15. Rat - Lass sie dich unterschätzen

54 11 1
                                    

Nervös beobachtete ich den Bewegungsablauf Morpheus'. Die Luft um seine Hände begann zu wabern. Tikkas prüfender Blick wandelte sich in stumme Überraschung um und sie wich zurück. Ich konnte sehen, dass ihre linke Hand zuckte und über ihrem Waffengurt schwebte.
Die Situation war angespannt und seltsam belegt. Ich hoffte inständig, dass Morpheus nichts Dummes tun würde. Er würde sie doch nicht angreifen, oder?
Noch während ich mir darüber den Kopf zerbrach, streckte Morpheus auf einmal in einer fließenden Bewegung den Arm aus und ich spürte die Druckwelle, die von seiner Hand aus in jegliche Richtungen schoss. Er wirkte einen Zauber. Er griff Tikka tatsächlich an.
Ich hatte das Gefühl, dass die Welt um uns auf einmal in Zeitlupe verlief. Sofort stürmte ich nach vorne, um mich zwischen die Beiden zu stellen und einem möglichen Kampfszenario den Gar auszumachen. Doch die erwartete Reaktion Tikkas blieb aus. Und nach mehreren fallenden Sandkörnern, in welchen Morpheus bereits wieder den Arm gesunken hatte, folgte ich schließlich mit meinem Blick der Richtung, in welche der Schwarzhaarige seinen Arm ausgestreckt hatte. Und dann fiel auch bei mir der Groschen. Scheinbar war ich damit nicht allein, denn auch Tikka pfiff beeindruckt.
Circa dreißig Fuß von uns entfernt stand ein Iaculis. Schwarzer wabernder Rauch erhob sich von dem Körper des Wesens, als wolle es sich auflösen, aber irgendetwas schien es zurückzuhalten. Oder besser gesagt irgendwer.
„Ich bin Psych-Magier.", erklärte Morpheus jetzt und verschränkte die Arme vor der Brust, „Spezialisiert auf Schlaf- und Raummagie.", er schnipste und das Iaculis löste sich wütend wiehernd in schwarzen Rauchschwaden auf.
„Nicht schlecht. Ich hörte es gibt nur sehr wenige Psych-Magier.", erwiderte Tikka mit einem Ton in ihrer Stimme, den ich nicht ganz deuten konnte.
Morpheus zuckte bloß mit den Schultern und wendete sich ab, offenbar ermüdete ihn die Diskussion.

Dafür legten sich nun die nachtblauen Augen Tikkas auf mich.
„Und was für eine Art Magier bist du?", fragte sie nun und zog die feinen Augenbrauchen prüfend zusammen.
Da war sie wieder – die Frage der Fragen. Diese Frage hatte früher mein Leben bestimmt. Ich hatte für sie gelebt und ich war mir sicher gewesen, dass ich eines Tages für sie gestorben wäre.
Doch diese Zeit war vorbei – erinnerte ich mich. Ich war nicht mehr länger der verängstigte Einzelgänger der Akademie, den alle belächelten.
„Ich beherrsche die Magie der Wissenschaft.", sagte ich mit gefasster Stimme. Aus dem Augenwinkel sah ich Caya, die mir aufmunternd zunickte.
Doch Tikka sah wenig begeistert aus. „'Die Magie der Wissenschaft' – das ist keine Magie."
Ich schluckte schwer. „Das kommt auf die Betrachtungsweise an."
Doch die Dunkelelfe schüttelte mit dem Kopf, sie beäugte mich von oben bis unten kritisch.
„Wenn du eigenständig keine Magie wirken kannst, dann bist du kein Magier. Du bist ein Mensch. So einfach ist das."
Ehe ich darauf etwas erwidern konnte hatte sich Caya zwischen uns gestellt. Der Wind hatte aufgefrischt und zog an ihren Silberblonden Haaren. „Du hast gesehen zu was Casta fähig ist. Er hat dein Versteck mit bloßem Verstand aufgedeckt und dich dann auch noch getroffen.", sagte sie jetzt mit fester Stimme und wies auf den dunkelroten Blutfleck auf der Robe Tikkas, „Du solltest ihn nicht unterschätzen."
„Schön und gut – er ist der Mathematik fähig. Aber auch im lichten Volk gibt es Gelehrte und die nennen sich nicht Magier."
Ich wusste, dass Tikka etwas Spezifisches sehen wollte. Ich musste ihr beweisen aus was für einem Holz ich geschnitzt war. Ich zog einen Langdolch von meinem Gürtel und drehte ihn locker in meiner Hand. Tikka beobachtete mich skeptisch. Dann wendete ich ihr den Rücken zu und begann zu laufen. Ich spürte die Blicke der Anderen in meinem Nacken. Ich begann schneller zu laufen und dann rannte ich. Ich rannte bis zwischen den Anderen und mir eine solche Distanz lag, dass man gerade noch ihre Staturen und ihre Gestik erkennen konnte.
Schließlich zog ich das dunkelgrüne Tuch, welches an meinem Gürtel hing ab und band es über meine Augen. Alles was ich jetzt noch wahrnahm war Schwärze.

Es war schwierig jemanden zu beeindrucken, der von Anfang an damit rechnete, dass man scheiterte. Wie oft hatte ich solche Momente erlebt, als ich noch in der Akademie war. Ich weiß nicht ob du mich in dieser Hinsicht verstehen kannst. Ob du auch das unterdrückende Gefühl des ‚Nicht-Genug-Seins' verspürst oder ob es das in deiner Welt gar nicht gibt. Vielleicht lebst du in einer Welt, die vor Gerechtigkeit beinahe zerspringt.
Es ist unheimlich entmutigend, wenn man in einer Welt lebt, die voller Wunder ist und jeder um einen Zauber und Magie versprüht, außer man selbst. Dann bleibt einem nichts anderes übrig als sein eigenes Wunder zu sein.
Aber das Gute daran - wenn keiner Erwartungen in einen setzte - war, dass sie dich zwangsläufig unterschätzten und wenn sie einen unterschätzten, dann wurden sie unvorsichtig.

Ich warf den Langdolch in meiner Hand nach oben. Ich hörte wie der Wind die Richtung änderte und spürte den Luftwiderstand als ich absprang. Es war äußerst schwierig die eigene Position in der Luft zu berechnen, wenn man nichts sah. Man musste sich statt auf seine Augen, auf die Ohren verlassen und darauf, dass man zuvor sowohl im perfekten Winkel den Dolch, als auch sich selbst in die Luft gebracht hatte.
Ich drehte mich und holte noch in der Luft mit dem linken Bein aus. Ich spürte den Widerstand des Griffs des Dolches an meinem Fuß und danach hörte ich bereits das Geräusch von schneidender Luft, als der Langdolch mit erheblicher Geschwindigkeit auf Tikka zuraste.

Ich landete leichtfüßig und riss mir die Augenbinde ab um zu sehen, ob es geklappt hatte.
Von weitem erkannte ich, dass der Dolch zwar in die richtige Richtung geflogen war, aber sein Ziel nicht direkt getroffen hatte. Tikka hielt den Langdolch triumphierend in der Hand und drehte ihn belustigt.
„Kein schlechter Wurf! Nur eben kein solch guter Wurf, als dass ich ihn nicht abfangen könnte.", rief sie mir zu, während ich mich langsam in Bewegung setzte um zu den Anderen zurück zu kehren.
Je näher ich kam, desto deutlicher hörte ich Tikka sich über meine Fähigkeiten, die ihrer Meinung nach zu gering waren, zu echauffieren.
Wenige Ellen vor ihr blieb ich stehen und hob langsam meine Hand.
„Hör zu: Dein Körpergefühl ist überdurchschnittlich und ich glaube dir auch, dass du ein guter Kämpfer bist. Aber an einen Magier kommst du mit deinen kleinen Kunststücken leider nicht heran. Tut mir leid.", sagte sie jetzt mit weicher Stimme.
Ich schenkte ihr noch ein breites Lächeln, ehe ich an einem der Ringe an meiner Hand drehte. Mein Dolch in der Hand Tikkas zersprang unter gleißendem Licht in tausende Teile. Ich hörte einen erschrockenen Aufschrei und war mir nicht sicher, ob er von Tikka oder Caya stammte. Als das Licht nach wenigen fallenden Sandkörnern versiegte und die Dunkelelfe ihre Augen öffnete, war sie umzingelt von dutzenden spitzen Stacheln, die einst in ihrer Gesamtheit den Langdolch ausgemacht hatten. Tikka hatte die Arme kapitulierend gehoben und schien sich nicht zu trauen, sich auch nur eine Fingerbreite zu bewegen. Die spitzen Stacheln wiederum schienen in der Luft zu verharren, gar zu schweben – was daran lag, dass ich den Dolch aus Tcheil-Metall gefertigt hatte. Wenn dieses Metall in kürzester Zeit erwärmt wurde, zersprang es explosionsartig in seine Einzelteile. Dabei änderte es seine Dichte – es wurde leichter als Luft. Was es wiederum in einen schwebenden Zustand versetzte. Dünne, beinahe unsichtbare Schnüre gefertigt aus Spinnenseide, waren an jedem der kleinen spitzen Steine befestigt und führten zurück zu meinem Ring. Ich zog die Hand zurück und die spitzen Einzelteile des Dolches zogen sich von Tikka zurück, ehe ich auch schon erneut an dem Ring drehte, was dafür sorgte, dass die einzelnen Teile sich wieder zu ihrer Gesamtheit zusammen formten. Das funktionierte, weil ich jeweils an die Enden der Spinnenseide kleinste Magnetteile gewoben hatte, die jedoch nur bei zwei Impulsen durch meinen Ring ihre Schutzschicht aus Drachenpulver ablegten und so magnetisch wurden. Insgesamt hatte ich zwei Monde für die Herstellung dieses Dolches benötigt.
Ich steckte den nun mehr wieder zusammengefügten Langdolch zurück an meinen Gürtel.
„Du sollst mich gar nicht Magier nennen. Mein Name ist Casta Omen. Und diesen Namen solltest du dir einprägen.", sagte ich nun.
Tikka funkelte mich mit einem Blick an, den ich nicht ganz deuten konnte. Teilweise blitzte Kampflust in ihren Augen auf, aber auch Scham und ich erkannte sogar leichtes Staunen.
„Okay, das muss ich dir lassen: Sowas habe ich tatsächlich noch nie gesehen.", sagte sie jetzt und wendete sich dann ab. Das war wohl das, was einem Kompliment von einer Dunkelelfe am nächsten kam. Ich konnte ein Grinsen nicht verbergen.

Tikka musterte uns ein weiteres Mal prüfend. „Warum sollte ich mit euch mitgehen, wenn ich mindestens fünf andere Kontakte habe, die für mein Wissen sogar bezahlen würden."
Ich hatte mich bereits abgewandt. Ich wusste, dass sich Tikka schon längst entschieden hatte. Ich hatte den Glanz in ihren Augen ganz deutlich gesehen.
Ohne mich noch einmal zu den anderen zu drehen, erwiderte ich: „Das wäre fair. Ich bin auch gern mit Leuten zusammen, die nicht so clever sind. Um zu sehen, wie die andere Hälfte so lebt."
Und während ich auf die große Barriere von Eos zuschritt hörte ich ganz eindeutig, dass mir nicht mehr länger zwei Fußpaare folgten, sondern von nun an drei.

Paper Love - Unsere GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt