Wo genau sein Vater an diesem Abend unterwegs war, konnte Lennox nicht mit Sicherheit sagen, deswegen hielt er den Kopf gesenkt und wanderte in den Schatten.
Er mochte seine stillen Streifzüge, unbehelligt von der Welt, frei wie ein Vogel. Er wusste, dass er gehen konnte, wohin er wollte, niemand würde ihn sehen.Und auch wusste niemand von seiner stillen Hoffnung, Xenia würde eines Tages zurückkehren.
Er wusste zwar, dass dieser Gedanke ziemlich verwerflich war, sie war verschwunden und das vor vielen Jahren. Entweder sie war tot oder sie hatte ein neues Leben begonnen, was Lennox wahrhaftig nicht glaubte, denn er konnte fühlen, dass sie ihren Sohn sehr geliebt hatte.
Und dennoch - falls sie ein neues Leben gestartet hatte, musste er nun das seine leben, und falls sie tot war, würde er für sie mitleben, denn es gab sonst nicht viel, was ihn an seiner Existenz festhalten ließ.Bald schon erreichte Lennox den Fluss, der sich gemächlich durch die Stadt schlängelte. Seine Beine führten ihn nicht zum ersten Mal hierher, schon seit er denken konnte fühlte er sich von Zeit zu Zeit beinahe magisch angezogen vom Wasser. Trotzdem hegte er einen Groll dagegen - ihm selbst bereitete es Schmerzen, wenn er damit in Kontakt kam. Wochenlang hatte er bereits krank im Bett gelegen. Er wusste ganz genau, dass sein Vater nicht glaubte, dass die Schmerzen und das Fieber eine Reaktion auf das kalte Wasser waren, aber Lennox wusste es besser.
Langsam näherte er sich dem Ufer und setzte sich. Er traute sich nah heran, so nah, dass er seine Hand ins kühle Wasser hätte halten könnte. Doch er tat es nicht.
»War sie auch allergisch?«, raunte er und starrte mit dunklem Blick in die Fluten. »Hast du sie umgebracht?«
Er erhielt keine Antwort. Das Wasser schwieg und Lennox stieß frustriert die Luft aus. Alles, was er wollte, waren Erklärungen.
Er wusste so wenig über sich selbst und seine Kaltwasserallergie, über das Verschwinden seiner Mutter und ob er noch Verwandtschaft hatte.
Alleine klarzukommen war sein Lebensstil. Echte Freunde hatte er niemals gehabt und auch in der Familie fand er keinen Halt.Lennox steckte die Fäuste in seine Jackentaschen und machte sich auf den Heimweg. Gemischte Gefühle brodelten in seinem Inneren durcheinander. Da war Frust, aber auch Angst und Verwirrung.
Daheim angekommen stahl er sich durch das Fenster zurück in sein Zimmer und stellte erleichtert fest, dass die Wohnung nach wie vor leer war.
Das Zimmer sah unordentlich aus, sein Bett war zerwühlt und die Tür des schäbigen Einbauschranks stand offen. Misstrauisch verließ Lennox den Raum und besah sich sie anderen Zimmer. Überall herrschte die totale Unordnung. Ihm wurde klar, dass jemand hier gewesen war.
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Schattenjunge
FanfictionLennox hatte keine einfache Kindheit. Seine Mutter ist verschwunden, als er noch ziemlich klein war, sein Vater ist Alkoholiker und zu allem Überfluss ist Lennox nicht nur rebellisch, sondern auch einsam. Eines Tages wird er von seinem Vater jedoch...