Vorsichtig wurde mein Name genannt und ich wurde aus meinen Gedanken gerissen.
„Sumi, bist du hier?", fragte Leif vorsichtig. Ich stellte meine Füße auf dem Boden ab und setzte mich hin wie ein normaler Mensch, bevor ich antwortete: „Nein."
Langsam kam Leif zu mir in die Laube: „Ich komme und bringe Gaben", meinte er.
Ich drehte mich zu ihm um. Er hielt einen Teller mit Früchten vor sich und lächelte vorsichtig. Erst als ich es zögernd erwiderte, kam er in die Laube und setzte sich zu mir.
„Es tut mir leid, dass Sol so... unmöglich ist." Ich brummte verstehend.
„Und es tut mir leid, dass ich dich so schlecht über die Begebenheiten hier aufgeklärt habe." Wieder brummte ich nur, nahm mir aber dabei eine der Mandarinen, die Leif auf dem Teller mitgebracht hat.
„Hast du Delci darum gebeten, nach mir zu sehen?", fragte ich nachdem ich das erste Stück gegessen hatte.
„Delci? Nein. Er ist ein paar Minuten, nachdem du gegangen bist, wortlos gegangen; dir nicht unähnlich", Leif machte eine Pause, „Aber er hat mir gesagt, wo du bist."
„Wann war das?"
„Erst vor kurzem. Selbst wenn er schon lange bei Sol herumgesessen war. Dieser Idiot"
Ich lächelte leicht: Delci hatte das Richtige getan – er war kein Idiot. Wortlos bot ich Leif ein Stück Mandarine an, welches er auch annahm.
„Es tut mir leid, dass ich dir nicht gesagt habe, was los ist", meinte ich.
„Nein. Du hattest es mir ja gesagt. Ich habe nur nicht richtig zugehört."
Für ein paar Momente saßen wir schweigend nebeneinander, beide zu unfähig um die richtigen Worte zu finden. Wortlos nahm ich den Teller mit den Früchten, der zwischen uns stand, in die Hand und rutschte an Leif heran. Mit einer Hand hob ich seinen Arm an und legte ihn mir über meine Schulter, während ich mich selbst an seinen Oberkörper lehnte. Leif wehrte sich nicht und sagte auch nichts. Er akzeptierte einfach die Situation und ich genoss, dass ich mich nicht mehr komplett verloren und Leif sich nicht mehr fremd anfühlte.
„Wie viel Uhr ist es eigentlich?", fragte ich nach einigen Momenten.
„Es ist fast Mittag."
„Gibt es kein Essen?"
„Doch."
„Müssen wir da nicht hin?"
„Hhmm, aber wir können auch einfach hier blieben."
Ich nickte und begann die nächste Mandarine zu schälen. Es war so angenehm ruhig hier. Wenn ich schon hier in diesem Haus gefangen war, dann konnte ich es hier aushalten. Hier oder dort draußen im Schnee. Und obwohl es hier angenehm war, hatte ich doch den Klos im Hals, der mir sagte, dass ich nicht hier sein sollte.
„Leif", durchbrach ich nach einigen Minuten die Stille.
„Hm?"
„Ich möchte nach Hause."
„Ich weiß. Aber wir können noch nicht gehen."
„Hm."Weitere Minuten vergingen und die nächste Mandarine wurde geschält und gegessen.
„Weißt du, niemand würde dich aufhalten, wenn du für eine Weile raus in Schnee gehen würdest."
„Sicher?"
„Ja."
Irgendwie machte mich dieses Wissen nicht glücklicher.
„Vielleicht nachher."
Leif seufzte: „Ich würde es so gerne schöner für dich machen."
„Ich weiß", und nach einigen Momenten fügte ich hinzu: „Aber das hier gerade ist okay."
Leif legte seine Hand auf meinen Kopf und es fühlte sich gut an.
Für einige Zeit schweigend, aßen wir gemeinsam die Früchte weiter – ich gegen Leif gelehnt. Erst als der Teller leer war, entfernte ich mich von ihm um den Teller auf den Boden zu stellen, doch ich hielt auf halbem Weg inne und drehte mich um, um Leif zu betrachten. Er hatte einen Arm auf der Rückenlehne der Bank ausgestreckt und bot mir meinen Platz von zuvor an.
Einen Moment zu lange schaute ich ihn an, sodass er „Was ist?" fragte.
Eigentlich wusste ich nicht, was war. War so etwas wie jetzt nicht genau das, was ich mir so lange gewünscht hatte? Jemand, bei dem ich mich sicher fühlen konnte? Der sich um mich sorgte?
Wie Leif es tat?
Warum passte es dann nicht?
Ich zuckte mit den Schultern und meinte dann: „Ich glaube, ich möchte noch etwas richtiges essen."
„Soll ich dir was bringen?", fragte er sofort.
„Nein", ich schüttelte den Kopf: „Lass uns rüber gehen."
Leif hatte seinen ausgestreckten Arm wieder an sich genommen und mit einer gewissen Sorge im Blick, harkte er nach: „Sicher?"
„Ja", meine Stimme war sicherer, als ich es war. „Sprech einfach nicht mit Sol oder... irgendwem deiner Familie."
„Ich würde dir das sehr gern versprechen, aber über die Hälfte der Personen hier gehören zu meiner Familie. Aber!", er grinste plötzlich, „Wir könnten ein Zeichen ausmachen, damit du mir sagen kannst, wenn du weg willst."
„Reicht es nicht, wenn ich komplett unglücklich mit meiner Situation aussehe?"
„Anscheinend nicht immer", für einen Moment war sein Blick düster, doch ich hatte nicht den Eindruck, dass es wegen etwas war, das ich getan hatte.
„Ich könnte dich vier Mal antippen", schlug ich nach kurzem Überlegen vor.
„Warum vier Mal?"
„Sag du mir das letzte Mal, dass du irgendwen vier Mal angetippt hast", während ich sprach tippte ich ihm schnell vier Mal auf das Bein.
„Guter Punkt", gab er einen Moment später zu. Ich stand auf und Leif folgte. Während wir den Wintergarten verließen, griff er vorsichtig nach meiner Hand, wobei er mir die Entscheidung überließ, ob er sie halten durfte. Schweigend antwortete ich ihm darauf, in dem ich meine Finger mit seinen verschränkte. Aus den Augenwinkeln sah ich Leif lächeln und unbewusst atmete ich auf. Es war gut, nicht mehr allein zu sein – oder sich auch nur so zu fühlen.Im Speisesaal war ein Kommen und Gehen. Anscheinend waren nur die Abendessen in der Familie wichtig. Genau wie beim Frühstück hatten sich Grüppchen gebildet und die Plätze, auf denen wir zuvor gesessen waren, waren nun besetzt. Leif zog mich ans hintere Ende des Nebentischs, wo wir Platz nahmen. Eigentlich waren es keine guten Plätze, was Essen war weit weg und man saß im Eck des Raumes, doch ich fand es angenehmer hier, als vorne.
Durch die Früchte vorgearbeitet, aßen wir beide eher weniger, doch am Ende fühlte ich mich trotzdem vollgefressen.
„Und jetzt?"
Leif blickte mich an und auf den Tisch klopfend, fragte er: „Kuchen?", wobei er mit der Stimme recht weit hochging.
Ich schaute ihn mit großen Augen an, da ich eigentlich nicht mehr essen wollte, doch dann tat ich es ihm gleich, klopfte auf den Tisch: „Kuchen."
Ich folgte Leif in eine Art Salon, der mit Sesseln und Couches in kleinen Gruppen voll gestellt war. Es waren zu viele Leute hier drin und ich fragte mich ernsthaft, ob sich Leifs Familie verdoppelt hatte. An einer Wand war ein großer Buffettisch mit den verschiedensten Desserts und Heißgetränken bestückt war. Von Götterspeise, zu Kuchen, Torten und Tiramisu war alles vertreten.
Wir stürzten ins Getümmel, wobei ich vor allem auf den Kaffee aus war und sich Leif ein kleines Stück Käsekuchen besorgte. Als ich meine Tasse gefüllt hatte, drückte ich mich zur nächsten Wand hindurch und hoffte, dass ich dort nicht zu viel Platz einnahm. Ich wollte mich schon mit meinem Schicksal abfinden, in dem ich Leif für immer in der Menge verloren hatte, als er sich vor mich stellte.
„Sollen wir uns einen Platz suchen?"
„Es gibt hier irgendwo noch einen Platz?", wolle ich ungläubig wissen.
„Vielleicht im Nebenraum", antwortete Leif, nahm meine Hand und zog mich durch die Masse. Gut, dass ich meine Tasse nicht komplett gefüllt hatte, ansonsten hätte ich in diesem Moment definitiv etwas verschüttet.Besagter Nebenraum war ein etwas kleinerer Salon, der genauso mit Leuten gefüllt, aber nicht so komplett überfüllt war. Leif schien ein Ziel im Auge zu haben, denn er zog mich unbeirrt weiter und setzte sich dann auf einen etwas abseits stehenden Sessel nieder. Noch bevor ich mit meinen Gedanken wirklich nachgekommen war und drüber nachdenken konnte, wie der Sessel nicht auf zwei Personen ausgelegt war, hatte mich Leif schon auf seinen Schoß gezogen.
„Okay?", fragte er leise und nach etwas überlegen, nickte ich und lehnte mich gegen ihn.
Er legte seine Arme um meine Taille und während er seinen Kuchen aß, trank ich meinen Kaffee und wir beobachteten die Leute. Ich versuchte dabei angestrengt nicht darüber nachzudenken, wie wir in diesem Moment aussahen. Aber wir waren immerhin hier in der Rolle eines Pärchens, nicht? Und wer konnte so glauben, dass wir keins waren? Auf der anderen Seite, uns nahm eh fast niemand war. Einmal nickte ich kurz Delci zu, der breit grinste, als er uns sah, doch ansonsten reagierte niemand auf uns.
...bis es jemand tat. Ich überhörte ein „Schau dir die beiden an. Wie süß" und sofort setzte mein Unwohlsein ein. Schweigend versuchte ich das Gefühl wieder in Griff zu bekommen, doch eigentlich wusste ich genau, wie aussichtslos das war. Schnell tippte ich Leif vier Mal auf den Arm und er gab mich frei. „Wo willst du hin?", fragte er leise.
„Ich glaube raus. Weg von all den Menschen und der Wärme."
Leif nickte: „Pass auf dich auf." Ich stand auf und suchte mir einen Weg durch die Menschenmenge. Kaum hatte ich den Raum und Leute hinter mir gelassen, kam mir das Atmen wieder leichter vor. Schnell ging ich mich umziehen und schälte mich dabei in mehrere Lagen Kleidung, was dadurch beeinflusst war, dass ich nichts für wirklich kalte Tage besaß.
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Vampirbiss
Romance„Leif!", rief ich recht laut und er zuckte zusammen, „Sag was du willst, nachdem ich bis eins gezählt habe, sonst geh bitte wieder." Er nickte zögerlich und ich schloss die Augen, bevor ich langsam von drei herunter zählte. Als ich die „Eins" ausges...