Oktober NE 224 - Kapitel 3

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Ende Oktober saßen die graue Maus und ich beim Mittagessen an einem der vielen Sechsertische in der Mensa. Jetzt, zur Hauptessenszeit, war der Saal erfüllt von allerlei Essensgerüchen, Unterhaltungen der Studierenden und dem Scharren von unzähligen Stuhlbeinen auf dem Fliesenboden. Die Glasfronten an der Ost- und Westseite gaben den Blick auf Unigebäude und den Park frei. Die vielen, beeindruckend großen Hydrokultur-Pflanzen machten den ansonsten recht kahlen Saal wohnlicher.

Wir saßen noch nicht lange, als sich auch Mauerblümchen zu uns an den Tisch gesellte, das hatte sich irgendwie so eingebürgert. Bald danach winkte sie zwei gleich aussehende Mädchen mit kurzen, dunkelblonden Haaren zu uns, die sie als die Zwillinge Mona und Lisa vorstellten. Immerhin konnte ich mir ihre Namen sofort merken, auch wenn ich die Namenswahl ihrer Eltern nicht befürworten konnte.

„Habt ihr gehört? Luis und Klaus sind jetzt ein Paar. Oh, die zwei sind ja so süß zusammen", begann Mona gleich ein Gespräch. Oder war es doch Lisa? Egal. Wer mit wem zusammen war interessierte mich nicht.

Ich blendete das Gespräch der vier Mädels aus und stocherte missmutig in meiner Lasagne herum. Das Essen war das Schlimmste an meinem Dasein als Grundlose. Ich war da einen völlig anderen Standard gewöhnt. Bei uns war Fleisch tatsächlich ein Stück totes Tier und nicht diese im Labor gezüchtete Masse. Ein Ei kam bei uns aus einem Huhn und war keine chemisch erzeugte Eiweißmasse mit zugesetzten Mineralstoffen. Ein Apfelsaft war bei uns tatsächlich aus Äpfeln gepresster Saft und keine Farbe mit Aroma und zugesetzten Vitaminen. Ich überwand mich, stopfte eine Gabel voll Lasagne in meinen Mund und zwang mich, zu kauen. Lecker war was anderes.

„Das erste Semester ist schon bald vorbei", hörte ich Mauerblümchen erfreut sagen. Interessiert hob ich den Kopf und hörte der Unterhaltung wieder zu.

„Fahrt ihr in den Semesterferien auch alle nach Hause zu euren Eltern?", fragte Mona. Die anderen nickten kauend und schauten mich dann fragend an.

„Ich bleibe hier", sagte ich und widmete mich wieder intensiv meinem Essen, um klar zu stellen, dass ich nicht weiter gefragt werden wollte.

Nach einer Weile sagte die graue Maus: „Musstet ihr auf der Schule eure Lehrer siezen? Bei mir haben sich alle geduzt und mir kommt es jetzt komisch vor, die Dozenten zu siezen."

Mona zuckte mit den Schultern. „Reine Gewöhnungssache."

Lisa ließ ihre mit Lasagne beladene Gabel sinken. „Uns hat man erklärt, dass das aus Tradition heraus entstanden ist. Dass man Menschen mit mehr Erfahrung, die man als Lehrer wählt, aus Respekt siezt."

„Aber die Lehrer und Dozenten sind doch Grundlose wie wir?", fragte Mauerblümchen, „Warum sollten wir diese ansprechen wie Grundbesitzer? In Italien werden Lehrer nie gesiezt, ich finde das bei den Dozenten echt merkwürdig."

Da fragt mich mal, dachte ich. Eigentlich müssten die grundlosen Dozenten und Studenten mich siezen. In den ersten Wochen hatte ich mich stets konzentrieren müssen, nicht aus der Haut zu fahren, wenn sie mich einfach duzten. Unter Grundbesitzern war es aber ebenfalls Tradition, dass Schüler und Studenten ihre Lehrer und Dozenten aus Respekt siezten, auch wenn diese Grundlose waren. Wie Lisa richtig gesagt hatte: Reine Gewöhnungssache!

Sobald ich mit dem Essen fertig war, stand ich auf und brachte das Tablett zur Geschirrrückgabe. Nicht mal Roboter zum Abräumen der Tische gab es hier! Diese Universität war technisch gesehen noch in der Steinzeit. Dabei waren Roboter für solch stupide, anspruchslose Tätigkeiten wirklich erschwinglich. Ich nahm mir fest vor, den Vertreter von Petuchow Robotico Deutschland mal vorbeizuschicken, sobald ich meinen Abschluss hatte.

Aber jetzt erst mal eine möglichst hohe Punktzahl im ersten Semester erreichen. Motiviert trat ich auf den Hof und wollte noch kurz auf mein Zimmer, bevor ich zur Nachmittagsvorlesung in den Hörsaal musste. Da fuhr mir einer dieser nervigen Transportroboter in den Weg. Diese untermotorisierten, schlecht programmierten Klötze der Konkurrenz, die mir hier auf dem Gelände ständig in die Quere kamen, waren vor allem eins: billig. Aber Qualität hat eben ihren Preis.

Ich rächte mich, indem ich dem dummen Klotz fünf Mal in die Fahrbahn trat, so dass er stoppen musste. Danach blieb er wie erwartet endgültig stehen und meldete einen Fehler. So erbärmlich. Bestens gelaunt ging ich weiter. Sobald jemand vom uni-eigenen Roboterreparaturteam hier auftauchte, sollte ich besser nicht mehr hier sein.

Wie findest du Annas kleine Rache an dem Roboter, der ihr in die Quere kam?

Deine Sonja


Journalistin der GrundlosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt