62. Anruf

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Anfang Februar 2012

Eingehender Anruf einer
unbekannten Nummer

"Ja, hallo? Hier ist Winston", sagte der junge Mann unsicher in den Hörer.

"Hey, Lennie hier. Wie geht es dir?", fragte eine tiefer und rauer klingende Stimme.

"Warum ist das wichtig? Was ist denn jetzt mit Winter? Warum hat er sich nicht mehr gemeldet? Vielleicht übertreibe ich auch, aber ich drehe irgendwann noch durch, wenn mir keiner etwas sagt."

"Ganz ruhig, Winston. Es ist wichtig, weil ich dir gleich etwas erzählen werde, wofür man starke Nerven benötigt. Und naja, Mut, da mich Winter umbringen wird, wenn er erfährt, dass du es weißt."

"Mann, mach es doch nicht so spannend und sag es einfach!"

"Wie du willst. Aber du musst mir versprechen, Winter nichts davon zu erzählen, okay?"

"Ja, alles gut. Jetzt sag es, bitte", flehte der jüngere, während er sich sicherheitshalber auf einen Stuhl in seinem Zimmer setzte.

"Du siehst aus wie er."

"Er? Wer ist er? Lennie?!"

"Sein Ex."

"Oh, Winter ist auch schwul? Kam mir gar nicht so vor", kicherte er erst, wurde doch dann eine Spur ernster.
"Kannst du mir sagen wie alt Winter ist?"

"Vierunddreißig, wieso?"

"Oh, verstehe ...

Weil er mir rein gar nichts über sich erzählt."

"Klingt nach ihm", meinte der andere trocken.

"Aber warum sollte ich jetzt starke Nerven haben?"

Winston hörte den Mann auf der anderen Seite der Leitung seufzen und es kam ihm wie eine halbe Ewigkeit vor, bevor er wieder das Wort ergriff.

"Er hat durch einen Autounfall seinen damaligen Freund verloren. Er hieß Wesley.
Winter kam schwer verletzt davon, wochenlanges Koma mit gebrochenen Rippen und einem Schleudertrauma."

"Wer saß am Steuer?"

"Winter.
Er hat sich nie vergeben; die Familie von Wesley auch nicht."

"Das ... das."

"Ich weiß, es ist wirklich traurig. Doch das ist jetzt fast 10 Jahre her und Winter kommt immer noch nicht klar."

"Aber, wie konnte es denn so weit kommen?"

"Sie haben sich beim Studieren kennengelernt; eine echte Schnulze sage ich dir. Winter war damals ein anderer Mensch, lebensfroh und motiviert. Er hat ständig nur gelacht, was mir schon nach kurzer Zeit gehörig auf den Geist ging. Jetzt vermisse ich es, sein Lachen zu hören ... Man erkennt davon nichts mehr wieder. Eine verdammte leere Hülle", flüsterte Lennie den letzten Teil traurig.
"Und der Unfall ... sie kamen gerade von der Abschlussfeier und wie zu jeder Feier trinkt man etwas. Den Rest kannst du dir sicherlich denken."

Winston ließ sein Handy sinken, als Tränen seine braunen Augen verließen. Sie tropften vom Kinn in seinen Schoß, während seine Gedanken ihn erdrückten.

𝖳𝗂𝗉𝗉𝖿𝖾𝗁𝗅𝖾𝗋Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt