V01CH02- Haru

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Ichinose Haru war nicht gerade ein Fan von Gewalt. Oder Betrug. Oder Mord. Man könnte argumentieren, dass das für ihren Beruf hinderlich wäre. Sie fand eher im Gegenteil. Sie konzentrierte sich dadurch viel mehr auf das Wesentliche, als einfach nur Gewalt anzuwenden. Und Kunden bevorzugten Leute, die nicht nur die besten in ihrem Gewerbe waren, sondern dabei auch nicht betrogen. Zum Thema Mord gab es leider nichts zu sagen, aber ihr Vater hatte immer gesagt, man gewöhne sich an alles. Er hatte, wie so oft, recht gehabt. Es gab viele Leute, die mit ihrem Job zufrieden waren, versuchte sie sich selbst immer einzureden.

Ja, aber in wie vielen muss man Leute umbringen, und sich DABEI unwohl fühlen hörte sie dann immer die leise Stimme des Gewissens sagen. Für gewöhnlich ignorierte sie diese dann einfach und sang laut I write Sins, not Tragedies. Manchmal hatte das verheerende Folgen. Einmal hatte das eines ihrer Opfer gehört und versucht, vor ihr zu fliehen, aber bis jetzt hatte sie noch immer eine perfekte Trefferquote.

Auch ihr heutiges Ziel war gestorben, noch ehe es sie bemerkt hatte. Ein präziser Schuss in den Kopf, das Einschussloch war kaum zu sehen. Ein sauberer Tod.

Einige ihrer Kollegen machte es großen Spaß, mit Schrotflinten den ganzen Kopf wegzublasen, aber das waren egoistische Nichtsnutze. Diese hatten wahrscheinlich noch nie daran gedacht, dass es schon schwer genug war, die Leichen herzutransportieren, noch viel mehr, um die ganzen Schädelsplitter und andere Flüssigkeiten wegzuputzen.

Am Abend würde Haru heimgehen, sich unter die Dusche stellen um den Dreck gemeinsam mit dem Stress, der am Tag angefallen war, wegwaschen zu lassen. Das war ihr Abendritual, und jeden Tag fiel es ihr schwerer, es zu beenden.

Heute war ein besonderer Tag. Heute würde sie sich nach dem Essen eine Flasche Wein aufmachen, sich auf die Veranda setzen und zu den Sternen blicken. Laut Meteorologen sollte heute ein Regen aus Sternschnuppen fallen, und das wollte Haru nicht versäumen.

Langsam machte sie sich auf den nach Hause Weg. Trotz des Regens konnte Haru in der Ferne die riesigen Monolithen aus Varanium, die die Stadt vor den Gastreas beschützen sollten. Normalerweise taten sie das auch, aber in letzter Zeit hatte es einige prekäre Vorfälle gegeben, die Haru und auch die restlichen Einwohner von Tokyo beunruhigten. Gerade letzten Monat war einer der Monolithen zusammengebrochen und hatte eine Massenhysterie ausgelöst, der sehr viele der verfluchten Generation zum Opfer gefallen waren.

Haru seufzte und schüttelte den Kopf. Obwohl das Stadtoberhaupt sich immer mehr bemühte, die Kinder zu integrieren, würde es wohl Jahre dauern, bis die Leute die Cursed Children akzeptierte.

Das letzte Mal, als Haru in einem Einkaufszentrum war sah sie ein Kind, das mit einer Binde um die Augen für Geld bettelte. Als sie sie fragte, was passiert sei meinte das Mädchen, seine Mutter habe den Anblick ihrer Roten Augen nicht ertragen, also hätte sie sich ihre Augen mit Blei übergossen. Jetzt musste sie für sich und ihre Schwester Geld für Essen beschaffen. Haru musste sich stark zusammenreißen, nichts zu sagen. Mitleid war sicher eines der letzten Dinge, die das Mädchen hören wollte.

Aber was hätte sie sonst sagen sollen? Sie sah die Zukunft der kleinen vor sich. Sollte sie das Glück –oder Pech- haben, älter zu werden würde sie wahrscheinlich dazu übergehen müssen, nicht nur zu betteln sondern auch andere Dienstleistungen zu vollbringen.

Der Gedanke machte Haru krank.

Abermals schüttelte sie den Kopf, fast als wolle sie diese Gedanken aus dem Kopf bringen und ging weiter in Richtung Supermarkt. Es regnete noch immer stark und sie verfluchte sich, nicht auch noch einen Regenschirm zu ihrem Gewehr gelegt zu haben. Sie würde heute Nacht wahrscheinlich nichts mehr von den Sternschnuppen zu sehen bekommen. Dafür würde sie ein langes, ausgiebiges Bad nehmen, zum Aufwärmen. Ein leichtes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Dazu noch ein kleines Glas Rotwein. Perfekt. Schnell eilte sie weiter, ab ins trockene.

The Cursed GenerationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt