Prolog

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Halloween

In der abgelegenen Straße ist es stockdunkel. Die tiefhängenden Wolken der Nacht lassen dem Mondlicht nicht die geringste Chance, die dichtstehenden Bäume an den Straßenrändern zu durchleuchten. Immer wieder stolpere ich über verborgene Wurzeln und der lehmige Geruch nasser Blätter und Erde steigt mir in die Nase. Ich ignoriere die Kälte, die an meinen Beinen emporkriecht, die nur in einer dünnen Strumpfhose stecken. Während ich an Kürbissen vorbeirenne, die die Gehwege dieser Halloweennacht säumen, versuche ich meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Doch als ich seine Stimme hinter mir höre, renne ich. Die Zweige einer Hecke peitschen mir ins Gesicht und hinterlassen ihre kratzigen Spuren. Ich versuche schneller zu rennen. Ein Knacken hinter meinem Rücken verrät mir, dass er näher kommt. Er verfolgt mich immer noch. 

Ich muss es zu meinem Auto schaffen, dort bin ich in Sicherheit.

Meine Finger krallen sich um den Autoschlüssel, der wie ein letzter Hoffnungsschimmer in meiner linken Hand baumelt. Ein Rascheln im Unterholz lässt mich schreckhaft zusammenfahren. Der Übeltäter entpuppt sich als eine Maus, die über den blätterbedeckten Asphalt saust. Sie ist auf der Flucht, genau wie ich. Mein Atem beruhigt sich, als die rote Karosserie meines Autos spärlich unter einer flackernden Laterne zu erkennen ist, um dessen Licht ein Schwarm Mücken summt, die den bisher milden Herbst überlebt haben. Meine zitternden Finger haben alle Mühe den Schlüssel ins Schloss zu stecken und kosten mich wertvolle Sekunden. Zeit, die ich nicht habe, weil er jeden Moment um die Straßenecke biegen kann. Mein keuchender Atem verlangsamt sich, als ich das Leder des Fahrersitzes unter meinen Beinen spüre. Während ich den Motor starte, hämmert mein Herz wildgeworden gegen meine Rippen. Dabei schaue ich immer wieder in den Rückspiegel, doch bisher spiegelt sich darin nur die gestaltlose, tiefschwarze Nacht. Ich bin also noch allein. Kaum höre ich die Motorengeräusche, bewegen sich meine Finger fast automatisch zur Gangschaltung. Doch als ich etwas im rechten Augenwinkel neben mir sehe, erstarren sie dort. Meine Haut kribbelt, als würde ich unter Strom stehen, der meine Muskulatur lähmt, sodass ich mich keinen Zentimeter mehr bewegen kann. Die Tür wird aufgerissen, noch bevor ich irgendwie reagieren kann und bringt eisige Kälte mit. Eine Hand greift nach meiner, die noch immer in der Position ist, den ersten Gang einzulegen.

»Warum? Warum passiert mir das?«, frage ich mich.

Ich halte die Luft an, als seine Fingerspitzen wie spitze Nägel über meine Haut fahren. Er hat mich gefunden. Erschöpft von der Verfolgungsjagd laufen Tränen über meine Wangen. Als sein Lachen ertönt, presse ich mir die Hände auf die Ohren und fange an zu schreien...

The Girl Behind the GlassesWhere stories live. Discover now