# 14 Annie - Warten auf das Urteil

61 5 0
                                    

„Ich bin schuldig", sprechen meine Lippen ohne mein Zutun in die Zelle hinein. Eine Gänsehaut läuft prickelnd von meinem Nacken aus herunter. Ich habe gestanden. Nun gibt es wirklich absolut kein Zurück mehr.Alle im Saal, einschließlich der Richter waren verblüfft gewesen über mein Geständnis. Es dauerte eine Weile, bis er sich dazu äußerte. „Vielen Dank", war das erste, das er nach mehreren Anläufen samt Räuspern von sich gab. „Wie bereits erwähnt, wird das Geständnis sich positiv auf die Urteilsfindung auswirken."Die mich zu erwartenden Konsequenzen drückten mich nieder. Ich konnte meinen Kopf nicht heben. Kam mir vor wie aus Blei. Bevor mich der Richter Veith entließ, forderte er mich auf zur Vervollständigung der Akten die Nacht vor drei Tagen wiederzugeben. Ich tat wie mir geheißen, erwähnte jedoch nicht eine Silbe über Danni oder seinem Haus. Wenn es nach dem Protokoll geht, war ich die ganze Nacht aus Furcht zurück zu kehren im Maisfeld herum geirrt. Niemand hatte Zweifel an meiner Version der Geschichte. Ich hätte mir sogar selbst geglaubt, wäre ich an der Stelle der Sachverständigen oder des Juristen gewesen. Lügen ist wohl nur eine Sache der Übung, stelle ich innerlich verächtlich schnaubend fest.„Wir ziehen uns zur Urteilfindung zurück.", gab der Richter bekannt, bevor die Gerichtsverhandlung durch einen lauten Hammerschlag beendete. Ich wurde von Liam wieder zurück in meine Zelle gebracht. Bald darauf brachte er mir das Frühstück, das ich gierig verschlang. Später folgte das Mittagessen bestehend aus einer warmen, nährreichen Suppe und eine Scheibe weichen Brotes. Die Minuten vergingen quälend langsam. Die Stunden glichen dem Umrunden der Erde um die Sonne. Niemand ließ sich blicken.Nur Liam besuchte mich und brachte die nächste Mahlzeit mit.Wie immer wenn der Zugang zu meinem Raum sich öffnet, schlägt mir das Herz bis zum Hals. Mein Puls beruhigt sich, als ich Liam mit dem Abendbrot erkenne. Mit einer merkwürdigen Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung seufze ich.„Noch nichts von Richter Veith?"Liam schließt erst die Tür, bevor er mir antwortet.„Nein, tut mir Leid."Vorsichtig balanciert er das Tablett mit einem heißen Tee und zwei belegten Schnitten bis zu meinem Bett. „Wenn du fertig bist, stellst du es einfach neben die Tür", weist er mich an und wendet sich dann zum Gehen.„Halt, warte!", bitte ich Liam nicht zu gehen. „Kannst du mir noch etwas Gesellschaft leisten, bitte?" Überlegend wendet sich sein Blick zu der Glühbirne über seinen Kopf, dann wieder zu mir. „Die Lampe funktioniert nicht", grummele ich leise und ziehe das mitgebrachte Essen vorsichtig zu mir herüber.„Das ist auch keine Glühbirne."„Nein, was ist es dann?" Irritiert starre ich an die Decke. Meiner Einschätzung nach ist das was dort von dem Kabel herabbaumelt eine handelsübliche elektrische Glühbirne. „Ich bin gleich wieder zurück" Liam verlässt die Zelle schnellen Schrittes, ohne eine Antwort auf meine Frage zu haben.Entgegen meiner Erwartung kommt der junge Ordnungshüter einige Minuten später zurück. Mit Schwung lässt er sich auf die Pritsche neben mich fallen. Mein Tee schwappt gefährlich bis zum Rand meiner Tasse, läuft aber nicht über. Ich werfe Liam einen vorwurfsvollen Blick zu. „Ups", grinst er nur und packt dann sein eigenes Brötchen aus.„Warum bist du aus der Zelle gerannt?", frage ich neugierig.Unruhig wandern Liams Augen hin und her. Unsicherheit flackert in seiner Miene. „Ist die Lampe in Wirklichkeit eine Kamera?", frage ich ihn aus dem Bauch heraus.Verblüfft starrt Liam auf das besagte technische Gerät. „Ja, woran hast du das erkannt?"Ich zucke mit den Schultern. „Gar nicht. Erst deine Reaktion hat mich auf den Gedanken gebracht. Es würde gut erklären, warum bei dem Druck auf dem Schalter nichts passiert. Und vor allem, warum ich letzte Nacht immer genau dann geweckt wurde, wenn ich eingeschlafen bin."Liam nickt. „Die eigentliche Lampe kann nur von außen von einem Hüter betätigt werden." Mit dem Finger zeigt er an eine Stelle über dem Türrahmen, aber ich kann nichts erkennen. „Und ja, die Kamera wird der Grund gewesen sein. Sie verfügt zusätzlich über eine Nachtsichtfunktion. Eigentlich ist dieser nur zum Schutz der Zelleninsassen gedacht. Wird aber von gewissne Leuten gern anderweitig ausgenutzt." Betroffen sieht er erst zu mir, dann auf sein Brötchen.„Jetzt ist sie ausgeschaltet?", versichere ich mich ein wenig nervös bei dem Gedanken, unter Beobachtung zu stehen.Grinsend wendet der junge Ordnungshüter seine Aufmerksamkeit wieder auf mich. „Nope. Ich habe ein Standbild über den Monitor deiner Kamera gelegt. Jeder der kontrolliert wird denken, du sitzt auf der Pritsche und verschmähst dein Abendbrot."Erleichtert beiße ich von der Schnitte ab. Liam tut es mir nach.Schweigend essen wir. Erst als ich den letzten Bissen gegessen und den Rest des heißen Tees getrunken habe, wage ich es zu sprechen.„Vielen Dank, dass du geblieben bist. Du glaubst gar nicht wie verrückt ich mir vorkomme. Ich glaube es fehlt nicht mehr viel und ich werde verrückt"Liam nickt verständnisvoll. „Ich glaube es dir. Aber ich kann dir versichern, es ist nicht die Absicht des Richters das bei dir auszulösen. Du hast Glück ihn zu haben. Er ist der strengste, aber auch der gerechteste von allen Richtern."„Das habe ich mir gedacht"„Du kannst mehr als froh sein, heute Morgen deine Verhandlung bei ihm gehabt zu haben. Alle die in den nächsten Stunden erwischt werden, landen bei der Krähe" Liam schüttelt sich angewidert.„Wer ist das?"„Ein Hüter der Gerechtigkeit, von dem du keines Falls verurteilt werden willst. Er ist ein Widerling." Erklärend richtet er sich gerade auf und sieht zu mir herüber. „Du kennst doch Daniel Rost"Die Lippen gefletscht bejahe ich seine Frage.„Er ist viel schlimmer als er."„Wirklich? Kaum vorstellbar, dass es Schlimmere als er existieren."„Nein, beileibe nicht. Schlimmer geht immer. Er spielt meisterhaft Psychospielchen mit den Angeklagten. Wenn du dich wehrst, dann legt er die doppelte Strafe drauf. Bleibst du ruhig, tut er es trotzdem. Er ist die Ausgeburt der Hölle"„Bei Richter Veith habe ich ein faires Urteil zu erwarten?", frage ich leicht zittrig nach.Liam nickt überzeugt. „Definitiv. Das ist auch der Grund, warum du noch nicht aufgerufen wurdest. Er bedenkt jedes Detail der Verhandlung. Lässt sich Zeit, ein gerechtes Urteil zu finden. Dein Fall ist wohl besonders schwierig. Lange hat er sich nicht mehr so viel Zeit genommen."„Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen" Jetzt, da wir über mein Urteil sprechen, rückt der Abgrund immer näher. Die Tiefe, vor der ich mich bisher gescheut habe nachzudenken, damit ich klar Denken kann. Ein riesiger Einschnitt in meinem Leben, den ich nicht abschätzen kann. Meine Glieder beginnen unkontrolliert zu zittern.Beruhigend legt Liam seine Hände auf meine eiskalten Finger. „Keine Sorge. Du bist in guten Händen. Du bist bei Richter Veith in Verhandlung und du hast Unterstützung vom inneren Kreis der Hüter"„Ach ja, von wem?", klappern jetzt sogar meine Zähne aufeinander vor lauter Aufregung.„Luca."Vollkommen geschockt stehe ich auf. „Wie bitte?"„Nein!" Wut wallt in mir auf. Am liebsten würde ich laut schreien und irgendetwas kaputt schlagen.„Beruhige dich, bitte Annie. Wenn wir auffallen, bekomme ich eine Menge Ärger!" Liam zu liebe, wende ich mich ab um ihn nicht anzufallen wie ein wildes Tier. Den Kopf an den erhobenen Arm gelehnt, stütze ich mich an die nächste Wand. Die Kälte die von den Mauern ausströmt, beruhigt meine aufwallenden Emotionen. „Ich will nicht, dass er sich einmischt. Er hat genug getan. Alles was er getan hat war nur für einen Zweck. Er wollte seine Prüfung absolvieren und das hat er jetzt. Seine sogenannte Hilfe bringt mich noch auf den Scheiterhaufen"„Aber Annie, er allein ist der Grund, warum du bei Richter Veith gelandet bist. Er hat ihn darum angefleht, deinen Fall zu übernehmen. Was denkst du, warum du eine ganze Nacht hier verbringen musstest? Normalerweise werden Fälle wie deiner viel schneller abgewickelt. Wir mussten darauf warten, bis Richter Veith seinen Dienst antritt. Luca hat mich gebeten, auf dich aufzupassen und dir zu helfen.", zählt Liam auf.Ich atme bemüht kontrolliert an die Wand. „Nein."„Wie nein?"„Ich wusste nicht, dass du mit ihm unter der Decke steckst. Geh. Ich brauche deine Hilfe nicht. Und vor allem, benötige ich nicht seine! Ich brauche seine Almosen nicht. Ich will nicht seine Reue. Er soll mich einfach in Ruhe lassen."„Annie, bitte sei doch vernünftig", bittet mich Liam zerknirscht.„Geh", knurre ich wütender. Erleichtert höre ich, wie der Riegel ins Schloss zurückfährt. Ich bin wieder allein.Irgendwann wache ich auf und öffne die Augen. Die vollkommene Schwärze um mich herum gibt mir eine ungefähre Einschätzung darauf, wie spät es ist. Ich bin wohl über meinen Grübeleien eingeschlafen.Meine Lider sind schwer. Es bedeutet mich eine immense Kraftanstrengung sie offen zu halten. Ich bin stark versucht, sie einfach wieder zu schließen. Der Schlaf ist zum greifen nahe. Liams Standbild tut wahre Wunder. Dank ihm kann ich etwas von dem Schlafdefizit der letzten Nächte aufholen. Beinahe bekomme ich ein schlechtes Gewissen ihn derart angefahren zu haben. Er wollte mir nur helfen. Die Position wechselnd, drehe ich mich auf der kleinen Pritsche um. Aber die alles vergessende Dunkelheit lässt auf sich warten. Unruhig zappele ich mit den Füßen. Irgendetwas stimmt nicht, aber ich bin mir nicht sicher was.Es dauert eine Weile, bis ich darauf komme was mir den Schlaf raubt. Was hat mich aufgeweckt?Ich lausche auf den Gang. Es herrscht Stille. Zumindest für die Dauer von drei Atemzügen. Dann kann ich das ferne knallen einer Tür hören. Schweres Schuhwerk nähert sich. Sie stoppen abrupt vor meiner Tür. Bald darauf höre ich den Schlüssel mühelos den Öffnungsmechanismus entriegeln.Mittlerweile habe ich mich im Bett aufgesetzt und warte angespannt darauf, welchen Besuch ich mitten in der Nacht zu erwarten habe. Wurde ein Urteil von Richter Veith gefällt? Sind die letzten Momente in meinem alten Leben nun gekommen?Die Helligkeit einer Lampe über dem Türrahmen erhellt den Raum und sticht in meine Augen. Schützend vor dem Licht halte ich die Hände hoch.Bevor ich ihn sehen kann, erkenne ich ihn an seiner überheblichen Tonlage. „Na aufstehen, bereit für den Gang an den Galgen?"Seine Worte lassen Stromschläge der Angst durch meine Körper fahren. Werde ich jetzt wirklich zum Tode verurteilt? Natürlich habe ich den Tod als Strafe in Erwägung gezogen, aber nie für möglich gehalten. Vollkommen schutzlos, meines visuellen Sinns beraubt, zerrt mich Daniel aus dem Bett. Mein Lebenserhaltungstrieb erwacht. Panisch versuche ich mich an der Pritsche festzuhalten, aber sie entgleitet meinen Fingern. „Nein!" Meine kläglichen Versuche mich gegen den viel stärkeren Ordnungshüter durchzusetzen, schlagen fehl. Nicht einmal im ausgeruhten Zustand hätte ich eine Chance gegen ihn. Allein die Angst vor dem baldigen Tod lässt mir Muskeln wachsen. Ich schlage und trete um mich. Doch trotz meiner Versuche hat er mich schnell wieder in die viel zu engen Handschellen gezwungen und auf den Gang geschleift. „Mach nur weiter! Wehre dich! Das gibt mir die Möglichkeit alles mit dir zu tun was ich will" Seine Freude darüber ist unübersehbar. Mein Verstand schreit mir zu, die Gegenwehr sein zu lassen. Aber die Todesangst hat das Steuer über meine Synapsen übernommen. Kein vernünftiger Gedanke bringt sie zur Räson. Obwohl mir das Metall in die bereits verletzte Haut drückt, wehre ich mich mit ganzer Kraft. Aus dem Augenwinkel sehe ich Daniels Faust auf mich zu schnellen. Der Reflex mich wegzuducken ist zu spät. Seine geballte Hand landet auf der bereits vorhandenen Schwellung unterhalb meiner rechten Augenbraue. Die Welt kippt. Oder bin ich es, die umfällt?Mühevoll erkenne ich nackte Wände, Gänge die ich entlang geschleift werde. Eine Bombe des Schmerzes detoniert hinter meiner Augenhöhle.Wir sind wieder auf dem Weg zum Verhandlungsraum.


SoulmateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt