Kapitel 5-Von Intrigen und Verrat

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Es waren ein paar Tage vergangen seit meinem letzten Besuch im Wald, doch noch immer traute ich mich nicht mehr hinein, zu groß war meine Angst davor wieder eine solche Vision zu haben. Bis jetzt hatten sich meine Gedanken immerhin noch nicht bestätigt und ich hatte noch keine weitere Vision gehabt, doch ich fürchtete, dass der Frieden nicht lange halten würde, wenn ich den Wald wieder betreten würde. Meine Freizeit verbrachte ich also in der Bibliothek beim Lesen oder Schreiben, wie auch heute. Ich las, da in den letzten Tagen nichts spannendes passiert war was ich hätte aufschreiben können, und auch sonst nichts, was meine Fantasie anregte. Ich las in einem Märchenbuch, und ich war schon fast vollends in die Welt der Märchen eingetaucht, als ich eine, mir nur zu bekannte, Stimme hörte. Nein, dachte ich. Vielleicht irrte ich mich auch, oder er hatte mich gar nicht gesehen. Ich schaute mich lieber nicht um, sondern versuchte verzweifelt einen Satz zu lesen, doch ich schaffte es einfach nicht. Ich las ein und den selben Satz immer wieder, ohne seine Bedeutung zu verstehen, da ich mich einfach nicht konzentrieren konnte.
"Wen haben wir denn da?"
Mir stockte der Atem. Er hatte mich also gesehen! Ich gab es jetzt endgültig auf den Satz zu lesen und schlug das Buch wütend zu. Ich antwortete nicht. Ich drehte mich auch immer noch nicht um, da ich ihm nicht in die Augen schauen wollte. Ich wollte mich nicht wieder darin verfangen, bis ich von ihm darauf aufmerksam gemacht wurde, also starrte ich das M auf dem Buch an. Es war in einer hübschen, verschnörkelten Schrift geschrieben und glänzte in einem edlen Goldton.
"Willst du mir nicht antworten?"
Ich seufzte. Jetzt musste ich wohl antworten, alles andere wäre noch komischer gewesen. Zum Glück schien er diesmal alleine zu sein.
"Was soll man denn bitte darauf antworten?", fragte ich patzig und fügte noch hinzu: "Das war doch wohl das beste Beispiel für eine rhetorische Frage."
Er nickte beeindruckt. "Auch noch so besserwisserisch. So hätte ich dich gar nicht eingeschätzt."
Er sollte mich überhaupt nicht einschätzen, sondern einfach in Ruhe lassen, dachte ich. Doch ich sagte es ihm nicht.
"Was liest du da?", fragte er mit einem Unterton in seiner Stimme, der sogar durchaus interessiert klang.
"Das geht dich nichts an!" Ich ließ das Buch, welches ich eben noch in den Händen gehalten hatte um die Schrift darauf zu begutachten, auf den Tisch fallen. Ich wollte einfach nur noch gehen. Dieser Junge hatte eine Aura, die mich einfach nur wütend machte. Was bildete er sich eigentlich ein? Ich musste gestehen, vielleicht reagierte ich einfach über. Er hatte im Grunde doch gar nichts Schlimmes getan. Ich mochte ihn trotzdem nicht, und das würde ich vermutlich auch nie.
"Wir haben uns noch gar nicht einander vorgestellt. Ich meine, dass kann doch kein Zufall sein, dass wir uns hier so oft treffen."
Nein, das konnte es nicht, vermutlich hatte er da irgendwo seine Finger im Spiel, doch ich äußerte das nicht.
"Ich möchte mich dir auch gar nicht vorstellen!", sagte ich stattdessen. Ich wollte aufstehen, aber ich war wie gelähmt. Und außerdem: Wie komisch wäre es bitte, wenn ich jetzt einfach gehen würde? Inzwischen hatte er sich auf den Tisch vor mir gesetzt und hielt das Märchenbuch in der Hand. Ich hatte ihm immer noch nicht in die Augen gesehen.
Meine Abfuhr schien ihn gar nicht zu interessieren.
"Ich bin Noel", sagte er. Statt zu antworten blickte ich bloß finster auf den Tisch vor mir. War der schwarze Fleck eben auch schon da gewesen?
"Du musst jetzt antworten", sagte Noel. "Hast du denn noch nie jemanden begrüßt?"
Jetzt wurde es mir zu viel. "Doch!", rief ich wütend. "Aber dich ganz bestimmt nicht, also hau ab!"
Noel grinste nur, ihm war das sichtlich gleichgültig, dafür wurden wir jetzt von so ungefähr jeder Person in der Bibliothek angestarrt. Konnte er mich bitte ausnahmsweise mal nicht in eine peinliche Situation bringen? Immerhin schien das die Gelegenheit zu sein abzuhauen. Ich rückte mit meinem Stuhl nach hinten, stand auf, und verließ den Raum ohne zurückzublicken. Aber vermutlich saß Noel sowieso nur auf meinem Tisch und grinste vor sich hin.

Ich war wirklich wütend. Vielleicht sogar mehr auf mich selbst, als auf ihn. Denn ich musste gestehen, dass ich seine Art doch mehr zu mögen begann als mir lieb war. Aber noch war es lange nicht so weit, dass ich mich in ihn verlieben könnte. Das würde wohl auch noch eine Weile dauern, denn im Moment machte er sich mit jedem Wort dass er sagte unbeliebter bei mir. Da konnte er auch noch so grüne Augen haben, allein das reichte eben nicht. Nicht, wenn man eine so unglaublich großkotzige Art hatte. Und die hatte er. Jedenfalls wirkte es so, selbst wenn er hinter dieser Facette ein liebenswerter Mensch war, so half ihm das recht wenig, wenn er den ersten Eindruck so verhaute. Und das tat er gerade.
Ich eilte die Gänge entlang, eigentlich rannte ich schon fast. Ich hatte Angst davor, dass er mir nachkam. Im Treppenhaus nahm ich immer zwei Stufen auf einmal, und ich fühlte mich erst sicher, als ich in meinem Zimmer angelangt war. Auch wenn es jemandem wie ihm vermutlich relativ egal war, dass er keinen Zutritt in einem Mädchenzimmer hatte. Ich verschloss die Tür, und erst als ich mich umdrehte um zu meinem Schreibtisch zu gehen, bemerkte ich Elise. Wenn ich genau darüber nachdachte, hatte ich sie seit der Sache im Wald nicht mehr gesehen. Sie war immer vor mir aufgestanden und nach mir ins Zimmer zurückgekehrt. Mir war das ganz recht, da ich auch keine Lust hatte sie wiederzusehen. Doch gerade war ich zu wütend auf Noel um über meine Worte nachzudenken bevor ich sie sagte. Ich wollte herausfinden, was sie vorhatte.
"Hey", sagte ich. Elise lächelte und sagte nichts.
"Ich weiß, ich hätte dich im Wald fragen sollen...", begann ich vorsichtig. Ihr Lächeln wandelte sich schneller, als ich gucken konnte, zu einem so eisigen Ausdruck, dass sie mit Aurelia hätte mithalten können. Doch sie fing sich schnell wieder, wahrscheinlich sollte ich nichts merken.
"Was denn?", sagte sie nachdem sie ihre Freundlichkeit wiedererlangt hatte.
"Warum hast du mit einer Pegasusschlange gesprochen?", fragte ich. Fals Elise vorher noch Hoffnung hatte dass ich etwas Anderes meinte, so hatte sich diese spätestens jetzt in Luft aufgelöst, doch sie war gut darin sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen.
"Ich habe mit meinen Eltern gesprochen", sagte sie. Diesmal war es wohl keine Notlüge, denn sie log um einiges besser, aber eben noch nicht perfekt.
"Über eine Pegasusschlange? Die seit über 100 Jahren ausdrücklich nicht mehr als Botentiere benutzt werden dürfen?", bohrte ich weiter.
"Naja, glaubst du meine Familie hat den Lordtitel durch ehrenhafte Taten erlangt? Dann hast du aber eine sehr gutgläubige Vorstellung dieser Dinge. Meine Familie hat Geheimnisse. Dunkle Geheimnisse. Und glaub mir, eine Pegasusschlange ist da das kleinste Übel."
Jemand anderes hätte diese Lüge vermutlich geglaubt, denn sie war gut verpackt und Elise hatte sie glaubhaft vermittelt, doch ich gab mich mit dieser Antwort nicht zufrieden. Es mochte ja sein, dass das ein Teil der Wahrheit war, doch es war nicht die ganze Wahrheit, und mit einem Teil gab ich mich sicher nicht zufrieden. Aber ich war inzwischen auch wieder zur Vernunft gekommen, meine Wut war versickert. Also nickte ich nur und hoffte, Elise würde mir abkaufen dass ich ihr glaubte. Denn sie war schlau, sehr schlau. Und das brachte sie auch gleich zum Ausdruck, indem sie vom Thema ablenkte.
"Hast du dich denn noch nie gefragt was deine Freundin, Alina, so macht, wenn du nicht bei ihr bist?", fragte sie.
"Nein, denn dann könnte ich mich das Gleiche auch über sie fragen, und dass mache ich nicht. Oder über Aurelia. Ihre Anwesenheit oder Nicht-Anwesenheit stelle ich doch auch nicht infrage!"
"Solltest du aber", sagte Elise und damit hatte sie mich fast.
"Wie meinst du das?", fragte ich verwirrt.
"Ich gehöre zwar zu einer Lordfamilie, doch Aurelias Familie ist um einiges reicher. Und was glaubst du, wie viele Intrigen und wie viel Verrat eine Rolle spielen muss, damit so eine Familie reicher ist als wir. Sie müssen eine Menge Verbrechen begangen haben, wahrscheinlich sogar Morde. Aber das interessiert doch keinen mehr, solange man das nötige Geld hat um jeden, wirklich jeden zum Schweigen zu bringen."
Jetzt hatte sie mich wirklich. Ob das wahr war?
"Nicht alles kann man mit Geld kaufen", sagte ich.
"Doch das kann man, solange man genug Geld hat. Wir leben in einer wirklich traurigen Welt, Geld ist das Einzige was eine Rolle spielt. Weißt du warum ich nicht will, dass alle meinen Nachnamen kennen?"
Ich schüttelte den Kopf. Langsam bekam ich Angst. Warum weihte mich Elise in all die Geheimnisse dieser Familien ein? Wenn es nur war, um von sich abzulenken, musste sie ein schreckliches Geheimnis haben, denn ein solches Wissen, vertraute man jemandem wie mir doch normalerweise nicht an.
"Meine Familie hat einige große Fehler begangen, und Andere mussten dafür bezahlen. Einige der Schüler hier gehören zu den Familien, denen das nicht gefallen hat. Ihr Schweigen konnten wir uns zwar kaufen, doch nicht ihre Liebe. Sie werden uns weiterhin hassen, auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen dürfen. Verstehst du?"
Der Ton in ihrer Stimme gefiel mir gar nicht. Ich zitterte ein wenig, doch das konnte auch von dem kalten Luftzug kommen der durch das Zimmer fegte, da das Fenster offen stand.
"Aurelias Familie zum Beispiel, hat das besser gelöst. Sie hat niemandem etwas angetan, der jetzt hier ist, nur dem Staat, oder Menschen die uns egal sein können. Also ist Aurelia beliebt. Ich stehe allerdings unter ihrem Schutz, so dass niemand mir was tut während ich hier bin. Das haben meine Eltern auch gekauft."
Ich nickte, und noch ehe Elise weiter reden konnte, öffnete ich die Tür. Ich wollte gar nichts mehr darüber wissen, denn auch wenn ich es mir auch so hätte denken können, lastete das eindeutige Wissen schwer auf mir. Außerdem war ich wegen einem anderen Geheimnis hergekommen.
"Ich muss jetzt gehen", murmelte ich noch und schlüpfte aus der Tür. Da Elise keinerlei Anstalten machte mir zu folgen, atmete ich erleichtert auf, und zog los um Alina zu finden. Ich brauchte jetzt eine gute Freundin mit der ich darüber reden konnte.

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