10. Passion- Lovin you deeply

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Durch die geringe Entfernung zwischen uns beiden, kann ich die dunklen Augenringe und die müde Haut in seinem Gesicht ausmachen. Auch seine sonst so gepflegten Haare liegen verstreut auf seinem Kopf, als wäre er viele Male mit seinen Händen durch sie hindurch gefahren.
Und obwohl sein Anblick mein Herz zum stoppen bringt und ich nicht weiß, wie ich mich fühlen soll, verspüre ich wie mein Herz noch mehr darunter leidet, ihn im Krankenhaus anzutreffen, mit einem Aussehen, dass mir direkt klar macht, dass etwas in seinem Leben vorgefallen sein muss, dass jeden aus der Bahn werfen würde.

Am liebsten würde ich aufstehen, zu ihm hinlaufen und ihn auf unser letztes Gespräch ansprechen, doch mir ist bewusst, dass er im Moment etwas Wichtigeres im Kopf haben wird.

Also bleibe ich wie angewurzelt sitzen und starre stattdessen auf seine breite Statur, die sich aufgebracht hin und her bewegt.

Der Arzt, der wie erstarrt noch immer an der selben Stelle steht, hat ein angsterfülltes Gesicht aufgesetzt und ich könnte wetten, dass jede Gliesmaße an seinem Körper zittert wie Espenlaub.

"Was stehen Sie hier noch rum?!", blufft Nathaniel den armen Mann an, "Sie haben genug wieder gerade zu biegen, also bewegen Sie sich!"

Würde ich Nathaniel nicht schon etwas kennen und wüsste nicht, wie seine liebevolle Seite aussieht, würde auch ich die Flucht ergreifen, so wie der beschimpfte Arzt. Doch ich blicke mit einem sorgenvollen Gesicht auf den jungen Mann, der momentan viel älter zu sein scheint.

"Unerhört, in einem Krankenhaus so aus der Haut zu fahren!", mäckert seine ältere Dame neben mir, doch Nathaniel scheint es nicht einmal mitzubekommen. Stattdessen lehnt er sich gegen die Wand, schließt seine Augen und vergräbt dann sein Gesicht in seinen Händen.

Ich werfe der Dame einen bösen Blick zu, den sie jedoch mit dem nächsten Spruch quittiert: "Niemand hat das Recht, so einen Lärm zu machen. Man sollte ihn aus dem Krankenhaus werfen."

Das Blut in meinen Adern fängt an zu kochen und meine Hände bilden sich zu Fäusten, doch anstatt wie eine Furie auf die Frau los zu gehen, werfe ich ihr einen letzten Blick zu, ehe ich mich kurzentschlossen auf Nathaniel zu bewege.

Je näher ich komme, desto mehr sehe ich, wie sein Körper immer und immer wieder erschüttert wird.

Es ist nicht wahr, was man über reiche Menschen sagt; das sie kaltherzig und gefühlslos sind. Nathaniel Sawyer beweist mir gerade das Gegenteil. Das leise Schluchzen, das er versucht zu unterdrücken und die zusammengesackte Statur, zeigen, wie viel emotionen in einem millionenschweren Geschäftsmann verborgen sind. Ganz egal, wie kalt er vielleicht sonst zu sein scheint - im Grunde genommen ist er auch nur ein Mensch.

Mit einem letzten tiefen Atemzug stelle ich mich vor ihn.  Er scheint meine Präsenz nicht wahr zu nehmen oder wahr nehmen zu wollen, denn er reagiert mit keiner Faser seines Körpers.

Allen Mut zusammen nehmend, strecke ich meinen Arm aus, um ihm meine Finger vorsichtig auf den Unterarm legen zu können. Ganz kurz zuckt er zusammen und verharrt in seiner Bewegung, doch dann lässt er langsam seine Hände sinken und schaut mich mit seinen blauen, müden Augen an.

"Helen...", flüstert er.

"Hallo Nathaniel."

Ein paar Sekunden scheint er auszutesten, ob ich wirklich vor ihm stehe oder ob er es sich einbildet, bis er plötzlich seine starken Arme um mich legt und mich feste an seinen Körper presst. Ich hatte mit vielem gerechnet, doch nicht damit.

Etwas perplex benötigt mein Gehirn ein paar Augenblicke um zu verarbeiten, dass Nathaniel mich an seinen Körper hält, als würde sein Leben davon abhängen.

"Du bist wirklich hier.", flüstert er in meine Haare. Ein kleiner nasser Tropfen, der auf meine Schulter fällt, verrät mir, das sich seine Tränen nicht getrocknet haben.

Die Freude darüber, dass er die dummen Floskeln bei Seite lässt und mich duzt, überwinde ich, um mich ganz und gar darauf zu konzentrieren, dem Mann, der mich in diesem Moment wohl wirklich braucht, bei zu stehen.

"Ja bin ich.", stimme ich ihm lächelnd zu. Auch ich lege nun meine Arme um ihn, um ihn näher bei mir zu haben.

Eine ganze Weile stehen wir so eng umschlungen. In diesem einen Moment ist vergessen, was zwischen uns steht. Ich bin für ihn da und das genügt mir. Seine Körperwärme zu spühren gibt mir einen Funken, den ich nicht deuten kann. Etwas sprießt in mir, was mir unbekannt und doch so schön ist.

Mir wird klar, dass auch wenn ich ihn in den letzten Monaten aus meinen Gedanken fern gehalten habe, dieser rätselhafte Mann doch immer in meiner Erinnerung geblieben ist. Und dass ich ihn ganz tief im meinem Inneren vermisst habe, auch wenn ich es mir nicht angestehen wollte.

Seine starken Arme, die mich so fest gehalten haben, lockern sich und ich habe Angst, dass er mich weg stoßen wird, doch zu meiner Verwunderung platziert er seine Hände auf meinen Hüften und behält mich bei sich. Glück steigt in mir auf.

"Was machst du hier?" Seine Augen wandern über jede Pore meiner Haut.

Mit meiner Zunge benässe ich meine Lippen, was gleich rauf mit einem kleinen raunen seiner Seits quittiert wird.

Die Erregung in meinem Körper ignorierend, antworte ich ihm: "Ich bin mit Amelie hier. Ihr geht es nicht gut."

"Du bist wieder mit ihr befreundet?" In seinen verweinten Augen funkelt Verwunderung auf und auf seiner Stirn bilden sich fragende Falten.

Ich lächle nickend: "Ja, wir haben uns ausgesprochen und es ist alles beim Alten."

Wieder entsteht eine Zeit des Schweigens. Ich hadere mit mir selbst, ihn fragen zu wollen, wieso er um diese Uhrzeit im Krankenhaus ist. Und was er allgemein wieder hier in der Stadt macht, schließlich war mein letzter Stand, dass er in Spanien sei und dort geschäftliches zu klären hatte. Carl hat mich die letzten Male, die wir uns gesehen habe, immer auf dem Laufenden gehalten - auch wenn mir der Grund dafür ein Rätsel ist.

"Helen...", räuspert sich Nathaniel plötzlich und reißt mir aus meinen Gedanken.

"Ja?"

Seine linke Hand löst sich von meinem Körper und findet sich auf meiner Wange wieder. Liebevoll streicht er mit seinem Daumen über meine Haut.

"Ich habe dich vermisst."

Seine Worte lassen in mir ein Feuerwerk erwachen. Erst als kleine Tränen über meine Wange rollen, wird mir wirklich endgültig bewusst, was dieser Mann mir bedeutet. Ganz egal, wie kurz wir uns nur kennen lernen konnten.

Statt auf eine Antwort von mir zu warten, spricht er weiter: "Und ich möchte, dass du nie wieder solche Worte sagst, wie am Tag meiner ungeplanten Abreise. Denn ich möchte dich nicht nur körperlich - ganz und gar nicht. Ich möchte alles von dir und ich wünsche mir, dass du mir eine Chance gibst, dir das zu beweisen."

So viel Liebe liegt in seinen Worten, dass ich nicht anders kann, als ihn grinsend durch verschleierte Sicht an zu schauen und meinem Kopf wie wild auf und ab zu bewegen.


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