Journalistin der Grundlosen

November NE 225 - Kapitel 1

Vasili saß mir gegenüber in der Mensa, einen Teller Nudeln vor sich und versuchte, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Das konnte ich gerade gar nicht gebrauchen.

„Kannst du dich heute ausnahmsweise aufs Brummen beschränken?", fragte ich ihn. Es klang genervter als beabsichtigt.

„So was hat tatsächlich noch niemand zu mir gesagt", antwortete er gekränkt und widmete sich intensiv seinen Nudeln.

Heute trug er Sportklamotten zum Abendessen, dazu gehörte auch ein eng anliegendes Tanktop. Ok, es war überraschend warm für Ende November. Aber ich konnte mich dadurch überhaupt nicht konzentrieren, weder auf mein Projekt noch auf seine Geschichte. Das machte der doch mit Absicht!

Aber ihn deswegen zu beleidigen, war auch nicht fair. Deshalb entschuldigte ich mich reumütig bei ihm und erklärte: „Ich muss morgen ein wichtiges Projekt abgeben und in dem Kurs brauche ich noch Punkte. Ich bin mit meiner Arbeit aber noch nicht zufrieden und muss mir dringend was einfallen lassen."

„Was höre ich da? Große Anna ist in einem Kurs nicht die Beste und auch noch spät dran mit ihrem Projekt?", fragte Vasili gespielt überrascht.

Ich sah ihn wütend an und wir lieferten uns ein Blickduell.

„Was macht ihr denn da?", fragte Finn interessiert, der neben uns stehen geblieben war.

„Flirten", sagte Vasili, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

„Ach so?", fragte Finn amüsiert, „Ich dachte, ihr lauert euren Frauen auf und schleppt sie dann in eure Höhle?"

Vasili nahm den Faden auf: „Das machen wir auch, wenn Weibchen beim Blickduell verliert und trotzdem nicht freiwillig mitkommt."

Ich musste lachen und konnte den Blickkontakt nicht mehr halten. „So ein Mist!"

Finn sah mich amüsiert an: „Und nun, braucht ihr kurz unser Zimmer für euch oder wie geht es jetzt weiter?"

„Nein, bei ihr muss ich wohl irgendwann das mit dem in Höhle schleppen anwenden", antwortete Vasili trocken.

„Nächstes Wochenende würde sich anbieten", sagte Finn, „Ich bin da auf der Hochzeit meiner Schwester und du hast sturmfrei." Er grinste breit, drehte sich um und ging pfeifend davon.

Ich verdrehte die Augen. „Dir ist schon klar, dass diese Stipendien auch dazu da sind, dass sich Menschen aus verschiedenen Ländern kennen lernen und etwas über die andere Kultur erfahren? Wenn du so einen Quark über Russland erzählst, werfen sie dich noch raus!"

„Aber wieso denn? Ich habe tatsächlich mit dir geflirtet und das mit dem in meine Höhle schleppen finde ich gar keine so schlechte Idee. Anna, zum Kuckuck! Was soll ich denn noch machen, um erhört zu werden?"

Betreten sah ich zur Seite. „Es ist kompliziert", murmelte ich.

„Bist du verlobt, verheiratet, lesbisch oder von Hüfte abwärts Ziege?"

Ich prustete los. Als er mich weiterhin abwartend ansah räusperte ich mich und gab zu: „Nichts von alledem."

„Dann fällt mir wirklich nichts mehr ein", sagte er resigniert und widmete sich seinen inzwischen vermutlich kalt gewordenen Nudeln.

Ich stützte meinen Kopf in die Hände. Wenn Vasili so gut im Bett war, wie er küssen konnte, entging mir eindeutig etwas. Sollte ich es wagen? Jana besuchte übers Wochenende ihre Eltern, sie würde es also nicht mitbekommen, wenn ich die Nacht nicht in unserem Zimmer verbringen würde. Gelegenheit macht Liebe! Vielleicht sollte ich es einfach tun, abhaken und dann würde nicht ständig diese Spannung zwischen uns bestehen? Ich spürte ein leichtes Ziehen im Unterleib. Auch du liebe Zeit, Vorfreude!

„Ok, ich gebe dir eine Chance, mich zu überreden", murmelte ich und nahm die Hände vom Gesicht. Er sah mich überrascht an. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „Morgen Abend darfst du mich ausführen. Lass dir was einfallen, Casanova!" Er lächelte tatsächlich zurück. Leider musste ich den Moment wieder zerstören. „Ich habe eine Bedingung: niemand darf davon erfahren. Das heißt auch, dass uns während dem Date niemand, den wir kennen, über den Weg laufen darf."

Er schluckte. „Und ich dachte, Abschlussprüfung wird hart. Nach dieser Aufgabe wird alles andere Klacks!"