12. Rat - Pfeile erwischen einen immer im ungünstigsten Moment

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Wir hatten es tatsächlich bis zur großen Barriere von Eos geschafft. Und das in einem Stück – was wirklich ein Erfolg darstellte, wenn man bedachte, dass die tanzenden Weiden mich wirklich nicht leiden konnten.
Ich hatte viele Gemälde von der großen Barriere gesehen und mindestens doppelt so viele Schriften über sie gelesen. Aber jeder Autor, jeder Maler, jeder Abenteurer hatte sie anders beschrieben.
Unter dem Begriff einer Barriere hatte ich zumindest etwas anderes erwartet, als helle farbenfrohe Lichter, die höhnend über der Grenze zwischen Ereth und dem Dunkelwald von Krad tanzten.
„Sind das...Irrlichter?", fragte Caya, ebenso verwirrt wie es schien. Sie ließ sich elegant von dem Rücken ihres Iaculis' herunter gleiten, in dem Moment in dem ihre Füße den Boden berührten, löste sich der Iaculis auf. Seine Umrandungen waberten in den dämmernden Sonnen, dann wurde der Rauch transparent, bis er schon ein fallendes Sandkorn später, komplett verschwand und es war als hätte das Iaculis nie existiert.

Den Anblick dieser seltsamen Wesen und ihrer noch seltsameren Verhaltensweisen waren wir mittlerweile schon gewöhnt. Wir hatten ungefähr dreieinhalb Sonnen bis zur Grenze gebraucht. Das war zumindest genug Zeit um nicht jedes Mal erneut von einem kalten Schauer überrascht zu werden, wenn die Iaculis sich plötzlich und ohne Vorbereitung manifestierten.
„Nein, Irrlichter sind blau.", erwiderte ich und stieg ebenfalls ab.
Ich warf Morpheus, der gelangweilt etwas weiter entfernt von uns mit verschränkten Armen dastand, einen kurzen Seitenblick zu. Wieso sah der Schwarzhaarige eigentlich immer so aus, als würde die ganze Welt ihn zu Tode langweilen?

„Wenn es keine Irrlichter sind, was dann?", fragte Caya jetzt, sie hatte sich mir zu gewandt und lief rückwärts weiter auf die Lichter zu. Ich zuckte nichtssagend mit den Schultern, während ich ihr mit schleifenden Schritten folgte. Die Müdigkeit nagte an mir. Sie nagte an uns allen. Die Nächte hatten wir auf kaltem feuchtem Waldboden verbracht. Wenn wir überhaupt die Augen hatten schließen konnten. Leider lag auf dem Weg von Bree bis zur Grenze nicht eine einzige Taverne, nicht ein einziges Wirtshaus. Ich vermutete das lag daran, dass die wenigsten Leute aus Bree nach Krad reisten.
Im Dunkelwald sah das schon anders aus. Hinter der Grenze würde es etliche Tavernen geben. Ich freute mich schon jetzt auf ein richtiges Bett.

Nur wenige Ellen vor den tanzenden Lichtern blieben wir stehen.
„Bist du sicher, dass das hier die große Barriere von Eos ist?", fragte Caya und legte den Kopf in den Nacken. Ich tat es ihr gleich und sah nach oben. Die tanzenden farbenfrohen Lichter reichten bis in den Himmel. Ein Ende war nicht zu erkennen. Es wirkte ganz so als würden sie nahtlos in die Umrandungen der Sonnen eintauchen.
„Naja, groß ist sie schon mal."
„Ja, aber nicht wirklich...barriere-ig."
Der Zweck der großen Barriere von Eos war es eigentlich die Präsenzen, deren Zuhause der Dunkelwald war, von Ereth fern zu halten. So hatte man es uns zumindest in der Akademie gelehrt und auch sonst hatte ich unzählige Schriften verschlungen, die zwar allesamt andere Beschreibungen der Barriere enthielten, doch zumindest den gleichen Zweck innehatten.
„Es sieht so aus als könnte man einfach hindurchgehen.", rief uns Morpheus zu.
Nachdenklich nickte ich. Das tat es wirklich. Die tanzenden farbenfrohen Lichter sahen nicht sehr furchterregend aus, geschweige denn wirkten sie wie eine mächtige Kraft, die dämonischer Präsenz den Eintritt nach Ereth versagte.
„Rein theoretisch müsste die Barriere für Magier aus Ereth sowieso durchlässig sein.", brachte ich an, „Das steht zumindest in all den Schriften, die ich über die große Barriere von Eos gelesen habe."
Morpheus war mittlerweile auch zu uns herangetreten. Auch er beäugte die Lichter kritisch.

„Also...gehen wir einfach hindurch, oder wie sieht der Plan aus?", fragte er unschlüssig. Weder Caya noch ich hatten eine Antwort darauf.
Wir hatten eben mit etwas gänzlich anderem gerechnet. Ein riesiges Tor, eine Schlucht, einen mächtigen Zauber – eben irgendetwas, was etwas mehr verlangte als ein simples hindurch schreiten.
„Ich schätze schon."
„Und wer geht zuerst?", fragte Caya.
Unsere Blicke trafen aufeinander und wir hatten vermutlich alle dasselbe im Sinn, denn fast synchron platzten wir mit einem: „Ich nicht.", heraus.
„Wie wär's mit einer Runde ‚Troll, Elfe und Assassine'?", schlug ich vor. Caya und Morpheus willigten ein. Und bereits wenige fallende Sandkörner, blickte ich enttäuscht auf mein Assassine Handzeichen. Caya und Morpheus hatten jeweils Troll gewählt.
Troll zerstampft Assassine.", murmelte Caya erleichtert und sah dann mitfühlend zu mir herauf.
Entnervt raufte ich mir die Haare.
„Wettschulden sind Ehrenschulden.", meinte Morpheus, der mich nur verschmitzt angrinste. Ich konnte mir ein Rollen mit den Augen nicht verkneifen und wendete mich dann der Wand aus tanzendem Licht zu.
„Ja, ja, schon gut. Ich mach's ja.", erwiderte ich entnervt. Vorsichtig streckte ich die Hand aus und näherte mich der Barriere.
„Sind ja nur ein paar Lichter, was soll schon schiefgehen?", kaum hatte ich den Satz ausgesprochen, da spürte ich einen scharfen Windzug neben mir und ein fallendes Sandkorn später einen stechenden Schmerz in meiner Hand.
Überfordert stolperte ich zurück und starrte perplex auf meine Hand, die bereits blutüberströmt war. In meinem Handrücken steckte ein filigraner Pfeil, dessen Länge fremdartige Muster zierten.

Caya und Morpheus waren sofort in Kampfposition gegangen. Doch in dem Dickicht des angrenzenden Entwine konnte ich rein gar nichts erkennen. Wo war der Pfeil nur hergekommen?
Caya hatte ihr Schwert gezogen und sich zusammen mit Morpheus, welcher mit den Händen bereits Energie transformierte, schützend vor mich gestellt.
Ich fühlte mich schlagartig in unsere ehemaligen Trainingszeiten zurück katapultiert, in welchen sie mich auch immer beschützen mussten. Zähneknirschend umfasste ich den Pfeil mit meiner anderen Hand und riss ihn dann aus meinem Handrücken. Erneuter Schmerz erfasste mich, denn die Pfeilspitze hatte Widerhaken gehabt.
Doch ich würde ganz sicher nicht mehr hinter Caya und Morpheus zurück bleiben. Ich würde ihnen zeigen, was ich drauf hatte. Ich würde ganz sicher nicht wegen einem dummen kleinen Pfeil in die Knie gehen.
Entschlossen bahnte ich mir einen Weg zwischen Caya und Morpheus hindurch und schritt in die etwaige Richtung, von der ich glaubte, dass aus ihr der Pfeil gekommen war.
„Was soll das? Zeig dich, oder bist du so feige?", rief ich wütend in das dunkle Dickicht des Waldes. „Den hier kannst du wieder haben!", wütend warf ich den noch blutigen Pfeil weg, „Komm heraus und versuch's nochmal, vielleicht triffst du ja diesmal!"

Wie als hätte mein Angreifer nur darauf gewartet, dass ich ihn ansprach, hörte ich bereits erneut das symbolische Zischen eines Pfeiles der die Luft durchschnitt. Mir gelang es jedoch mit einem Sprung zurück rechtzeitig auszuweichen. Diesmal hatte ich die Richtung, aus der der Pfeil kam genau gesehen. Mitthilfe simpler Mathematik überschlug ich schnell im Kopf die ungefähre Geschwindigkeit mit der Höhe des Pfeils, um mir ein körperliches Bild von dem Angreifer zu machen.
Ich stellte mich erneut auf und blickte direkt in meine berechnete Richtung. Caya war derweil zu mir gesprintet und hatte sich mit ernstem Blick neben mich gestellt. Ihre rechte Hand war ausgestreckt und wütende Flammen tanzten zwischen ihren Fingern umher.

„Feigling!", brüllte sie in den Wald vor uns. Ich nutzte die Ablenkung, die sie mir bot um unbemerkt einen spitzen Dolch, welcher mit Animarummetallum ummantelt war von meinem Gürtel zu ziehen. Dieses Metall war sehr leicht und es eignete sich hervorragend zum Werfen. Außerdem führte es zu leichten Verätzungen bei Wesen mit dunklem Blut. Sollte es tatsächlich eine dämonische Präsenz über die Barriere nach Ereth geschafft haben, dann würde dieser Dolch es erheblich ausbremsen. Aufgebracht umfasste ich den Griff des Dolches so fest, dass ich spürte, wie die Wunde meines Handrückens weiter aufriss. Ich musste geduldig sein. Den richtigen Moment abwarten. Aus dem Augenwinkel sah ich Morpheus, er wirkte ebenfalls angespannt. All unsere Nerven waren bis zum Zerbersten gespannt.
Das war unsere erste Kampfsituation außerhalb von Ereth. Weit weg von anderen Magiern, die uns helfen konnten, wenn es hart auf hart kam.
Wenige fallende Sandkörner später sah ich das Aufblitzen von Metall im Dickicht, ich wartete keinen weiteren Wimpernschlag und holte direkt aus, ehe ich mich auch schon duckte. Mein Dolch flog nur eine Haaresbreite an dem Pfeil vorbei, welcher knapp zwischen mir und Caya hin durchflog und hinter uns in den Steinboden stieß.
Mein Dolch dagegen hatte sein Ziel nicht verfehlt. Wir hörten eindeutig ein unterdrücktes Stöhnen.
„Das klang menschlich.", merkte Caya an und ich nickte. Ich hatte eher ein Brüllen erwartet, oder einen hohen Schrei – etwas eben, was dämonische Präsenz andeutete.
Ich setzte mich in Bewegung.
„Warte, was machst du denn?", Caya hatte mein Handgelenk umgriffen und sah mich besorgt an.
„Ich sehe nach wen oder was mein Dolch getroffen hat.", erklärte ich ruhig, weil ich davon ausging, dass dies doch offensichtlich war.
„Was, wenn es ein Hinterhalt ist?", fragte die Silberblonde und ließ von mir ab.
„Das werden wir wohl oder übel herausfinden müssen. Aber ich werde hier ganz sicher nicht stehen bleiben und warten bis – was auch immer – erneut angreift.", erwiderte ich und zog ein erneuten Dolch von meinem Gürtel, ehe ich mich weiter in die Richtung aus der, die Pfeile gekommen waren bewegte.
Caya setzte mir nach, sie hielt ihr Schwert in vollkommen ruhigen Händen.

„Leute! Was macht ihr da, verdammt noch mal? Sollten wir nicht abhauen?", zischte Morpheus uns von der Seite an.
Ich verschwendete nicht mal ein fallendes Sandkorn, um Morpheus anzusehen. Ich konzentrierte mich ganz auf das, was vor mir lag.
„Ganz sicher werde ich – wer auch immer in dem Gebüsch sitzt, nicht den Rücken zuwenden.", fauchte Caya entschieden zurück.
„Verdammt noch mal, ihr werdet das bereuen!", meinte Morpheus überzeugt, folgte uns schließlich dann aber doch, jedoch nicht ohne noch einmal genervt: „Ich kann es nicht fassen, dass ich mich euch Idioten angeschlossen habe.", zu murmeln.

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