Nathaniels Finger streichen ohne Ziel über meine Hand. Sein Blick ist gedankenverloren, während er mir mit gedämpfter Stimme kurz und knapp erklärt, wieso er sich zu dieser Zeit im Krankenhaus befindet und den jungen Arzt vor allen Anwesenden so rund gemacht hat.
"Meinem Vater geht es sehr schlecht.", beginnt er schwach, "Die letzten Wochen über hat meine Mutter mir täglich berichtet, dass sich sein Zustand immer weiter verschlechtert hat. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für Sorgen ich mir gemacht habe." Bereits während seiner ersten Worte wird mir klar, dass dies also der Grund für Carls Abwesenheit gewesen sein muss.
"Das tut mir leid..."
Nathaniel ignoriert mein Kommentar weitesgehend und erzählt weiter: "Vor einigen Monaten war er bereits schon einmal in einem schlechten Zustand. Ich musste ihn ins Krankenhaus fahren und nach einer gründlichen Untersuchung haben sie uns wieder nach Hause geschickt...", er seufzt, "Zumindest war ich davon ausgegangen, dass es sich um eine gründliche Untersuchung gehandelt hatte."
Ich warte ein paar Sekunden, um heraus zu finden, ob er weiter reden wird, doch er scheint nun komplett in seinen Gedanken verloren gegangen zu sein. Kleine Falten haben sich erneut auf seiner Stirn gebildet und auch seine Augen beginnen ein erneutes Mal zu verschleiern.
Ich muss nicht lange über mein nächstes Handeln nachdenken, sondern lehne mich in seine Richtung und lege meine Arme um seinen breiten Körper. Seine Wärme durchfließt meine Seele. Dieser Mann macht durch seine pure Anwesenheit etwas so berauschendes mit mir.
"Ich bin für dich da Nathaniel.", flüstere ich, bevor ich ihm einen leichten Kuss auf die Schulter gebe. Ich bin mir nicht sicher, woher dieses plötzliche Selbstvertrauen kommt, doch es fühlt sich richtig an, einfach diesem Impuls zu folgen.
"Und ich danke dir dafür...", haucht er genauso leise in meine Richtung, "Doch so einfach ist es nicht, Helen."
Er windet seinen Arm aus meiner Umarmung, nur um ihn um mich zu legen und mich näher an sich zu ziehen. Ich spüre, wie er seine Nase in meinen Haaren versenkt und tief einatmet, als würde es ihn beruhigen.
"Aber ich werde auch da sein, wenn es nicht einfach ist."
Meine Worte kommen wie von selbst aus meinem Mund. Ich muss nicht einmal überlegen, was ich sagen könnte. Mir kommt alles plötzlich so unbeschwert in Nathaniels Gegenwart vor.
Ganz egal, wie traurig und niederschmetternd es ist, dass wir uns an diesem Ort wieder sehen, ich bin dennoch froh, dass es passiert ist.
Es tut gut, ihn wieder zu sehen und ihm nur noch näher zu sein, als zuvor. Und auch ihm scheint es mehr als gut zu tun, dass er mich im Arm halten kann.Der Stuhl, auf den Nathaniel sich gesetzt hatte, quietscht leise unter seinem Gewicht. Es scheint, als wolle er aufstehen, weshalb ich mich von ihm löse und ihn verwundert anblicke.
"Weißt du Helen.", er lehnt sich ein Stück im Stuhl zurück, "Ich habe oft an dich gedacht."
Mein Herz macht einen kleinen Satz bei diesen Worten. Es berührt meinen ganzen Körper, wenn ich daran denke, dass dieser Mann an mich gedacht hat.
"Wirklich?"
"Ja, wirklich.", er streicht mir mit seinen Fingern eine Haarsträhne aus dem Gesicht, "Und nun, da du mir eine Chance gegeben hast, dir zu beweisen, dass ich mehr als nur deinen Körper will, wünsche ich mir, dass du mit mir ausgehst."
So krotesk diese gesamte Situation und dieser frisch begonnene Tag auch sein mag, ich fange an, ihn mehr und mehr zu genießen. Während Nathaniel vor wenigen Minuten noch um seinen Vater getrauert hat, macht er mich nun zu einer sehr glücklichen Frau. Und auch er hat ein frisches Lächeln auf den Lippen.
Ist es falsch, dass wir glücklich sind? Sollten wir uns mehr Gedanken um seinen Vater und Amelie machen, anstatt hier zu sitzen und uns zu verlieben?
"Das würde ich gerne...", krächze ich, unfähig meine Stimme zusammen zu halten.
Ermeut lächelt Nathaniel, beugt sich vor und drückt mir einen federleichten Kuss auf die Stirn. Augenblicklich fängt die betroffene Stelle an zu kribbeln.
"Du bist ein wahrer Engel.", flüstert Nathaniel.
"Wieso?"
"Weil du mich in so einer traurigen Situation sehr glücklich machen kannst.", erklärt er mit samt weicher Stimme.
Das alles geht plötzlich so schnell. Wenn ich bedenke, dass ich bin vor ein paar Stunden noch damit gerechnet hatte, diesen Mann komplett aus meinem Leben gestrichen zu haben und nun hier neben ihm sitze, mit ihm liebevolle Worte austausche und mich binnen weniger Minuten bereits wieder in ihn verliebe, komme ich mir vor, wie in einer Film-Romanze. Es ist alles so surreal und doch bin ich mir sicher, dass es wirklich geschieht und ich in schlechten Zeiten vielleicht doch auch mal glücklich sein kann.
"Du machst mich auch glücklich.", gebe ich zu, wobei meine Wangen langsam zu glühen beginnen.
In Nathaniels Blick liegt so viel Zuneigung, dass ich mich nicht daran satt sehen kann. Dieser Mann ist einfach zu perfekt, um wahr zu sein.
Wie zerfallen komplett in unsere eigene Welt, bis ich vernehme, wie eine weibliche Stimme meinen Namen schluchzt.
Es dauert einige Sekunden, mich such der Trance zu befreien und zu realisieren, was um mich geschieht. Doch dann stehe ich erprupt auf und drehe mich eilig in Richtung Gang um. Auch Nathaniel erhebt sich hinter mir und legt wie selbst verständlich einen Arm um mich.
"Amelie.", quietsche ich.
Die junge Frau kommt mit Tränen verschleiertem Gesicht auf mich zu getauckelt. Es ist für mich gar keine Frage wert, mich von Nathaniel zu lösen und meine Freundin in den Arm zu nehmen.
Sie weint leise in meine Schulter hinein, während ich ihr leise gut zu flüstere. Über ihre Schulter hinweg sehe ich derweil, dass Nathaniel mir meine Flucht nicht übel zu nehmen scheint, sondern Amelie mit einem mitleidigen Blick anschaut. Er scheint ihr das merkwürdige Verhalten wohl genauso wie ich verziehen zu haben.
Einige Minuten stehe ich mit Amelie im Arm auf dem Gang, entscheide mich aber dann schließlich dazu, sie zu einem der freien Sitze zu führen und mich neben sie fallen zu lassen. Es dauert nur wenige Sekunden, bis auch Nathaniel neben mir Platz findet und seine große Hand auf meinem Knie platziert.
Amelie hebt schniefend ihren Kopf, schaut für einen Augenblick verwundert zwischen Nathaniel und mir hin und her, ehe sie erneut in Tränen aus bricht.
"Was ist denn los, Süße?", erkundige ich mich mit steigender Sorge.
Amelies Worte sind nur schwer aus zu machen, doch nach kurzem Überlegen verstehe ich sie dennoch: "Ich bin schwanger, Helen."
Geschockt blicke ich Amelie an. Auch Nathaniels Augenbrauen schießen verwundert in die Höhe.
Amelie schafft es immer wieder, sich irgendwie in die Scheiße zu reiten. Doch dieses Mal hat sie es entgültig geschafft, etwas zu meistern, was keine einfache Aufgabe wird.
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Ein erneutes Sorry für die länger Pause und das kurze Kapitel.
Aber momentan habe ich sehr viel zu tun und wenig Freizeit. Ich versuch's zu bessern und hoffe, dass ich deswegen keinen von euch lieben Lesern verliere und ihr immer noch Spaß an dem Buch habt.
In Liebe
L.
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Passion
RomanceWährend sie jeden Cent ansparen muss, um endlich ihren Wunsch zu erfüllen und in einer anderen Stadt einen Neuanfang zu starten, hat er genug Geld, um sich damit alles zu kaufen, was sein Herz begehrt. Zwei Seelen, die unterschiedlicher nicht sein k...