Kapitel 1-Das Kind aus dem Waisenhaus

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Es war an einem kalten Novembermorgen vor etwa 15 Jahren gewesen, als sich Tianas Leben für immer verändert hatte. An diesem Tag war sie, als warm eingepacktes Bündel, von einem Kutscher am Wegesrand gefunden worden. Ausgesetzte Kinder und Waisenkinder waren in Agarien keine Seltenheit, jedoch auch nicht besonders beliebt. Meist wurden sie liegengelassen, da niemand sie haben wollte, doch der Kutscher welcher Tiana an jenem schicksalshaften Tag fand, hatte ein warmes Herz, oder es war Magie. Doch was sicher war, er ließ das kleine Mädchen nicht liegen, sondern legte es hinten auf die Ladefläche seiner Kutsche um es beim nächsten Waisenhaus abzuliefern. Im Gegensatz zu den Waisenkindern, waren Waisenhäuser sehr selten in Agarien, da sich niemand um die vielen dreckigen, ausgesetzten Kinder kümmern wollte. Sie nahmen nur die Kinder auf, die persönlich bei ihnen vorbeigebracht wurden. Darunter fielen auch jene, die auf der Türschwelle abgesetzt, und zurückgelassen wurden. Auch arbeiteten in den Waisenhäusern meistens ehemalige Verbrecher, oder Wesen die noch nicht als Teil der Gesellschaft akzeptiert waren, wie Kobolde, Vampire oder dunkle Feen. Ja, Agarien hatte seine dunklen Seiten, und damit sind nicht einmal die Vampire gemeint, sondern die Regierung, die diese nicht als vollwertige Wesen anerkannte, obwohl Vampire nicht gefährlicher waren als Menschen, die zusätzlich auch noch deutlich in der Überzahl waren. Genau ein solcher Vampir, ein sehr liebenswürdiger wohlgemerkt, fand das kleine, eiskalte Bündel damals auf der Türschwelle, auf der der Kutscher es abgelegt hatte. Luvian, war der Name des Vampirs. Doch Tiana war die Einzige die ihn jemals nach seinem Namen gefragt hatte. Es war ein schöner Name, fand sie. Luvian nahm das Bündel mit hinein, wärmte es am Kamin auf und gab ihm frische Kleidung. Als Finder des Kindes beschloss er, das kleine Mädchen Tiana zu nennen. Und so wuchs sie auf. Er hatte sie sehr lieb gewonnen über die Jahre, und er dachte auch, dass sie bis zu ihrem 18. Geburtstag hier bleiben konnte, da nie jemand kam um ein Kind zu adoptieren. Doch er täuschte sich. Acht Jahre lang, war er wie ein Vater für sie. Und mit jedem Tag liebte er das schlaue, fantasievolle Mädchen mehr, das er damals auf der Türschwelle gefunden hatte. Ja, sie hatte Fantasie. Viel Fantasie. Sie dachte sich gerne Geschichten aus und schrieb sie auf. Schon mit fünf Jahren konnte sie fließend, und ohne einen einzigen Fehler, ganze Texte aufschreiben, was recht verwunderlich war, für ein Waisenkind. Die anderen Kinder mochten sie nicht. Sie war ihnen zu nett, zu wissbegierig und zu neugierig. Auch konnten die anderen Kinder weder schreiben, noch lesen, was Tiana sehr bedauerte, denn es gab schöne Bücher im Waisenhaus. Es waren nur wenige, doch sie gefielen Tiana sehr. Jedes davon las sie so oft, bis sie es fast auswendig konnte. Im Gegensatz zu den anderen Kindern, die jeden Tag darauf hofften abgeholt zu werden, wollte Tiana hier bleiben. Sie mochte das kleine, düstere Waisenhaus sehr gerne. Doch es sollte anders kommen. Als nach vielen Jahren des Wartens, endlich ein Ehepaar kam um ein Kind zu adoptieren, wählten sie Tiana.
"Ja, Tiana ist ein ganz liebes Mädchen, und so schlau.", hatte Luvian gesagt. Er war sich vorgekommen wie ein Verräter, er wollte Tiana nicht verlieren. Doch er wusste, sie würde es besser dort haben. Bei einer richtigen Familie. Sie würde auch eine Schule besuchen können und es könnte etwas aus ihr werden. Auch wenn Luvian wusste, dass es Tiana ähnlich ging und sie das Waisenhaus ebenfalls nicht verlassen wollte, so wusste er doch, was das Beste für sie war.
"Sie kann schon lesen und schreiben.", sagte er also. "Aus ihr kann einmal etwas werden".
Auch wenn das Ehepaar ein wenig Angst vor dem Vampir hatte, vertrauten sie seinen Worten und nahmen die erschrockene Tiana mit sich, die nicht einmal Zeit bekam um sich von ihren Lieblings-Vampir zu verabschieden. Sie musste mitgehen. Mit dem Ehepaar fuhr sie mehrere Stunden mit der Kutsche Richtung Süden. Je länger sie in der Kutsche saß, desto bewusster wurde ihr, dass sie Luvian und das Waisenhaus nie wieder sehen würde, was sie mit einer tiefen Trauer erfüllte. All das soll nicht heißen, dass die Zeit mit dem Ehepaar schrecklich war, nein, im Gegenteil, sie war sogar sehr schön. Doch es war eben nicht das, was Tiana wollte. Das Ehepaar wohnte auf einem kleinen Bauernhof, und Tiana musste ihnen oft im Haushalt helfen, da sie nicht viel Geld hatten. In der wenigen Freizeit die ihr blieb, lernte und schrieb sie. Und so kam es, dass sie sieben Jahre nach ihrer Ankunft auf dem Bauernhof, ein Stipendium am Rosenschloss bekam, einer der begehrtesten Schulen des Landes. Sie bekam ihr Stipendium für ihre besonderen Leistungen beim Schreiben, so zahlte es sich dann auch aus. Tiana war überglücklich darüber, und auch ihre Zieheltern freuten sich für sie. Sie hatten sich damals im Waisenhaus das richtige Mädchen ausgesucht. Auch wenn sich Tiana nichts sehnlicher wünschte als zurückzukehren, das wussten sie, so war sie doch ein dankbares Mädchen gewesen und hatte sich stets über alle Geschenke und Versuche die Familie mehr zusammenzubringen gefreut, wie auch jetzt, als sie an dieser Elite-Schule angenommen wurde. Von jetzt an, sollte ihr Leben sich verändern. Es war der dritte Tag in ihrem Leben, an dem dieses eine große Wende nahm. Und sie freute sich darüber.

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