ZWEI

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Meine Fresse, Gott sei Dank habe ich damals, als ich fünf oder so war, den Schwimmkurs nicht abgebrochen. Ich habe echt keine Ahnung, was das bedeutet, aber als die Dunkelheit verschwindet, kommt Wasser. Sehr viel Wasser. Es ist echt arschkalt, und ich rudere mit den Armen wild um mich. Wo zur Hölle bin ich? Es scheint ein See zu sein, ohne Ufer, ohne Anfang und Ende. Ein paar Meter von mir entfernt hängt eine Leiter im Wasser, und da ich keine andere Wahl habe, schwimme ich an sie heran und ziehe mich hoch. Der Blick nach oben ist seltsam. Ich kann nichts sehen. Als wäre das Ganze unendlich. Könnte auch Nebel sein. Ach, was kümmert's mich. Egal, wo ich hier bin, offensichtlich soll ich da hoch. Oder wo auch immer hin, keine Ahnung. Und deswegen fange ich an zu klettern.

»Es ist nicht schön, dich zu sehen, Miles.«

WAS ZUR HÖLLE GEHT DENN JETZT AB?! Wo sind diese scheiß Leiter und dieser behinderte See? Meine Fresse, wieso kann ich nicht wie andere Menschen sterben? Meine Klamotten sind trocken und ich stehe in einem hellen Raum. Auch der scheint keine Grenzen zu haben. Da stehen ein paar Stühle, zu einem Kreis angeordnet, und in der Mitte eine Frau, deren Alter ich unmöglich einschätzen kann. Sie könnte dreißig sein, aber auch sechzig, ich habe echt keine Ahnung. Ihr Haar ist grau, das Gesicht aber verdammt jung. Passt alles nicht so zusammen. Ich bin verwirrt.

»Setz dich doch.« Mit Sicherheit nicht. Ich verschränke die Arme vor der Brust und presse die Lippen aufeinander. Wie ein schmollendes Kleinkind.

»Die anderen kommen auch gleich, Miles. Du brauchst keine Angst zu haben.«

»Ich habe keine Angst«, feuere ich zurück. Wow, tatsächlich wie ein Fünfjähriger. Mürrisch setze ich mich dann doch und beobachte sie. Sie lächelt mich schwach an, dann sieht sie über mich hinweg.

»Keira, setz dich doch bitte«, sagt sie und ich drehe mich um. Okay, es wird immer gruseliger. Da steht ein Mädel an der Stelle, wo ich selbst gerade noch stand, und sie sieht echt übel aus. Ihr Schädel ist kahl und ihre Haut ist so blass, dass man fast durch sie durchsehen kann. Sie scheint nicht weniger misstrauisch zu sein als ich, reicht mir aber die Hand und lässt sich auf dem Stuhl neben mir nieder.

»Ihr dürft euch übrigens auch unterhalten«, belehrt die Frau uns. Sehr lustig. Hi, ich bin Miles, mein Kopf wurde gerade zertrümmert, und ich bin wahrscheinlich verblutet – und wie geht's dir?

»Das sieht aus, als hätte es weh getan«, stellt Keira fest und erst checke ich nicht, dass sie von mir spricht.

»Was?« Sie zieht die nicht mehr vorhandenen Augenbrauen hoch.

»Na, dein Kopf.« Meine Hand schnellt an die Stirn und ich ertaste das trockene Blut. Und dann die verklebten Haare und die Unebenheiten. Wie Krater. So eine Scheiße.

»Sieht er schief aus?«, frage ich sie. Sie steht auf und mustert mich von oben genau.

»Es geht. Siehst immer noch besser aus als ich«, grinst sie.

»Woher willst du das wissen?«, frage ich zurück.

»Ich habe schon etwas länger Krebs.« Und der Elefant hat den Porzellanladen erfolgreich zerstört. Es wird kurz still, und dann lacht sie und sagt, dass mir das nicht peinlich sein muss. Und dann kommt der Rest. Ein kleines Mädchen, zwei Typen und noch zwei weitere Mädchen.

»Wir sind dann wohl vollständig«, meint die Frau in der Mitte, als der letzte Kerl sich hinsetzt. Jeder starrt jeden an und die Weiber sind echt ziemlich eklig. Also, nicht, dass sie nicht hübsch sind, aber bei fast jeder quillt irgendwo Blut raus, und bei der einen ist der halbe Arm abgetrennt. Und das Bein.

»Mein Name ist Alanna«, stellt sich die Alterslose dann endlich vor. Das hier sieht aus wie 'n Treffen der anonymen Alkoholiker. Einige nicken schwach, die meisten starren sie nur an und verziehen keine Miene.

Die Hässlichen (LESEPROBE)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt