Zitternd stand ich vor meinem neuen Klassenzimmer und holte tief Luft. Gleich würde ich meine Klassenkameraden nach den langen Ferien wiedersehen. Das hieß für mich, die Hölle würde wieder beginnen. Ich schüttelte leicht meinen Kopf, um diese Gedanken auszublenden und streckte meine Hand zur Türklinke aus, die ich dann herunter drückte. Schnell betrat ich das Klassenzimmer und setzte mich auf den einzigen noch freien Platz in der ersten Reihe, genau vor dem Lehrerpult, das sich auf der Fensterseite befand.
»Stummkopf hat ja doch nicht die Schule gewechselt«, hörte ich auch schon den ersten Kommentar von Luca und das altbekannte Gelächter von ihm und seinen Mitläufern ertönte lautstark.
»Und sie sitzt auch noch total alleine da vor dem Lehrerpult«, kommentierte Theo, einer dieser Jungs. Um meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, holte ich einen Block und mein türkisfarbenes Mäppchen heraus. Mein Blick glitt dabei hoffnungsvoll zur Tür. Ich war ziemlich spät dran, irgendwann musste unsere neue Klassenlehrerin, Frau Fischer, kommen. Doch diese verdammte Tür öffnete sich einfach nicht. Verkrampft starrte ich aus dem Fenster.
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Theo, Leon und Oliver auf mich zusteuerten. Ein kurzer Blick nach hinten verriet mir, dass Luca noch in der letzten Reihe saß und seinen Freunden zugrinste. Ich schluckte kurz und schaute eine Reihe weiter, in der Chloe mit ihren Freundinnen saß. Mit ihnen kam ich auch nicht gut zurecht. Sie unterstützten Lucas Mobbing. Als mein Blick weiter schweifte, traf er auf ein, mir noch unbekanntes, Gesicht mit einer wirklich hübschen Brille. Sie war golden, aber dennoch schlicht. Ich musterte die Unbekannte. Durch das Lächeln auf ihren Lippen wirkte sie sympathisch auf mich. Ihre braunen Haare wirbelten herum, als sie sich zu Cara, Leons Cousine, drehte und sie etwas fragte. Ziemlich sicher war sie neu hier an der Schule, ich sah sie zum ersten Mal. Bei diesen Gedanken biss ich mir auf die Lippe. Ich wollte nicht, dass sie gleich in der ersten Minute schon mitbekam, was hier ablief.
Ich landete ohne Vorwarnung auf dem Boden und holte erschrocken Luft. Die drei Jungs hatten den Stuhl unter mir weggezogen. Ich ballte die Hände vor Wut zusammen.
Das Gekicher von Chloe und dem Rest ertönte sofort. Ich richtete mich wieder auf. Mein Gesicht war bestimmt hochrot angelaufen, so fühlte es sich jedenfalls dank der aufkommenden Wärme in meinem Gesicht an. Ich nahm meinen Stuhl und wollte ihn wieder aufstellen, doch Leon versuchte ihn mir aus der Hand reißen. Ich umklammerte dabei den Stuhl so, als wäre er meine letzte Hoffnung. Mir war zum Heulen zumute, als ich hier hilflos stand und die Blicke der anderen brennend auf mir spürte. Plötzlich stieß Leon den Stuhl mit einem Ruck in meine Richtung und ich knallte gegen die Heizung neben meinem Platz. Ein höllischer Schmerz durchfuhr mein ohnehin schon schmerzendes Bein und ich keuchte kaum hörbar auf. Für einen Moment musste ich die Augen schließen, bis der Schmerz verebbte. Als ich diese wieder öffnete, waren die Jungs verschwunden. Irritiert schaute ich zu dem Platz, wo sie gerade vom zufrieden grinsenden Luca in Empfang genommen wurden.Als ich mich halbwegs sicher fühlte, setzte ich mich wieder mit wackeligen Knien. Verdammt, das fing ja schon super an, und ich blöde Kuh hatte auch noch die Hoffnung gehabt, dass meine Mitschüler über die Sommerferien wenigstens etwas reifer und vernünftiger geworden waren. Aber wie man so schön sagte, die Hoffnung starb zuletzt. Ich seufzte. Aber sie starb.
»Guten Morgen, wie ihr bestimmt schon wisst, bin ich eure neue Klassenlehrerin«, ertönte eine helle Stimme und ich zuckte erschrocken zusammen, worauf aus der letzten Reihe wieder Gelächter erklang. Ich senkte sofort meinen Kopf, damit mir meine Haare ins Gesicht fielen und so einen dichten Vorhang bildeten. Deshalb waren die Jungs also nach hinten zu Luca gegangen, obwohl das recht untypisch für sie war.
Befangen schaute ich nach vorne, ohne etwas Bestimmtes anzusehen, und spielte mit der linken Hand an meinen Haaren.
»Ich werde euch in Mathe und Physik unterrichten«, fuhr Frau Fischer fort und ich freute mich, auch wenn der Vorfall von gerade eben immer noch in meinem Hinterkopf herumschwirrte. Mathe gehörte zu meinen absoluten Lieblingsfächern. Der Großteil meiner Klasse dagegen stöhnte laut auf, als die Namen der beiden Fächer fielen.
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Mehr als nur extrem schüchtern | ✓
Teen Fiction~ Wattys 2021 Gewinner ~ Katharina kämpft seit Jahren gegen ihren ständigen Wegbegleiter: Den selektiven Mutismus. Sie macht nur langsam Fortschritte, denn sowohl ihre Mitschüler als auch ihre Lehrer machen es ihr nicht leicht. Von vielen wird sie n...