Sunday mornings

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Ein lautes Klopfen hämmerte gegen die Tür.
"Steh auf! Wag es ja nicht, dass wir wegen dir zu spät kommen!"
Lina stöhnte genervt. Es war Sonntag. Sonntagmorgen. 8 Uhr früh. So ein Mist. Jede Woche der gleiche Bums. Langsam quälte sie sich aus dem Bett. Sie fühlte sich viel zu müde, ihre Beine waren beinahe zu schwer um sie zu bewegen und zu schwach um sie zu tragen. Ihre Nase juckte und Augen tränten.
"HATSCHI!"
Lina nahm sich ein Taschentuch, um ihre Nase zu putzen. Es war Mitte Februar, fast jeder war erkältet und Lina wollte am liebsten den ganzen Tag im Bett liegen und sich nicht bewegen müssen. Erneut wurde gegen die Tür gehämmert.
"Jetzt steh verdammt nochmal auf!"
"Ich bin krank.", rief Lina zurück.
Ihre Tür wurde hastig aufgeschlagen.
"Ich halte das nicht aus! Jede Woche willst du dich vor der Messe drücken! Du solltest es wertschätzen, dass ich versuche deine Seele zu retten. Du wirst ewig in der Hölle schmoren! Wenn du für deine Gesundheit beten würdest, so wie ich, dann würde das nicht passieren!"
Angelikas Gesicht war rot gefleckt vor Wut. Sie sah aus als sei sie kurz vorm Platzen. Lina musste ihr gar nicht mehr richtig zuhören, um zu wissen, was sie gesagt hatte. Es war jede Woche das Gleiche. Lina glaubte nicht an Gott. Sie hatte noch nie etwas mit Religion am Hut gehabt. Und sie glaubte auch, dass Angelika nicht wirklich an Gott glaubte. Das Ganze Religions-Getue war eine eigenartige Masche von ihr mit der sie irgendetwas anderes kompensierte. Denn obwohl Angelika andauernd von Gott, Glauben und religiösen Werten sprach, benahm sie sich überhaupt nicht wie es von frommen Menschen erwartet wurde. Sie trank Alkohol, fluchte regelmäßig und war vor allem egoistisch. Und auch ihr Sohn Robin benahm sich nicht wie jemand, der mit religiösen Werten aufgewachsen war. Zwar ging er mit in die Kirche und zum Friedhof und nickte alles lieb ab, was seine Mutter sagte, aber Lina wusste, dass er wie all seine Freunde auch Alkohol trank, Marihuana rauchte, lange und oft feierte und auch ganz bestimmt nicht die Finger von Mädchen ließ. Trotzdem verlangte ihre Stiefmutter von ihr, dass sie sich nach den "katholischen-Christlichen-was-auch-immer-Werten" zu verhalten habe und wenn nicht, dann knallt's. Es hatte keinen Sinn mit Angelika zu diskutieren. Lina musste gehorchen oder die Konsequenzen spüren.
Es herrschte Totenstille im Auto. Linas Vater fuhr und ließ seine Augen für keine einzige Sekunde von der Straße weichen als sei er ein Fahranfänger anstatt jemand, der seit beinahe 40 Jahren tagtäglich Auto fuhr. Er trug ein Hemd, welches keine einzige Falte hatte, da es frisch von der Reinigung kam. Seine Schuhe waren poliert und er sah einfach nur wie ein reicher Spießer aus fand Lina. Ihre Stiefmutter trug ein Etuikleid, was viel zu edel war, um damit zu einer stinknormalen Messe zu gehen. Ihre blondierten Haare waren in einer Hochsteckfrisur von der Lina keine Ahnung hatte, wie sie zustande gekommen war. Robin trug zumindest ein offenes Hemd unter dem er ein weißes T-Shirt an hatte. Lina trug ein ACDC Shirt, welches ihrem Vater gehört hatte, bevor er Angelika geheiratet hatte und dazu seine Lederjacke, welche er ebenfalls nicht mehr trug. Angelika hasste es, wenn Lina so rumlief. Das sah nicht "weiblich genug" aus und "Ladys trugen so etwas nicht" "weil es sich nicht gehört". Diese Provokation war Linas Hauptgrund sich Sonntags so anzuziehen. Das und weil sie ihren echten Vater vermisste. Seit der Hochzeit hortete sie all seine Sachen, damit Angelika sie nicht wegschmeißen konnte, obwohl sie es am liebsten tun würde und es andauernd androht.
"Das darfst du nicht.", schreit Lina dann immer, "Denn eines Tages wird er zu Gesinnung kommen und dich Psychopath verlassen!"
Das ist dann der Moment, in dem Robin ins Zimmer stürmt und Lina eine verpasst.
"So redest du nicht mit meiner Mutter!"
"Aber sie redet doch genauso mit mir!"
Linas Vater möchte sich dann nie einmischen.
"Beruhigt euch einfach alle. Es gibt keinen Grund zu schreien. Vertragt euch einfach alle und hört auf zu streiten, verstanden, Lina?"
Als sei das alles Linas Schuld. Aber dann telefoniert er schon wieder mit irgendwelchen Geschäftspartnern und darf nicht angesprochen werden.
Plötzlich wird die Stille im Auto unterbrochen und Lina aus ihren Gedanken gerissen.
"Wir müssen ernsthaft darüber reden, wie du dich immer anziehst, Lina. Und deine Haare. Das ist furchtbar. Es gehört sich nicht. Die siehst schrecklich aus und ich schäme mich, so mit dir rumzulaufen.", klagte Angelika.
Sie sah aus als würde sie fast eine Krokodilsträne vergießen. Na toll. Für diese Performance hatte sie schon beinahe einen Oscar verdient. Nun würde Linas Vater ihr zustimmen und falls Lina widerspricht, wäre da Robin, der ihr seine Meinung einprügelt.
"Welche Haarfarbe fändest du denn besser? Blau?", fragte Lina und biss sich auf die Zunge, weil das eventuell schon zu viel Sarkasmus gewesen sein könnte, um sicher davon zu kommen. Linas Haare waren rosa gefärbt. Sie hatte mit 14 angefangen sich ihre Haare bunt zu färben und war bei rosa stehen geblieben. Das war nun irgendwie ihr Markenzeichen und vielleicht auch der Grund, warum ihre Mitschüler sie überhaupt alle kannten. Naja, einer von zwei Gründen.
Und erneut war Lina in Tagträumen verschwunden, obwohl nun mehrere Stimmen im Auto erklangen. Manchmal fühlte sie sich wie in einer Blase. Dann war sie so in ihren eigenen Gedanken gefangen, dass sie ihre Außenwelt gar nicht mehr bemerkte. Zumindest nicht bis das Auto anhielt und sie an der Kirche angekommen waren.
"Ich warne dich: Benimm dich gefälligst und wehe, du schaust auf dein Handy!"
Lina seufzte nur genervt und öffnete die Autotür.

Fuck FamilyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt