15.02.2049
„Mama? Wo sind meine Socken?"
„Die Weißen oder die Schwarzen?"
„Die Grauen!"
„Ach, die sind noch in der Wäsche. Du musst heute mit einer anderen Farbe vorliebnehmen"
„Aber ich möchte die grauen Socken anziehen!"
Darf ich vorstellen? Das sind meine Mutter und meine Schwester an einem ganz normalen Montagmorgen. Dieser Wochentag läuft bei uns in der Familie immer besonders chaotisch ab. Schuld daran ist, wie eigentlich fast immer, dass Business unserer Eltern. Sie arbeiten beide als sehr, sagen wir mal „hohe Tiere", zweier konkurrierender Anwaltskanzleien. Dementsprechend gibt es öfter mal Streit auf Geschäftsbasis zwischen Mum und Dad.
„Schatz? Denkst du daran, dass wir heute Abend im „Moustache" essen gehen?" schreit jemand auf dem Wohnungsflur im Stock über mir.
Das ist mein Dad. Er ist meistens im Anzug unterwegs, weshalb sein Kleiderschrank größtenteils mit verschiedenfarbigen Hemden und diversen Smokings gefüllt ist. Seit Jahren kombiniert er sein Business-Outfit mit unauffälligen schwarzen Adidas-Turnschuhen, da er diese einfach bequemer findet, als irgendwelche Lederschuhe. Das, zusammen mit seinen dunklen, schon etwas angegrauten Haaren und der runden, blauen Gleitsichtbrille lässt ihn auf der Straße wie ganz normaler, freundlicher Vorstadt-Bürger wirken. Niemand würde auf den ersten Blick vermuten, dass dieser Herr mehrere Millionen auf dem Konto hat.
„Helen, Liebling, weißt du wo Mama meine blaue Krawatte hingelegt hat?"
„Nein, Papa. Vielleicht hast du sie im Bad liegen lassen?" antworte ich meinem Dad.
„Da hab ich schon nachgeschaut, da ist sie nicht. Ausgerechnet heute, wenn ich einen wichtigen Termin habe. Anke hat das sicher geplant, sie möchte mir einen Klienten wegnehmen!" meint Dad sauer und verschwindet schimpfend um die Ecke.
Ich selbst bleibe weiterhin in dem fliederfarbenen Ohrensessel im Flur sitzen und streichle Admiral, unseren Hauskater. Er ist ein ziemlich zutraulicher Geselle, der sich gerne mit Streicheleinheiten verwöhnen lässt und ist treuer als so mancher Mensch.
„Hey, hast du schon gehört? Juli und Tante Tessa kommen morgen zu Besuch", fragend schaut mich Clara an, während sie die Treppen hinunterläuft.
„Nein, das war mir neu. Weißt du warum sie vorbeikommen? Letzten Samstag waren wir doch erst bei ihnen zum Essen", meine ich darauf.
Clara zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung, vielleicht reden Dad und Tante Tessa nochmal über das Erbe von Oma und Opa."
Unsere Großeltern sind nicht mehr die Jüngsten, doch daran zu denken, dass sie in einigen Jahren vielleicht nicht mehr hier sind, schmerzt. Trotzdem kann ich verstehen, dass unsere Familie diese Angelegenheit so früh wie möglich geregelt haben will, schließlich starb mein Großvater mütterlicherseits auch von einen Tag auf den anderen aufgrund eines Herzinfarktes.
„Tschüss, Liebling", sagt Dad nachdem er aus dem Wohnzimmer in den Flur tritt, und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Das Gleiche wiederholt er noch einmal bei Clara. So sieht unsere Verabschiedung jeden Morgen aus, manchmal kommt noch so ein Satz wie „Viel Glück bei der Mathe-Klausur" oder „Schreib bitte dieses Mal keine 4 in der Klassenarbeit" hinzu.
Nachdem sich Dad auch von Mum verabschiedet hat -sie ist in der Zwischenzeit auch zu uns gestoßen- nimmt er seine lederne Aktentasche und verlässt die Wohnung mit einem „Denk an unser Essen heute Abend, Anke".
„So", wendet sich Mum an Clara und mich.
„Können wir auch los? Seid ihr fertig?"
„Ja, gleich, muss nur noch meine Jacke anziehen", sagt Clara während sie Admiral auf meinem Arm streichelt.
Da fällt Mums Blick auf den grauen Stubenkater in meinen Armen.
„Sollte Admiral nicht schon längst in seinem Zimmer sein und dort etwas spielen?" missbilligend schaut Mum mich an.
„Ich bringe ihn gleich hoch" meine ich darauf schuldbewusst und gehe mit Admiral auf dem Arm die Treppen hoch zu seinem Zimmer.
Er hat seinen eigenen Raum in der Wohnung, damit er nicht irgendwas kaputt macht, während er allein Zuhause ist. Erfahrungsgemäß hat er nämlich gerne seinen Spaß mit Mums teuren Vorhängen und dem hochwertigen Ledergarnitur im Wohnzimmer.
„Helen, beeil dich, ich habe gleich ein wichtiges Meeting", schreit Mum ungeduldig von unten zu mir hoch. Also setze ich Admiral schnell auf seinem Kratzbaum ab, sprinte die Treppen hinunter, ziehe meine Jacke an und hänge meine Schultasche über meine Schulter.
„Bin fertig"