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Ich stand vor dem Spiegel, die Augen rot und geschwollen, die Wangen fleckig und mit meiner Mascara beschmiert. Ich hatte wohl schonmal besser ausgesehen. Ich drehte den Wasserhahn auf, eiskaltes Wasser lief über meine Hände und ließ mich aufquieken. Zweifelnd sah ich auf meine nassen Hände. Wundert mich dass das Wasser nicht in Eiswürfeln aus dem Hahn lief. 

Oder so.

Ich riss mich zusammen, beugte mich über das Waschbecken und schüttete mir das kühle Nass direkt ins Gesicht. In dem Versuch, das schwarze Desaster in meinem Gesicht loszuwerden, rieb ich mit meinen schon vor Kälte tauben Fingern über meine Wangen und Augen. Zuletzt drehte ich den Wasserhahn zu und machte mein Gesicht mit einem Papiertuch aus dem Spender neben mir, trocken. Ich warf einen Blick in den Spiegel. Besser. Nicht gut. Aber besser.

Ich drehte mich um. wollte gerade den Waschraum verlassen, als jemand den Raum betrat. Gerade noch rechtzeitig, ging ich der nach innen schwingenden Tür aus dem Weg. Na super. Wie sollte es auch anders sein, stand vor mir, mit einem Schrecken in den blauen Augen, der Grund für meinen leichten Zusammenbruch. Esther räusperte sich, und schüttelte den Kopf, als sie mich, wieder gefasst, lächelnd ansah. 

"Jasmin!",sagte sie. "Tut deine Wange noch weh?". Mitleid wich statt der Freundlichkeit in ihren Blick. Eine Augenbraue hochgezogen, sah ich sie an, sehr viel selbstbewusster als ich mich momentan fühlte. Erstaunlich. wie schnell die Fassade hochgezogen war. Schnippisch antwortete ich: "Alles in Ordnung, danke." Esther zog ihren rechten Mundwinkel leicht herunter. Ihr hübsches Gesicht nahm einen schuldbewussten Ausdruck an. "Jasmin...", fing sie an, eine Hand auf meinen Oberarm legend. Ich schüttelte sie ab, und verschränkte meine Arme schützend vor meiner Brust. Ich spürte, wie die Tränen wieder hochkamen.

"Jasi, es tut mir leid." Mit einem Seufzen ließ sie die Hand, mit der sie mich wohl trösten wollte, sinken. "Das, gerade eben, nimm' dir das nicht so zu Herzen. War nicht so gemeint." "Sicher.", schnaubte ich nur, den Blick auf die Tür hinter meine Freundin gerichtet, in dem Versuch, die Tränen zurückzuhalten, die bereits gefährlich in meinen Augen brannten. 

Der schuldbewusste Blick verschwand, Esther zischte. "Übertreib' doch nicht so! Mit ein wenig Ärgern wirst du ja wohl noch klarkommen!" Ausdruckslos sah ich sie an. Lediglich ein Zucken meiner Mundwinkel verriet mich wohl. "Musst' nicht gleich heulen.", sagte sie, die Augen leicht rollend. Ich sah sie nur weiter an, während ich innerlich schrie. In meinem Kopf kämpften meine Gefühle gegen meinen Verstand. Sie hatte doch Recht? Sowas steckt man doch eigentlich locker weg. Es war doch nichts Schlimmes. Das Gelächter kam mir wieder in den Sinn. Ich schüttelte den Kopf, als ich in Gedanken wieder das Bild von Esthers Belustigung im Gesicht vor mir sah. 

Nein. Ich übertreibe nicht. Wenn es mir wehtut, dann ist es nicht Nichts. Dann war es auch nicht okay. Dann stecke ich das nicht einfach so weg. Oder? ich zweifelte. Übertreibe ich wirklich? Ich spürte eine Träne aus meinem Augenwinkel rollen. Erschrocken sah Esther mir hinterher, als ich wie der Blitz aus der Toilette stürmte. Bevor ich sie nicht mehr sehen konnte, sah ich, wie sie die Hand noch nach mir ausstreckte. Wohl in einem Versuch, mich zurückzuhalten. Ich ließ die Toilette hinter mir. Ohne ein bestimmtes Ziel zu haben, lief ich schnellen Schrittes den Flur entlang, bis ich kalte Luft in meinem Gesicht spürte. Überall auf dem Pausenhof standen Menschen. Überall Schüler verschiedenen Alters. In Grüppchen umherlaufend, als große Truppe Fußball spielend, oder paarweise tuschelnd an der Hauswand lehnend. Ich hörte lautes Lachen, aus allen Richtungen, Gespräche dröhnten in meinen Ohren, irgendwo kreischte ein Mädchen vor Schreck auf, worauf anschließend Gelächter zu hören war. 

Zu viel. Es war Zuviel. Weg hier. Einfach weg hier. Schnappatmung, mein Blick hetzte umher. Keine Luft! Ich kriege keine Luft! Doch, ich bekomme Luft! Ich muss Luft bekommen! Schnellerer Atem. Mir wird schwarz vor Augen. Orientierungslos drehte ich mich einmal nach links, einmal nach rechts, bevor ich den harten, steinigen Boden unter mir spürte.

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Tick-tock. Tick-tock. Tick-tock.

Ich saß auf einem Stuhl. Einem unbequemen Stuhl. Gebannt starrte ich auf das Glas Mineralwasser vor mir. Ich beobachtete, wie die Bläschen aufstiegen, und an der Oberfläche zerplatzten. Ich bildete mir ein, das Platzen wirklich zu hören, doch war es nur das Tippen der Sekretärin auf der mir gegenüberliegenden Seite des Tisches. Scheinbar gefunden habend, was sie gesucht hatte, hörte das Tippen auf. Stattdessen hörte ich das Klappern eines Telefonhörers, der in die Hand genommen wurde. Es piepte, als wohl eine Telefonnummer eingegeben wurde, worauf ein leises Tuten zu hören war. 

Ich nahm plötzlich eine Hand, die auf meiner Schulter lag, wahr. Leicht perplex sah ich von dem wirklich spannenden Wasserglas hoch, zu dem Gesicht, dem die Hand gehörte. Ein mildes Lächeln lag auf dem Gesicht eines Jungen,c den ich nicht kannte. Hinter ihm stand meine Geschichtslehrerin. Eine nette Frau, vermutlich die netteste Frau, die man in dieser Schule finden konnte. Zumindest die, die mir am sympatischsten war. Ich räusperte mich. 

Als hätte ihn der Blitz getroffen, zog der Junge seine Hand von meiner Schulter, und ließ sie schnell in eine seiner Jackentaschen wandern. In der anderen Tasche befand sich bereits die andere Hand. Sein Blick war auf den Boden gerichtet. Seltsam. Er war mir vorher nie aufgefallen. War er in meinem Jahrgang? Ich überlegte. 

Doch als ich die Sekretärin reden hörte, vergas ich diese Frage auf der Stelle. "...abholen? Sie hatte wohl...?", fragend blickte sie mich an, wohl in der Erwartung, dass ich den Satz vervollständigte. ich sah sie nur überrascht an. "Panikattacke.", vernahm ich den Jungen neben mir, wie er dieses Wort in seinen Jackenkragen murmelte. Fragend sah ich ihn an, doch konnte sein Gesicht kaum sehen, die eine Hälfte von der Jacke verdeckt, über die andere fielen seine Haare. in hellem Braun. "Wie Walnüsse...", kam mir in den Kopf. Als ich meine Lehrerin reden hörte, richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das Telefongespräch vor mir.

"Unsere liebe Jasmin hier hatte wohl eine Panikattacke. Jonas hat ihr aufgeholfen als ihr auf dem Pausenhof wohl schwarz vor Augen wurde und hat sie ins Sekretariat geführt. Auf dem Weg sind sie mir begegnet.", hörte ich die flippige Frau Meißner erzählen, was passiert war. In genau derselben guten Laune, in der sie auch über die Ermordung Caesars und dem Holocaust redete. Naja. Da war sie vielleicht nicht ganz so flippig. 

Als sie erwähnte, dass mir schwarz vor Augen wurde, erinnerte ich mich wieder. Während ich nur nebenbei mitbekam, wie die Sekretärin wohl meiner Mutter über das Telefon in ihrer manikürten Hand schilderte, erinnerte ich mich wieder an das Gefühl, dass ich verspürt hatte. Als würde ich keine Luft bekommen. Ersticken.

Ertrinken.

Ich spürte, wie zögerlich eine warme Hand auf meine Schulter gelegt wurde. Dankbar sah ich den Jungen, Jonas, an. Ich sah zwei große, braune Augen, hinter einer einfachen, schwarzen Brille, die sich schnell wieder auf den Boden richteten, als sich unsere Blicke trafen. Ich lächelte in mich hinein, als er sein Gesicht wieder in seiner Jacke vergrub.

Jonas.

"Eine halbe Stunde, dann holt dich deine Mutter ab.", wendete sich die Sekretärin an mich, während sie das Telefon hörbar zurück dorthin legte, wo es hingehört. "Du, geh' wieder zurück in deine Klasse.", sagte sie zu dem schüchternen Jungen. Schnell vergrub er die Hände wieder in seiner Jacke und drehte sich um. Schon fast zur Tür hinaus, auf dem Weg nicht einmal den Kopf gehoben, hörte ich, wie er mit einer tiefen Stimme ein leises "Gute Besserung" sagte.  Er war schon weg, bevor ich "Danke" sagen konnte.

Jonas mit den Haselnuss-Haaren.

Ich lächelte.

Schatten - Wie ich mich selbst verlorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt