Juni NE 226 - Kapitel 1

78 12 9
                                    

„Fertig!", seufzte ich erschöpft und betrachtete meine nun wieder feuerrot gefärbten Haare im Spiegel des kleinen Bades, das zu meinem Zimmer gehörte. Leider war mein Budget inzwischen soweit geschrumpft, dass ich mir den Besuch eines Friseurs für Grundbesitzer hatte verkneifen müssen. Ich hatte mir mühsam die Haare selbst gefärbt und mir dabei alle paar Minuten geschworen, dass es das erste und letzte Mal war.

Ich fühlte mich ausgelaugt. Nach Wochen voller Prüfungen hatte ich am Tag zuvor endlich auch die beiden Artikel fertiggestellt, die Teil der Abschlussarbeit waren. Nun noch ein letztes Foto und dann würde ich auch die zwei Doppelseiten für die Zeitschrift einreichen können.

Auf dieser Aufnahme musste ich als Anastasia Petuchow zu sehen sein, mit meiner gewohnten Grundbesitzerinnen-Haarfarbe und natürlich auch entsprechender Kleidung. Denn in dieser Abschlussarbeit gab ich auch meine wahre Identität preis. Das Versteckspiel würde mit der Abgabe des Artikels ein Ende haben. Endlich!

Ich zog das Kleid an, das ich für das Interview mit Ruodpert getragen hatte, schließlich hatte ich nicht gerade viel Auswahl dabei. Wie es leider gerade Mode war, drückte mir der verstärkte Brustteil zwar wieder meine ohnehin kleine Oberweite platt, doch meine schmale Taille wurde wunderbar betont und ich liebte es, wie der weiche Stoff des ausladenden Rockes meine Beine umspielte. Es geht einfach nichts über schöne Kleidung. In diesen Säcken für Grundlose fühlte ich mich einfach nicht richtig angezogen.

Ich strich ein letztes Mal meinen Rock glatt und trat entschlossen auf den Gang des Wohnblocks hinaus. Erhobenen Hauptes hielt ich den erstaunten Blicken der anderen Studierenden stand und ging quer über den Platz und weiter zur Liegewiese im Park auf dem Campus, wo ich mich mit Vasili verabredet hatte.

Dieser hatte wie ich seine Werke für die Abschlussarbeit bereits eingereicht. Wir hatten uns absichtlich eine Deadline eine Woche vor dem endgültigen Abgabetermin gesetzt, denn es sollte keinesfalls etwas schiefgehen und wir wollten für unsere gemeinsame Arbeit noch genug Zeit haben.

„Na, trägst du Haare jetzt wieder feuerrot?", fragte Vasili und lächelte. Ich ließ mich neben ihm auf der Parkbank nieder. Ich musste schmunzeln und suchte seinen Blick. Doch wir lieferten uns kein Blickduell, wie wir es schon so oft getan hatten. Er war einfach mein Partner, in dessen Augen ich mich verlieren konnte. „Die Farbe steht dir", sagte er schlicht.

„Dir etwas vorspielen zu müssen, fiel mir immer schwer. Es tut mir wirklich aufrichtig leid", sagte ich, „Mit meiner Abschlussarbeit ist das Versteckspiel nun endlich vorbei. Sobald die Prüfer mit dem Lesen der Abschlussarbeit anfangen, weiß es sicher bald die ganze Universität. Alle werden meine wahre Identität als Grundbesitzerin Anastasia Petuchow kennen."

Ich holte den Ausdruck des Artikels hervor der bis auf das eine Bild fertig war und gab sie ihm. Vasili nahm das Blatt und las alles interessiert durch. Auf der ersten Doppelseite hatte ich die Meinung und den groben Lebenslauf von Ruodpert Sendling und Tom sachlich gegenübergestellt. Auf der zweiten Doppelseite war ein Foto von mir mit blondem Haar und Pferdeschwanz zu sehen, wie mich meine Mitstudenten kannten. Ich schrieb über die fiktive Anna, die Journalistin werden wollte.

Daneben würde ich dann ein Bild von mir in Grundbesitzerinnen-Kleid und mit feuerroten Haaren einfügen. Im Text unter diesem Bild beschrieb ich, wer ich wirklich war und dass ich unbedingt Journalistin werden wollte, auch wenn es für eine Grundbesitzerin aus einer reichen Familie nicht schicklich war, einen solchen Beruf auszuüben.

„Na dann fotografiere ich mal das letzte Bild", gab Vasili den Startschuss und stand auf. Wir gingen zum gleichen Platz im Park, an dem er das Portrait von mir als blonde Grundlose aufgenommen hatte. Dort bemühte ich mich, nochmal exakt die gleiche Kopfhaltung und das gleiche Lächeln hinzubekommen.

„Heute mache ich rein gar nichts mehr", stieß ich erschöpft aus, als wir uns nach dem Fotografieren wieder auf die Liegewiese setzten. Ich ließ mich nach hinten fallen und schloss die Augen, „Wir treffen uns gleich morgen früh im Medienraum und machen den Artikel fertig, ok? Aber heute brauch ich unbedingt eine Pause."

„Wir liegen perfekt in Zeit", beruhigte mich Vasili, „Ich finde es gute Idee, wenn wir uns ein bisschen erholen, bevor wir morgen den Artikel noch ein letztes Mal durchlesen, Foto einfügen und ihn dann guten Gewissens einreichen können."

Eine Weile herrschte eine angenehme Stille zwischen uns, in der ich nur dem Rauschen des Windes in den Bäumen lauschte. „Darf man das mit einem so teuren Kleid überhaupt?", fragte er amüsiert, „Einfach so im Gras liegen?"

„Als Mitglied der Familie Petuchow darf man alles", murmelte ich.

Er brummte missbilligend. „Wenn du so redest, kommst du mir so weit entfernt vor. Unerreichbar", sagte er.

„Ich hoffe, dass ich auch bald weit entfernt bin." Ich setzte mich auf und lächelte ihn an. „Sobald ich meinen Abschluss habe, kann es losgehen! Ich werde selbst entscheiden, welche Artikel ich schreiben möchte und diese dann Zeitschriften und Nachrichtenagenturen anbieten. Von dem, was ich damit verdiene, bereise ich die Welt, immer auf der Suche nach weiteren interessanten Geschichten", schwärmte ich.

„Deine Augen fangen an zu leuchten, wenn du von deinen Zukunftsplänen sprichst", sagte er leise. Wir sahen uns tief in die Augen.

„Für eine gute Story braucht man auch einen guten Fotografen. Der Artikel wird erst durch das perfekte Foto so richtig rund. Ich könnte mir gut vorstellen, gemeinsam mit einem Fotografen loszuziehen", sagte ich und bemühte mich, ruhig zu bleiben. Doch mein Herz begann, wie wild zu schlagen.

„Du meinst, du würdest Grundlosen als Fotografen einstellen, der dir Koffer schleppt, Kaffee serviert und Hotelreservierungen übernimmt?", fragte er und verzog skeptisch den Mund.

„Ich dachte eher an einen gleichberechtigten Partner, der mit seinen atemberaubenden Bildern meine Texte zu den begehrtesten Artikeln weltweit macht. Dieser Fotograf könnte sich darum kümmern, dass wir die Nächte in abgelegenen Ferienwohnungen verbringen und was wir dort nachts machen, bleibt uns überlassen."

Vasili sah mich eine ganze Weile an, während mir das Herz bis zum Halse schlug. Dann sagte er: „Du bist verrückt, Anastasia. Natürlich bin ich dabei."

Journalistin der GrundlosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt