Zehn Minuten später verließ ich das Anwesend durch die große Vordertür und schlitterte über die vereiste Einfahrt an den verschiedensten Autos vorbei, die inzwischen schon eine halbwegs beachtliche Anzahl an Verwandten von Leif angekarrt hatten. Der Leihwagen, in dem wir hergekommen waren, war im Vergleich mit einigen dieser Luxuskarren wirklich schäbig, doch da ja nicht die Namen der Besitzer angeschrieben waren, versuchte ich mich nicht zu schämen.
Einmal rutschte ich aus, bevor ich für wenige Schritte in den Schnee wechselte und dort dann nicht vorankam, weil ich zu tief darin versank. Danach ging ich dazu über, in den Rillen, die die Reifen ins Eis gemacht hatten, zu laufen, da diese wenigstens etwas Halt gaben. In Gedanken schrieb ich mir Schuhe auf eine imaginäre Einkaufsliste, die ein richtiges Profil hatten.Der Himmel war kristallklar und nicht einmal am Horizont waren Wolken zu erkennen – es würde eine sternenklare Nacht werden und ich hoffte ehrlich, dass ein richtiges Feuerwerk veranstaltet werden würde, damit ich etwas zu sehen hatte, auch wenn ich selbst nicht mithalf.
Schlitternd verließ ich die Einfahrt und trat an den Rand der Straße. Bereits auf der Hinfahrt war mir klar geworden, dass es hier nicht viel Verkehr gab und da man bei der Stille, die hier herrschte, Autos schon von weitem hörte, machte ich mir nicht allzu viele Sorgen spontan angefahren zu werden.Ich genoss das Gefühl der Einsamkeit und des Friedens in diesem Moment sehr, der in der Welt zu herrschen schien und ich war froh von Leifs Familie weggekommen zu sein. Der Schnee schien alles Leben und damit auch all die Konflikte unter sich zu begraben und wenn der Schnee nicht allzu tief gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich am Wegesrand Schneeengel gemacht. Zudem war meine Kleidung nicht gerade wasser- und schneefest, und ich hatte nicht vor mich komplett durchzufrieren.
Für eine Weile machte ich mir einen Spaß draus, den Schnee von den biegsamen Ästen zu schütteln, wobei ich mich durch Kettenreaktionen zweimal selbst berieseln ließ. Irgendwann fiel mir dann nahe der Straße ein Baumstamm auf – der Schnee war höher dort – und ich begann diesen freizuschaufeln, bevor ich mich hinsetzte. Für eine Zeit dachte ich darüber nach, ob ich einen Schneemann bauen sollte, wobei ich ein einsames Auto beobachtete, wie es vorbeifuhr.
Aus dem einfachen Grund, dass meine vorherigen Versuche größer als handgroße Schneebälle zu erschaffen immer damit endeten, dass diese beim Stapeln auseinanderbrachen, verwarf ich diese Idee nach einigen Momenten.
Ich blieb einfach eine Zeit lang sitzen und begann über Leifs Familie nachzudenken. Es waren seltsame Leute, aber es waren auch Vampire. Ich konnte Leifs Abneigung ihnen gegenüber nachvollziehen, doch natürlich war seine tiefer gehend und länger während, als meine. Mir waren alle seine Brüder vom ersten Augenblick an irgendwie unsympathisch gewesen; ihr Auftreten war hochnäsig gewesen, als würden sie sich über mich stellen aus dem einfachen Grund, dass sie Vampire waren und ich nicht.
Ein schwarzer Jumper – ein kleiner Lieferwagen – blieb am andern Straßenrand stehen und der Fahrer stieg aus: „Hast du dich verlaufen, Kleine?"
Der Mann war mir ebenfalls direkt unsympathisch, doch ich antwortete freundlich: „Nein, ich weiß, wie ich zurückkomme, danke."
Schlitternd überquerte der Mann die Straße: „Und du wohnst hier in der Nähe?"
„Ich bin zu Besuch hier in der Nähe", antwortete ich reserviert, doch ich versuchte höflich zu bleiben, während der Mann mir zu nah kam. „Ich brauchte nur etwas A-", weiter kam ich nicht.
Von einer Sekunde auf die andere war der Mann plötzlich hinter mir gestanden uns hatte mir seinen Arm um die Kehle geschlungen, sodass er nur wenig Druck ausüben musste, damit mir die Luft abgedrückt wurde.
„Deinen Abstand kann ich dir geben, Kleine. Wenn du nicht versuchst dich zu wehren, dann brauche ich dir auch nichts antun und ich denke dir ist klar, dass du nicht gegen einen Vampir ankommen kannst."
Ich nickte so gut es ging, vor Angst unfähig auch nur ein Wort zu sprechen. Unsanft wurde ich nach vorne gestoßen, sträubte mich jedoch dagegen einen Schritt zu gehen. Bereits jetzt hoffte ich, ich konnte damit jemanden auf meine Situation aufmerksam machen, der theoretisch nach mir suchte.
Ich lieferte einen stummen Kampf, kratze mit den Füßen durch den Schnee und ließ mich förmlich voran schieben, doch der Mann kümmerte sich nicht im geringsten um meinen Widerstand. Vor dem Transporter öffnete er mir seiner freien Hand die Hecktüren, doch als ich mich dagegen wehrte, hineingestoßen zu werden, hob er mich ohne mit der Wimper zu zucken hoch und in den kahlen Innenraum.
„Komm, du weißt, was jetzt kommt, mach es nicht unnötig kompliziert, meinte er und nahm Panzerband zur Hand, was mit etwas anderem Kleinkram in einem Korb an der Transporterwand lag.
„Was ist dein Ziel?", fragte ich und hoffte, dass meine Stimme nicht allzu sehr zitterte.
„Dich wegschaffen, mehr nicht. Streck deine Hände aus."
Widerwillig streckte ich meine Hände aus und er band sie mit dem Klebeband zusammen. Da mir bewusst war, dass er recht damit hatte, dass ich gegen ihn nicht ankommen würde, versuchte ich nun mein bestes Schicksal zu erreichen, selbst wenn das hieß, mich freiwillig fesseln zu lassen.
„Handy", verlangte er und streckte die Hand aus.
„Können Sie mir vielleicht die Handschuhe ausziehen, damit ich es ihnen geben kann?", bat ich und er folgte meiner Bitte wortlos. Umständlich zog ich danach mein Handy aus einer der Jackenbrusttaschen und überreichte es ihm. Es wäre sinnlos gewesen ihm vorzugaukeln, ich hätte keines dabei und da ich mir nicht sicher war, ob es wirklich auf stumm stand, wollte ich den Fall vermeiden, dass ich es noch an mir trug, falls es in seiner Anwesenheit klingeln sollte.
„Muss ich dir den Mund zutapen oder schaffst du es die Klappe zu halten und mir nicht die Ohren vollzuschreien?"
„Ich werde den Mund halten."
„Wenn nicht, dann hast du das Ding auf dem Mund, ehe du es dir versiehst."
Ich nickte langsam und er stieg wieder aus. Von außen hörte ich, wie er die Hintertüren verriegelte und er kurz darauf steig er vorne wieder ein.
Der Raum war nicht exakt getrennt, also konnte ich von hinten heraus ebenfalls nach vorne herausschauen, doch es half mir nicht viel, da ich mich nicht in der Gegend auskannte und durch den Schnee alles gleich aussah. Dem Mann schien das bewusst zu sein, ansonsten hätte er mir wahrscheinlich nicht diesen Ausblick gelassen.Die Fahrt zog sich gefühlte Ewigkeiten hin und es verdunkelte sich zunehmend draußen. Zeit schien anders zu verlaufen, wenn man gefesselt im Laderaums eines Kleintransporters saß und durch unbekannten Wald gefahren wurde, als vor einem Kamin – oder wahlweise einer Heizung – ein Buch las. Es verging vielleicht eine viertel Stunde, die ich indem Transporter verbrachte, bis der Mann einen Anruf bekam und diesen annahm ohne anzuhalten. Das Spitzen meiner Ohren brachte mich nicht weiter, der Mann bejahte und verneinte praktisch nur und die Fragen seines Gesprächspartner konnte ich über den laufenden Motor hinweg nicht verstehen, doch der Anruf brachte trotzdem einen Vorteil. Als der Mann auflegte, steckte dieser sein Handy locker in die Jackentasche und selbst, wenn ich noch nie Taschendiebstahl betrieben hatte, sah ich hier meine Chance. Still rutschte ich näher an den Sitz hin, wobei ich versuchte mich hinter genau diesem zu verstecken, und griff mit zitternden und immer noch zusammengebundenen Händen nach dem Handy. Der Mann bemerkte meinen Versuch nicht, der von mehr Erfolg gekrönt war, als ich geglaubt hätte. Sekunden später hielt ich das Handy des Mannes in der Hand und stopfte es mir daraufhin panisch in den Hosenbund, der von meiner halbwegs dicken Jacke grundsätzlich gut versteckt war, aber trotzdem nicht so offensichtlich wie die Hosentaschen. Der enge Gummi hielt das Ding an seinem Platz, dass es mir nicht spontan nach oben oder unten herausrutschte. Ich betete dafür, dass er nicht noch einmal angerufen wurde, doch bis der Wagen knappe fünf Minuten später anhielt und der Fahrer meinte: „Wir sind da", blieb das Telefon still.
Er steig aus und öffnete mir kurz darauf die Hintertür, damit ich aussteigen konnte.
„Folge mir", forderte er mich auf, packte mich aber dabei gleichzeitig am Arm und zog mich förmlich mit sich.
„Nein", ich versuchte mich wieder gegen ihn zu stemmen, doch Momente später hatte der Mann mich über seine Schulter geworfen und es war komplett sinnlos einen Befreiungsversuch zu starten. Ich konnte nur beten, dass das Handy jetzt nicht klingelte.
„Warst du schon mal in einer Tropfsteinhöhle?", begann der Mann nach ein paar Minuten.
„Nein."
„Dann ist heute dein Glückstag", der Mann bleib plötzlich stehen und warf mich von seiner Schulter nach unten. Ich fiel weiter, als ich erwartet hatte und der Aufprall drückte mir die Luft aus den Lungen. Mir wurde für einen Moment schwarz vor den Augen. Aus weiter Ferne hörte ich den Mann lachend sagen: „Mach es gut!"„Sagmal, wo bleibt eigentlich deine Freundin?", fragte mich Sol und erst jetzt fiel mir auf, dass Sumi immer noch nicht zurück war.
„Ich versuche sie anzurufen", meinte ich gespielt gelassen. Es wurde dunkel draußen und es war ungewöhnlich, dass sie noch nicht zurück war. Bei mir klingelte eine Alarmglocke und selbst wenn ich noch versuchte, sie zu ignorieren, machte sich ein ungutes Gefühl breit. Sol nickte und ich holte mein Handy hervor. Ihre Nummer war als meine Mitbewohnerin eine Kurzwahl, doch sie nahm nicht ab. Auch beim zweiten Versuch ließ ich es klingeln, doch gab es nach einiger Zeit auf. „Sie geht nicht an ihr Handy. Irgendetwas scheint nicht zu stimmen. Ich werde nach ihr suchen gehen."
„Verpass aber nicht das Essen", meinte Sol.
„Wenn sie da nicht zurück ist, dann habe ich ein Problem. Ich schaue, ob ihr etwas zugestoßen ist", antwortete ich bestimmt und musste mich zügeln um nicht aus dem Zimmer zu rennen. Kaum war ich draußen, begann ich zu hetzten und zu in unserem Zimmer um mir meine Wintersachen zu packen. Halb im Rennen zog ich mir die Jacke an, sprang in die Schuhe am Eingang, wo mir Sol wortlos eine Taschenlampe reichte.
„Danke." Und dann rannte ich raus. Es war nicht schwer Sumis Spuren in der Einfahrt zu sehen und es war fast sofort klar, dass sie das Grundstück verlassen hatte, also rannte ich ihr über die leicht freigeräumte Einfahrt und legte mich erfolgreich und buchstäblich auf Eis.
Als ich auf die Straße trat und sie nicht sah, wuchs die Unruhe in mir. Sie war intelligent genug um vor Sonnenuntergang zurückzukommen und dass sie nicht auf dem Weg war, bereitete mir Sorgen. Also weiter an der Straße entlang, vorbei an den schneefreien Büschen, die sehr nach Sumi aussahen, bis die Spuren endeten. Für einen Moment blieb ich stehen und entdeckte dann den freigeräumten Baumstamm und die den flach getretenen Schnee darum herum.
Bei genauerem Hinsehen, konnte man eindeutig die Spuren Sumi zuordnen, doch eine andere Person war beigetreten und selbst, wenn es nur platter Schnee war, wiesen die Fußabdrücke auf einen Kampf oder wenigstens auf Widerstand hin. Auf der anderen Seite der Straße, auf der ich zuvor gelaufen war, fielen mir nur die Ränder von Reifen im der Schneewand daneben fest und die Unruhe in mir wuchs weiter. Es war sinnlos den Autospuren zu folgen, ohne einen Ansatzpunkt, wohin sie unterwegs gewesen waren. Vielleicht konnte Sumi mir sagen, wo sie war und ich konnte sie abholen – wenn sie denn rangehen würde! Ich versuchte sie erneut anzurufen und machte mich auf den Weg zurück zur Villa. Inzwischen war die Sonne untergegangen und nur noch ein Streifen Orange spendete natürliches Licht.
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Vampirbiss
Romance„Leif!", rief ich recht laut und er zuckte zusammen, „Sag was du willst, nachdem ich bis eins gezählt habe, sonst geh bitte wieder." Er nickte zögerlich und ich schloss die Augen, bevor ich langsam von drei herunter zählte. Als ich die „Eins" ausges...