstufe", unterrichtet mich Ava und deutet auf das nächste in Reichweite befindliche Exemplar. Dann zieht sich mich nach draußen, wo sie mir in dem eigentlichen Bibliotheksraum die weiteren Abteilungen zeigt. Eigentlich ist es nicht schwer, selbst wenn man nicht weiß, wo es ist. Jedes Buch ist mit einer Kategorie und einer Zahl versehen, damit man jedem Werk seinen ursprünglichen Platz zurück geben kann.Die ersten Bücher können Ava und ich gemeinsam einsortieren, dann wird der Andrang zu groß und wir müssen uns aufteilen.Zwischendurch winkt mir Frau Singer zu, die mich in ein Gespräch verwickeln will, dass ich aber abkürze, als mir Ava einen bösen Blick zuwirft. Die Bibliothek ist zu jeder Zeit voll mit Strafgefangenen. Manche machen mir Angst, andere sehen vollkommen harmlos aus. Als wären sie nur zufällig hier und nicht weil sie eine Straftat begangen hatten.Ständig kommen weitere Insassen mit ihren ausgelesenen Büchern hinzu, die sie gegen Neue eintauschen wollen.Meine Füße brennen und dieses Mal sind nicht die Wunden an meinen Sohlen daran Schuld. Denn diese sind dank der guten Vorbehandlung von Lucas Spray schneller abgeheilt als üblich. Was nur daran liegen kann, dass die Hüter bessere Heilstoffe bekommen als der Rest der Bevölkerung.Es ist anstrengend, vor allem da die Luft hier im Raum schnell stickig wird. Ava und Leila führen ein strenges Regime. Alles geht hintereinander weg und ohne Pause. Das Ende der Arbeitszeit kommt dennoch vollkommen überraschend. Ich sortiere gerade ein weiteres Buch ein, als bemerke, dass niemand mehr vor dem Tresen wartet. Niemand bis auf einer. Und das ist auch noch der schrecklichste und furchteinflößendste Typ, den ich je gesehen habe. Er ist riesig. Die Strafgefangenenkleidung ist ihm viel zu klein. Der graue Stoff endet jeweils zehn Zentimeter vor seinen Händen und Füßen. Er hat sich einen dichten Bart stehen lassen, der ihn wild und ungebändigt aussehen lässt.„Ich will wissen, wer sie ist!", brüllt er Ava unvermittelt an.„Tut mir Leid, Jarno. Ich kann dir noch nicht sagen, wer es war. Ich habe noch keine genaueren Informationen"„Ich will es wissen, Leila! Ich will es von ihr hören was passiert ist! Und dann drehe ich ihr ihren dreckigen kleinen Hals um! Sie hat meine Mutter umgebracht! Meine Leute haben gehört wie sie gesagt hat, Elise wäre über ihren Fuß gestolpert! Also ist es ihre Schuld!"Vor Schreck bin ich wie gelähmt. Verstecke mich hinter dem großen Regal als wäre ich nur eins der Bücher.Ava fängt erschrocken meinen Blick auf. Dann marschiert sie schnurstracks zu dem Berg von einem Mann zu.„Ich weiß, wer es war. Ich habe es gesehen. Aber es ist nicht so passiert, wie es dir zugetragen wurde"Mit einer Schnelligkeit, die ich dem Mann nicht zugetraut habe, packt er Ava am Kragen und hebt sie um ein paar Zentimeter in die Höhe „Sag mir sofort wer sie ist"„Das werde ich nicht", knurrt Ava erschrocken aber mutig zurück. „Ich werde dich auspressen wie ein Orange, Mädchen, wenn du mir nicht gleich sagst..."„Ich war es!", rufe ich und stürme nach vorn. „Lass sie runter und ich erzähle dir, was wirklich passiert ist"Die Lippen wütend verzogen, lässt er Ava abrupt fallen. Diese stürzt, rappelt sich aber sofort wieder auf.Der Mann kommt mit großen schweren Schritten auf mich zu. Mit jedem Fuß den er voran setzt, wird mir mulmiger zumute.„Jarno, wenn du ihr etwas antust, hast du dein Leben lang Bibliothekverbot!", warnt ihn Leila hilflos.„Ist mir egal", brummt er und läuft weiter.„Du und alle Mitglieder deiner Phoenixtruppe!", setzt Leila sogar noch einen drauf aber es hilft nichts.Mit seiner riesigen Hand auf der eine wulstige Narbe prangt, packt er den Stoff meines Jumpsuits und zieht mich zu sich heran.„Du bist also diejenige, die meine Mutter auf dem Gewissen hat?", knurrt er mir bedrohlich zu.Die Augen nieder schlagend nicke ich. „Das stimmt"„Nein, Jarno nicht. Sie war es nicht, sondern dieser neue Ordnungshüter! Sie gibt sich selbst die Schuld, aber in Wirklichkeit wollte sie ihr nur helfen!", mischt sich Ava erneut ein.„Stimmt das?", verlangt er nicht minder angsteinflößend von mir zu wissen. Ich habe Angst in seiner Hand wie eine Fliege zerquetscht zu werden. In seinen vor Wut geweiteten Augäpfeln sehe ich mich. Verängstigt. Unfähig sich selbst zu helfen. Genau wie auf dem Appellplatz. Sie alle ängstigen mich zu Tode und ich lasse es zu! Plötzlich wütend werdend, wie ein Spielball herum geschubst zu werden, fauche ich Janos zornig an. „Wenn du wissen willst, was wirklich passiert ist, dann lass mich gefälligst runter" Von meinen Ton überrascht, stutzt er. „Sofort!"Wiederwillig setzt er mich sanft auf den Boden zurück. Noch immer wütend über die Behandlung ziehe ich mir den Jumpsuit wieder zu Recht.„Ja, ich habe Elise geholfen. Sie war kurz davor, an der Treppe zu scheitern. Also habe ich mich bei ihr untergehakt und ihr hinauf geholfen. Leider hat sie am Ende der Treppe die Kraft verlassen und sie ist gestürzt. Ich musste sie nach vorn stoßen, um zu verhindern, dass sie zurück fällt. Das hat der Ordnungshüter gesehen. Er hat sie davon geschleift wie seine Beute. Ich habe versucht sie mit einer Lüge zu retten, aber er hat mich durchschaut"„Dann war es gelogen? Sie ist nicht über deinen Fuß gestolpert?"„Nein. Sie hatte schlicht und ergreifend keine Kraft mehr"„Annie hat sie die letzten Stufen beinahe hochgetragen, Jarno. Ich kann das bezeugen" Überrascht über Avas Hartnäckigkeit blinzele ich verwirrt. Vor ein paar Tagen hätte sie mir am liebsten die Augen ausgekratzt. Jetzt steht sie mir zur Seite als wären wir schon immer beste Freundinnen.Der übergroße Mann überlegt. Nach einem leisen Schnauben tritt er erneut nah an mich heran. Ohne mich erneut einschüchtern zu lassen, funkele ich ihm entgegen. „Wenn das stimmt, dann hast du etwas gut bei mir!"Ich schüttele langsam den Kopf. „Nein, das habe ich nicht. Elise hat mich gerettet. Ohne sie wäre ich heute morgen erschossen worden. Ich wollte es ihr zurück zahlen, aber ich bin gescheitert. Du bist mir gar nichts schuldig"Mich lange musternd nickt Jarnos schließlich. „Verrate mir nur noch eins. Wer ist der neue Ordnungshüter, der sie festgenommen hat?"„Er heißt Daniel Rost" Ich öffne den Mund, um ihm weitere Informationen zu geben, aber Leila kommt mir zuvor.„Er kommt aus der nahegelegenen Siedlung. Dort wurde unehrenhaft entlassen. Er hat die Anstellung nur bekommen, weil er gut mit Herrn Kram befreundet ist. Sonst wollte ihn keiner"„Ist das wahr?", frage ich verblüfft.Leila nickt. „Soweit ich gehört habe"„Mir hat er erzählt, er habe die Stellung bekommen und sie sogar anderen entreißen müssen"Jarnos schnaubt. „Niemand will freiwillig hier arbeiten. Man tut es nur, wenn man es muss"„Warum wurde er entlassen?", hake ich bei Leila genauer nach.„Wegen Amtsmissbrauch. Ein Richter und zwei Ordnungshüter haben ihn angeschwärzt"Nachdem Janos gegangen ist, räumen wir gemeinsam die letzten Bücher weg. „Das war ein guter Tag! Mit vielen neuen Informationen, die sich gut verwenden lassen." Sie streckt sich mit verschränkten Händen in die Höhe, sodass es vernehmlich knackt. „So, du bist also der Neuzugang. Ich habe bereits viel von dir gehört"„Ach ja?", frage ich ungläubig.„Ja, die Neue mit dem riesigen Veilchen im Gesicht. Man sagt, du hast dich mit mehreren Ordnungshütern angelegt und gewonnen. Mal abgesehen davon, dass du hier gelandet bist. Die Hämatome sind blasser als ich sie mir vorgestellt habe, deswegen habe ich dich nicht mit den Erzählungen in Verbindung gebracht"Verblüfft starre ich sie an. Leila schlägt triumphierend ihre langen Beine übereinander und streicht sich die langen Haare aus dem Gesicht. Ich schätze sie nicht älter als meine Mutter, obwohl die vor mir sitzende sich deutlich jünger benimmt als sie aussieht.„Tja, nur auf diese Art und Weise kommt man an wichtige Informationen", berichtet sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen. „Einer hübschen, netten Frau vertraut man mehr Geheimnisse an als einer zahnlosen Alten"Ava schnaubt abfällig und verdreht die Augen. „Erzähl ihr ja nicht zu viel, Annie. Auch wenn sie nett aussieht, sie kann auch anders" Leila lacht. „Da hat sie Recht. Mit Janos, dem Anführer der Phoenixtruppe im Rücken, kann man sich viel erlauben"„Das war der Anführer der Untergrundorganisation?" Mir fällt die Kinnlade auf die Brust. Und mit dem Kerl habe ich mich angelegt. Ich muss lebensmüde geworden sein.„Das war er. Du hättest seinen Gefallen nicht ausschlagen sollen, vielleicht brauchst du ihn irgendwann. Wie man hört, hat dieser Daniel Rost es auf dich abgesehen. Wieso?"„Was bekomme ich für diese Informationen?", schiebe ich mein Kinn mutig vor und verschränke meine Arme vor der Brust.„Ah, ich sehe, du bist kein leichter Verhandlungspartner. Aber man muss wohl hartgesotten sein, wenn man sich mit Ordnungshütern prügelt" Sie seufzt und stützt sich mit ihren Armen auf dem Tisch auf, an dessen Kante sie sich gesetzt hat. „Du bekommst, was du mir gibst. Informationen. Durch mich kannst du alles erfahren, was du nur willst."Verdattert von all den Möglichkeiten, weiß ich zunächst nicht was ich wissen will.„War das neulich tatsächlich ein Anschlag der Rebellen? Man hört jede Menge Vermutungen, aber ich will eine klare Antwort"Leila zieht überrascht die Augenbrauen nach oben. „Wow, gleich eine hochgradige Frage. Dafür musst du mich mindestens mit einer gleichwertigen Information bezahlen"„Ich verrate dir alles über den neuen Ordnungshüter. Und schildere den kompletten Vorfall auf der Treppe" Leila zögert, bevor sie einwilligt. „Na gut, aber nur weil du dich heute wacker geschlagen und mir die Arbeit erleichtert hast. Normalerweise hätten mir diese Informationen nicht ausgereicht. Sie sind nicht annähernd brisant wie die Anschlagsgerüchte. Aber mehr vom neuesten Treppentot zu erfahren, kann nicht schaden. Gerade wenn man den Rang der Gefallenen bedenkt"Erleichtert nicke ich. Ausführlich beginne ich alles zu erzählen was ich weiß. Als ich den gestrigen Vorfall schildere, komme ich ins stocken. Traurigkeit sammelt sich zu einem dicken Klumpen um mein Herz, aber ich lasse nicht zu, dass es mich zusammen mit den Schuldgefühlen übermannt. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt zum Trauern. Nachdem ich geendet habe, stellt Leila mir noch ein paar zusätzliche Fragen die ich nicht alle beantworten kann. Zum Beispiel wer sich alles zum Zeitpunkt mit auf der Treppe befunden hat. Doch daran kann ich mich nicht erinnern. Dennoch scheint sie nicht unzufrieden. „Na gut. Das erleichtert es mir falsche Informationen auszusortieren, die ich heute in Erfahrung gebracht habe. Ich danke dir!" Sie holt ein Notizbuch aus der Tasche und notiert sich einige Informationen eilig. „Gut. Nun zu deinen Auskünften. Du möchtest wissen, ob die vergangenen Explosionen tatsächlich Gaslacks war, wie wir es von unserem guten Herr Kram erfahren haben?"„Nein, ich möchte wissen, ob es Angriffe der Rebellen waren", rieche ich die Lunte. Mit Leilas Fragstellung könnte sie sich mit einem einfachen „Ja" oder „Nein" herausreden und ich wäre nicht schlauer als zuvor.Leilas Augen blitzen anerkennend auf. „Schlaues Mädchen. Na gut, ich verrate es dir. Gehe sorgsam mit dem Wissen um! Die Wahrheit zu kennen, ist besonders hier im Strafgefangenenlager sehr gefährlich! Sei dir sicher, mit wem du die Erkenntnisse teilst. Es gibt auch unter den Insassen schwarze Schafe, die nur zu gern andere im Austausch gegen Gefälligkeiten ans Messer liefern"Ich winke ab. „Lass das meine Sorge sein!"„Gut. Dann weißt du ab nun, dass es tatsächlich Angriffe der Rebellen waren. Die Nachrichten die sie in den Medien verbreiten, stimmen nicht im Geringsten. Sie sind nicht an der Küste zerschlagen worden. Viel mehr haben sie es geschafft, die Hüter vernichtend zu besiegen! Sie sind hier! Mit ihren Mottenbomben greifen sie alles an, was mit den Hütern in Verbindung steht. Man sagt jedoch, bei Strafgefangenenlagern wie bei unserem sind sie besonders erpicht auf ein durchkommen."„Warum?", frage ich mit pochendem Herzen nach. „Überlege selbst. Du hast einen schlauen Kopf. Was könnten die Rebellen wollen?"„Uns!", reiße ich die Augen auf. „Sie brauchen Leute, die mit ihnen kämpfen können!"Befriedigt nickt Leila. „Richtig! Mit den Insassen bekommen sie die besten Kämpfer die man sich vorstellen kann. Wir alle hassen das System und könnten es nicht abwarten, es ihnen heim zu zahlen. Sie schenken uns die Freiheit und wir stürzen uns für sie in die Schlacht"„Aber sie haben das Lager noch nicht offen angegriffen!"„Wieder richtig." „Warum?", frage ich nach und bete, dass Leila mir die weiteren Informationen nicht vorenthält.„Sie sind noch nicht durch die Abwehrmechanismen des Strafgefangenenlagers gekommen. Wenn wir uns außerhalb der Schutzmauern aufhalten, sind wir durch die verschiedenen Arbeitsstätten zu verstreut, um effektiv viele von uns befreien zu können. Sie wollen einen großen Schlag landen, was ihnen aber noch nicht gelang. Bisher konnten sie nur unpräzise Mottenbomben platzieren, die die Geschütze an den Außenmauern zerstören sollten"„Aber wieso ist der Schaden so gering? Nach dem Angriff einer Mottenkugel in meiner Siedlung wurde ein riesiger Krater in die Erde gesprengt!"Leila zieht interessiert die Augenbrauen hoch. „Du hast einen Angriff von Mottenkugeln miterlebt?"„Ja, nachdem ich verurteilt wurde"„Erzähl mir mehr! In welcher Siedlung war das und vor wie vielen Tagen?"Ich nenne ihr die gewünschten Informationen, um meinerseits meinen Wissensdurst stillen zu können. „Wie genau funktionieren die Mottenbomben? Ich meine, wieso haben sie bisher nicht größeren Schaden angerichtet?"„Sie zielen von weit außerhalb, um bessere Chancen auf Flucht zu haben. Leider ist die Genauigkeit des Zielens eingeschränkt und die Wirkung nicht so groß. Soweit ich weiß, ist die Munition der Rebellen fast erschöpft, nachdem sie sich bis zu uns vorgekämpft haben. Sie warten auf eine Lieferung von außerhalb die noch nicht eingetroffen ist, weil das System ihren Nachschub blockiert"„Warum hat es so viele Wärter getroffen?"„Weil sie die Wachen vor dem Komplex verdoppelt haben. Und weil sie so dumm waren zu versuchen, die Sprengkörper zu entfernen. Dabei hat es nicht gerade wenige erwischt" Als wäre es ihr persönlicher Erfolg, grinst Leila diebisch.„Die Spuren haben sie mit einer Plane abgedeckt, damit wir es nicht sehen und zusätzlich behauptet das Personal ist krank!", schlussfolgere ich weiter.„Ja. Statt der Wahrheit wurden uns nur Lügen aufgetischt, aus Angst vor einer Rebellion von innen. Jetzt weißt du es, aber sei vorsichtig. Kram merkt, dass er in Bedrängnis kommt. Er ist jetzt gefährlicher als sonst. Er versucht uns mit Angst zu unterdrücken, damit wir den Aufständigen nicht zur Hilfe kommen"Nachdem Frau Singer mit einem Lesegerät unseren heutigen Arbeitstag am Klunker vermerkt hat, schlürfen Ava und ich gemeinsam zu unserer Zelle zurück. Zu meiner Überraschung zeigt mir Ava ihren Störsender, den sie als Kette getarnt mit sich trägt. Durch den hoch aufgeschlossenen Jumpsuit habe ich ihn nie gesehen. Nicht einmal, als wir zusammen im Bad waren. Als ich sie danach befrage, zuckt sie lässig grinsend mit den Schultern. „Da hatte ich die Kette auch nicht dran gehabt. Elektronik verträgt sich nicht besonders gut mit Wasser", gibt sie verschmitzt zurück. Dann wird sie wieder ernst. „Meine Warnung von vorhin war ernst gemeint. Vertraue Leila nicht zu sehr. Durch meine Arbeit in der Bibliothek habe ich so manche Dinge mitbekommen" „Ich pass schon auf"„Bitte, tu das! Ich kann es dir nicht verübeln, dass du mir nicht glauben willst. Immerhin war ich nicht besonders nett zu dir. Aber das wärst du auch gewesen, wenn du erlebt hättest, was ich durch habe! Leila tut, als wäre sie harmlos, dabei ist sie alles andere als das. Wenn es ernst wird, denkt sie an niemanden außer an sich selbst!"Als es zur Nachtruhe klingelt, lege ich mich seufzend ins Bett. Schließe die Augen und freue mich auf die einzige Entspannung, die mir hier möglich ist: Schlaf.Bevor ich jedoch in das Traumland gleiten kann, fällt mir siedend heiß eine viel wichtigere Frage ein. Wieso habe ich mich bei Leila nicht nach meiner Familie erkundigt? Der Gedanke diese Information nun vielleicht haben zu können, macht mich wütend und traurig zu gleich. Nun ist es amtlich. Ich bin eindeutig die schlechteste Tochter und Schwester der Welt. An besonders viel Schlaf ist nicht mehr zu denken.Extraschulden: -86Geldeinheiten zurückzuzahlen gegenüber dem System: -1.000.000

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