Rosalies Sicht
Schon heute Morgen wurde ich von lauten Geräuschen aus der Wohnung über mir geweckt, den ganzen Tag habe ich das Gepolter ertragen und eingesehen, dass ein Umzug leider nicht geräuschlos vonstatten geht, aber dass ich jetzt den wummernden Bass dröhnender Musik ertragen muss, ist definitiv zu viel für meine Nerven.
Wer auch immer der neue Mieter sein mag, wir werden keine Freunde, so viel steht fest.
Einen Moment lang überlege ich, ob ich möglicherweise irgendwo Ohropax aufbewahre, muss dann aber feststellen, dass mein Haushalt damit leider nicht dienen kann. Ich versuche mir zwei Kissen auf die Ohren zu drücken, aber die ausgelassenen Stimmen und die laute Musik lassen sich damit nicht ausblenden.
Normalerweise bin ich ein friedliebender, ruhiger und zurückhaltender Mensch, aber die Kombination aus Kopfschmerzen und Müdigkeit führt zu einer Überstrapazierung meiner Geduld und ehe ich mich umentscheiden kann, schlüpfe ich in meine flauschigen Pantoffeln und laufe in den Flur.
Fahles Mondlicht fällt durch die Fenster meiner Wohnung und taucht diese in ein kühles Licht.
Ich greife nach meinem Wohnungsschlüssel, der neben einigen Modezeitschriften auf der Kommode neben der Tür liegt und trete nach draußen ins Treppenhaus. Meine Augen brauchen einen Moment um sich an die Helligkeit zu gewöhnen, nachdem ich den Lichtschalter betätigt habe. Die Luft im Hausflur ist eisig und ich spüre wie die Kälte ihre Krallen in meine Haut schlägt.
Sofort bildet sich eine starke Gänsehaut auf meinen Armen und Beinen und ich bereue, nicht noch einen Pullover oder einen Cardigan übergezogen zu haben, als ich an meinem dünnen Nachthemd herunterblicke.
Was soll's, ich bin jeden Augenblick zurück in meinem Bett, denke ich zuversichtlich und schreite mit festem Schritt, voller Entschlossenheit, die Treppenstufen nach oben. Während ich laufe, wird mir klar, dass ich nie zuvor das obere Stockwerk betreten habe, es ist, als wäre ich in einer komplett neuen Umgebung, in einem ganz anderen Haus und mit einem Mal frage ich mich, ob ich mutig genug bin, bei dem fremden Nachbarn anzuklopfen. Als wäre nicht alles schon unangenehm genug, geht im selben Augenblick das Licht aus und lässt mich in der Dunkelheit zurück.
Als ich vor der Wohnungstür stehe, brauche ich einen Moment um tief durchzuatmen und versuche dabei die Fassung nicht zu verlieren.
Dann klopfe ich. Einmal. Zweimal. Schließlich sogar viermal hintereinander, doch niemand öffnet die Tür. Stattdessen ertönt das Gelächter noch viel lauter und verschiedene Stimmen mischen sich unter die Klänge der Musik, was sich für mich je länger ich vor der Tür stehe, immer mehr nach Lärm anhört.
Erneut spüre ich eine Welle von Wut in meiner Magengegend aufkochen und mit einer ruckartigen, zielstrebigen Bewegung schnellt meine Hand auf den Klingelschalter, den ich trotz der Dunkelheit geradeso erkennen kann.
Normalerweise hätte man das Geräusch über die Musik hinweg vielleicht überhört, aber das schrille Geräusch der Klingel in diesem Wohnhaus konnte man nicht einmal mit einem Hörsturz unbeachtet lassen.
Für einen Augenblick ist es still, jemand hat die Musik pausiert und ich kann Schritte hören, die sich nähern.
Der Bruchteil einer Sekunde in dem ich das Gefühl hatte, meinen eigenen Herzschlag hören zu können, vergeht ebenso schnell wie er begann und das ganze Haus scheint wieder unter der Lautstärke der Musik zu beben.
Die Klinke bewegt sich und jemand öffnet schwungvoll die Tür.
Die Helligkeit der flackernden Lichter blendet meine müden Augen, die sich gerade an die Dunkelheit des Hausflurs gewöhnt haben und ich kneife sie instinktiv zusammen.
Ehe ich abwarten und mich dem neuen Nachbarn vorstellen kann, vergesse ich all meine Höflichkeit und Manieren und beginne in eine wütende Schimpftirade auszubrechen.
„Sagen sie mal, was fällt ihnen ein um diese Uhrzeit so einen Lärm zu verursachen? Ob sie es glauben wollen oder nicht, in diesem Haus leben auch noch andere Menschen und deren Schlafrythmus ist nicht ganz so abgefuckt wie ihrer!"
Ich schnappe wütend nach Luft und blinzele ein paar Mal, um mich an das Licht zu gewöhnen und zu erkennen, wen ich vor mir habe.
Ich habe vieles erwartet. Einen aggressiven, breitgebauten Mann, der seinen Sportclub eingeladen hat, oder eine aufgebrezelte, zickige Studentin, die eine wilde Collegeparty feiert und mich zurück anschreit.
Aber mit Sicherheit nicht das, was ich zu sehen bekomme.
Vor mir steht eine junge Frau, etwa in meinem Alter, mit stechend grünen Augen und einem aufmüpfigen Lächeln auf den vollen Lippen.
Ihre Füße stecken in schwarzen Sneakers, ihre Haare sind zu einem lockeren Half-Bun zurückgebunden und über der zerrissenen Jeans trägt sie einen weiten Pullover, dessen Ärmel gerade so weit nach oben gekrempelt sind, dass ich die Tätowierungen auf ihren Armen erkennen kann.
Hinter ihr erkenne ich etliche Menschen, die sich gegenseitig Shots in den Mund kippen oder schamlos anzüglich miteinander tanzen.
Ich schlucke und frage mich augenblicklich wo ich hier hineingeraten bin.
Anstatt sich ebenso lauthals aufzuregen, wie ich es getan habe, steht sie einfach schweigend vor mir und mustert mich herablassend.
Ihr Blick ist von solcher Intensität, dass ich das Gefühl habe, mich an meinem eigenen Atem zu verschlucken. Sie strahlt pure Selbstgefälligkeit und Überlegenheit aus, lehnt lässig im Türrahmen und gibt mir durch ihre bloße Mimik das Gefühl ein Niemand zu sein.
Hinter ihr taumelt kichernd eine Rothaarige auf hohen Absätzen durch den Flur, kommt immer näher und schlingt schließlich ihre schmalen Arme um die Taille der Frau, die vor mir steht.
„Bist du dann fertig?", fragt diese mit eisigem Tonfall an mich gerichtet, aber lässt mir keine Zeit ihr zu antworten.
„Wie du sehen kannst bin ich nämlich gerade beschäftigt."
Sie lallt ein wenig während sie spricht, scheint aber, im Vergleich zu der rothaarigen Frau hinter ihr, noch ziemlich klar zu sein. Ihre Stimmlage gibt mir unmissverständlich zu verstehen, mich nicht weiter aufzuregen, da sie ohnehin nicht vorhat meinen Wünschen nachzukommen.
„Gehts noch?", fauche ich mürrisch, „Ich verlange, dass die Musik ausgemacht wird, sonst rufe ich die Polizei und beschwere mich über Ruhestörung!"
Der Blick der Fremden durchbohrt mich und für einen Augenblick sieht sie aus, als würde sie meiner Forderung folgen wollen. Dann versteinert sich ihre Mimik und sie sagt: „Schon gut, schon gut. Ich drehe die Musik leiser, davon wird man im unteren Stockwerk nichts mehr hören. Das hier ist eine Willkommensparty, es wird nicht jeden Abend so laut sein. Ich hatte nicht damit gerechnet, eine Spießerin als neuen Nachbarn zu haben."
Das herausfordernde Lächeln kehrt auf ihre Lippen zurück und bevor ich die Möglichkeit habe, etwas darauf zu erwidern, schlägt die Fremde die Tür vor meiner Nase zu und lässt mich im Hausflur stehen.
Na toll.
So hatte ich mir das irgendwie nicht vorgestellt.
„Schon wieder Spießer?" murmle ich vor mich hin und laufe die Treppen wieder nach unten, um endlich etwas Schlaf zu finden.
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Falling for you
Romancegxg Story ✨🖤 Rosalie ist eine gewissenhafte Studentin, die zielstrebig ihren Traum verfolgt, eine gefragte Designerin zu werden. Um für ihre Leidenschaft alle Kapazitäten frei zu haben, hat sie Regeln aufgestellt, an die sie sich stets versucht zu...