5. Rat - Waldschrate sind hervorragende Vogelscheuchen

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Hallo, du. Ich habe dir lange nicht mehr geschrieben. Das tut mir leid, denn es fühlt sich so an als würde ich dich ausnutzen. Ich beschreibe diese Blätter fast nur wenn ich mich schlecht fühle. Es kommt mir so vor als würde ich dich damit einfach nur mit herunter ziehen. Ich möchte nicht, dass du denkst, dass ich dich als selbstverständlich ansehe, denn glaub mir: das tue ich nicht. Du bist eher wie ein kleines Glühwürmchen, in meiner beständigen eigens kreierten Dunkelheit. Man, das klingt ziemlich düster, oder? Ich bin ja nicht über Nacht zum melancholischen Philosophen geworden. Aber was soll ich sagen? Ich bin scheinbar heute ein ziemliches Weichei.

Der Grund warum ich dir also mehrere Sonnen nicht geschrieben habe ist, weil es tatsächlich mal gut gelaufen ist. Ich dachte wirklich, dass es mir mittlerweile gelungen war mich richtig in meine Abschlussgruppe zu integrieren. Es wirkte so als hätten Caya, Ippolita, Morpheus und Kirian ihr Schicksal mit mir als Magie-Unfähiges-Teammitglied, akzeptiert.  Zahlreiche Sanduhren vergingen während unseres Trainings. Wir sind endlich etwas mehr zusammen gewachsen, haben die Fähigkeiten und Schwächen des jeweiligen anderen gesehen, akzeptiert und versucht eine gute Balance herzustellen. Sie waren immer noch nicht soweit mich als Freund zu bezeichnen, aber wenigstens akzeptierten und tolerierten sie mich. Und das war schon ein enormer Fortschritt für mich, weißt du?

Ich will dir nicht die Ohren vollheulen - oder sollte ich lieber Augen sagen, weil du das hier ja liest, hast du überhaupt Augen? - aber es ist wirklich manchmal schwer für mich. Ich meine, ich gebe mich stetig so selbstbewusst, aber die Wahrheit in mir sieht ab und an ganz anders aus. Nicht, dass ich nicht denken würde, dass ich nicht überragend wäre - nicht, dass man überhaupt anderer Meinung sein könnte! Aber...ach ich weiß auch nicht. Ich weiß nicht, wieso ich mit diesem Thema angefangen habe. Vergiss es bitte einfach wieder.

Zurück zu dem, was ich dir eigentlich erzählen wollte: Meine Abschlussprüfung ist abgeschlossen. Bevor ich dich länger auf die Folter spanne, keine Sorge: dein überragender Casta hat natürlich bestanden! Ich hab's dir von Anfang an gesagt, nicht wahr? Jetzt fragst du dich sicher, warum ich - anstatt einen Freudensprung nach dem anderen zu machen - in Selbstmitleid schwelge.
Nun, die Prüfung ist nicht wirklich - wie soll ich sagen? - nett abgelaufen.
Bei Hades, ich sag dir, es war schrecklich.

Unsere Aufgabe bestand darin gegen fünf Spax-Dämonen anzutreten. Weißt du, Spax-Dämonen kommen eigentlich aus dem Dunkelwald von Krad. Legenden meinen sie kommen aus dem Land der schwarzen Sonne - aber dieses Land ist nur ein Ammenmärchen. Der Dunkelwald von Krad liegt nordwestlich von Ereth und eigentlich kommen Spax-Dämonen nicht nach Ereth, da sie dafür die große Barriere von Eos überqueren müssten. Doch - aus noch unbekannten Gründen - tauchen immer mehr Dämonen in den umliegenden Ländern von Ereth auf. So auch die kleinen Spax-Dämonen. Sie beherrschen die unglaubliche Kraft der Reflexion. Ihre Haut ist silbern, sie ähneln einem Spiegel. Ihnen gelingt es die Sonnenstrahlen gänzlich zu reflektieren und etwas völlig Neues um sich herum zu formen. Zum Beispiel nur Abbilde von sich selbst, deswegen ist es fast unmöglich einen physischen Treffer zu setzen.

Ich habe Caya sofort ihre Frustration angesehen. Und ich glaube an diesem Tag hat sie zum ersten Mal an sich gezweifelt. Sie hat die Brauen im Ärger verkrampft, zusammengezogen und ihr Schwert ungläubig umklammert. Caya wusste, dass es ihr unmöglich war einen physikalischen Treffer zu landen, wenn die Wesen stets nur eine Abbildung ihrer selbst darstellten. Die Dämonen spielten mit uns, das war uns schmerzlich bewusst, doch es gab nichts was wir dagegen unternehmen konnten. Ein Viertel der Sanduhr waren wir nur damit beschäftigt auszuweichen. Es war wirklich deprimierend. Den Anderen erging es auch nicht anders: Ippolita machte mit ihrer Lichtmagie alles nur noch schlimmer. Wann immer sie versuchte einen konzentrierten Ball aus Licht zu benutzen, fiel es den Dämonen nur noch leichter sich hinter den Reflexionen zu verstecken. Erst als ich sie anschrie, dass sie - entgegen ihrer lichten Magie - wohl nicht die hellste Leuchte sei, weil sie unsere Situation bloß exponentiell verschlimmerte als verbesserte, begriff sie, dass es vielleicht besser wäre auf Licht Magie zu verzichten. Sie sah nebenbei bemerkt nicht sehr glücklich aus, dass sie diesmal nichts gegen mich sagen konnte. Auch Morpheus konnte rein gar nichts mit seiner Schlafmagie bewirken, denn er traf das Ziel ebenfalls nicht. Dies merkte der Dunkelhaarige aber zum Glück selbst und wich freiwillig zurück. Kirian war im Gegensatz dazu nicht bereit so schnell aufzugeben. Ich bewundere seinen Einsatz ja wirklich, aber mehr als den Waldboden in eine spiegelglatte Eisfläche zu verwandeln, schaffte er auch nicht. Das wirkte sich zwar auf die Trittsicherheit der Dämonen aus, was ihnen eigentlich aber nur als Vorteil zuzuschreiben war, da sie nun noch umso schneller um uns herum kreisten.

Rate wer die rettende Idee hatte. Na...na...? Ich!
Eine Sonne kann man nicht einfach ausschalten, das ist natürlich klar. Doch man kann dafür sorgen, dass ihre Strahlen nicht vermehrt den Boden erreichen:
Mit mehreren Rauchbomben. Ich bin also zu Caya gestolpert, die schon mehr als wütend aussah, bei dem Gedanken daran, die Prüfung nicht meistern zu können.

"Caya! Ich habe einen Plan.", erläuterte ich als ich neben ihr schlitternd zum Stehen gekommen war.
"Du? Du hast einen Plan? Schönen Dank auch, Casta, aber ich glaube wir haben schon genügend Probleme, auch ohne deine Pläne.", fuhr sie mich mit unterdrückter Wut in der Stimme an.
Ich musste den unbändigen Drang ignorieren die Augen zu verdrehen. Stattdessen plädierte ich an ihre innere Stimme der Vernunft.
"Jetzt hör dir doch erst mal an, was ich zu sagen habe!"
Seufzend wirbelte Caya ihr Schwert um die eigene Achse und verfehlte mich dabei nur knapp. Mit einer solchen Wucht, dass die Erde unter uns in zahlreiche Risse klaffte, stieß sie das Langschwert anschließend in den Boden. Frustriert packte sie mich am Kragen meines Hemds und zog mich zu sich, so nah, dass ich ihren vor Wut glühenden Atem an meinem Hals spürte.
"Wehe du verschwendest meine Zeit. Ich muss das hier bestehen, verstehst du? Ich muss!"
Überraschender Weise erkannte ich noch etwas anderes in ihren feuerroten Augen außer Frustration und Wut. Sie hatte Angst. Blendende, gleißende Angst, die sie mit wutverzerrter Miene zu verstecken versuchte. Versteh mich nicht falsch, sie hatte nicht Angst vor den Dämonen. Nein, es war etwas viel tiefgründigeres. Sie hatte Angst vor dem nicht Bestehen der Prüfung. Ich wusste nicht wieso sie so unbändige Angst vor dem Durchfallen hatte, denn das war schließlich nicht sofort das Ende der Welt. Aber es musste einen triftigen Grund haben, denn Caya war kein Wesen, das unbegründet Angst verspürte.
Hey, ich weiß nicht ob es in deiner Welt Prüfungen gibt oder nicht. Aber falls du auch damit zu kämpfen hast, lass dir von mir sagen, dass Durchfallen niemals das Durchfallen im Leben bedeutet. Denn weißt du, das Leben, das sagt dir nicht: Oh, du hast es vermasselt? Na, das war's jetzt für dich.
Verstehst du? Es gibt immer zweite Chancen. Wir mögen in zwei verschiedenen Welten und Realitäten leben, aber dieser Sachverhalt ist immer gleich. Überall, glaub mir das. Es gibt immer einen Weg.

Ich erklärte Caya also den Plan und wir ließen nicht viel Zeit verstreichen. Für die drei Rauchbomben, die ich eingesetzt habe, habe ich für jede eineinhalb Sanduhren gebastelt. Es
ist äußerst schwierig an Kaliumnitrat zu kommen, welches für die Rauchbomben unerlässlich ist. Ich habe es von einer Feuerechse aus Tresed. Doch es war unglaublich schwer dieses Mistvieh zu fangen.

Nach dem Zünden der Bomben, erhoben sich dicke Rauchschwaden in die Luft und sorgten dafür, dass man die Hand kaum vor den Augen sehen konnte. Ohne Licht können Spax-Dämonen ihre Körper auch nicht durch Reflexionen verstecken. Das war der Moment in dem Caya, wie Athen selbst, nach vorne stürmte und ihr Schwert in die Körper der Spax-Dämonen stieß. Kreischend gingen die Wesen zu Boden, während Caya sich das schwarze Blut der Dämonen von der Wange wischte und die langen weißblonden Haare zurück warf.
Dann sah ich es. Dieses Lächeln. Ein Lächeln das Erfolg und Erleichterung bedeutete. Man konnte förmlich sehen, wie der Ballast ihr von den Schultern fiel. Bei Dike, ich wünschte ich wüsste was sie so belastet.

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