DREI

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Alanna drückt Nina ihr Foto in die Hand und das kleine Mädchen betrachtet es ganz genau. Das Blut unter ihrer Nase versucht sie mittlerweile nicht mehr wegzuwischen, weil sie endlich gecheckt hat, dass das ohnehin nicht funktioniert.

»Wie heißt er?«, fragt sie Alanna.

»John.« Jetzt lächelt Nina. Das kleine Mädchen, das gestorben ist, weil sein Vater seine ekelhaften Triebe nicht im Griff hatte, lächelt.

»Ist er lieb?« Keira überschlägt neben mir die Beine und verschränkt die Arme. Entweder sie ist gelangweilt oder ihr ist kalt. Aber hier ist es nicht kalt.

»Was ihr alle bedenken müsst, ist, dass nur euer Pate euch wahrnehmen wird. Daher ist es auch eure Aufgabe, ihn von eurem Dasein zu überzeugen.«

Das verstehe ich jetzt nicht.

»Sie werden sich selbst für verrückt halten, weil niemand euch sehen kann«, erklärt Alanna.

»Die sind ja auch bekloppt. Wie kommen die auch auf die dämliche Idee, sich umbringen zu wollen?«, meint Keira, und man merkt, wie wütend sie ist. Das Mädel wurde wahrscheinlich jahrelang therapiert und hat darum gekämpft zu überleben, und jetzt soll sie einen Bescheuerten davon abhalten, alles mit einem Mal zu beenden.

»Ich verstehe, dass du zornig bist, Keira, das darfst du auch sein. Aber bitte lern deinen Paten erstmal kennen und überlege dir dann, ob du ihm helfen möchtest«, beschwichtigt Alanna sie.

»Klar werde ich helfen, das steht außer Frage. Scheiße darf ich ihn doch trotzdem finden.« Ich sehe sie an, und mir fällt ihr Tod immer mehr auf. Die blauen Flecken, die bleichen Lippen, die blutunterlaufenen Augen. Und Narben. Überall Narben.

Laurie bekommt ihr Bild. Sie heult nicht mehr, sie sagt aber auch nichts.

»Sicher, dass die nicht vor mir wegrennen wird?«, fragt sie dann aber und sieht Alanna an.

»Das wird sie nicht. Und wenn doch«, beginnt sie und zwinkert leicht. »bist du schneller.«

Oh, wow. Das ist ja mal ein super Plan. Da kommt auf einmal ein Mädel mit einem halben Arm und einem abgehackten Bein, erzählt dir, sie sei tot, und weil du Angst um dein Leben hast und wegrennst, macht sie ihre kranke Scheiße mit der Teleportation – oh ja, da hat man gleich viel weniger Schiss und fühlt sich sicher. Obwohl, wäre doch voll lustig, wenn man auf Zombie macht und ihr einfach nur ganz langsam und keuchend hinterherläuft. Ich habe eindeutig zu viel The Walking Dead gesehen. Gibt es hier eigentlich einen Fernseher? Ich habe die neue Folge noch nicht gesehen, und Carol wurde doch gerade von diesen Freaks angefahren. Ich muss doch wissen, wie es weitergeht. Das frage ich Alanna besser später. Die redet noch mit Laurie über ihre Patin, und dann geht es weiter mit den anderen, bis sie bei Keira angelangt ist.

»Wie alt ist die? Zwölf?«, fragt sie, betrachtet ihr Foto und zieht verächtlich die Augenbrauen hoch. Mädel mit Brille, Zahnspange, fettigen Haaren und einer Fresse wie sonst was. Also, nicht dass sie hässlich ist oder so, obwohl sie das schon irgendwie ist, aber die sieht echt nicht gerade gut gelaunt aus.

»Siebzehn«, antwortet Alanna, und das scheint Keira noch mehr aus der Fassung zu bringen.

»Dann kann man ihr echt nicht mehr helfen.« Trotz ihrer Skepsis hört sie sich noch den Vortrag darüber an, dass noch nichts zu spät ist und jeder das Recht zu leben hat und blablabla.

»Versuch es«, bittet Alanna sie noch, und dann bekomme ich mein Bild.

»Wieso kriege ich keine Braut?«, murmele ich enttäuscht. Obwohl, wenn man das Mädel von Keira so betrachtet, will ich das vielleicht doch nicht.

Die Hässlichen (LESEPROBE)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt