Kapitel 5

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Draußen sank die Sonne immer tiefer. Lennox saß am Küchentisch und starrte auf seine verschränkten Hände. Tausend Gedanken schwirrten in seinem Kopf durcheinander. Wer war hier eingedrungen?
Die Stunden vergingen und es wurde dunkler in der Küche; nur das schmutzige Licht der Laterne schien durch das staubige Glas der Scheibe. Auch als Lennox das Geräusch des Schlüssels im Schloss hörte, rührte er sich nicht. Er blieb regungslos, auch als der Geruch von Rauch und Bier mit seinem Vater in den Raum der Küche drang. »Was hast du hier veranstaltet?«, knurrte er. Lennox hob den Blick. »Ich war das nicht.« »Wer soll es sonst gewesen sein?« »Ich weiß nicht«, gab er zurück. »Du warst alleine hier. Ich bin doch nicht blöde«, grollte sein Vater drohend. Lennox verkniff sich eine vorlaute Antwort und zuckte mit den Schultern. Der Schlag kam nicht unerwartet, tat aber trotzdem weh. Der Handabdruck seines Vaters brannte auf seiner Wange.
Lennox wusste, dass Leugnen nichts half, denn er konnte auch nicht verraten, dass er draußen gewesen war, sonst würde er endgültig eingesperrt werden. Es folgten weitere Schläge, weitere Beschimpfungen und weitere wütende Fetzen, die an Lennox vorbeiflogen und sich verloren.
Es war längst dunkel, als er sein Zimmer betrat und sich mit leerem Blick aufs Bett sinken ließ. Ich kann hier nicht bleiben, dachte er müde und gab dem Drang seiner angestrengten Augen sich zu schließen nach.
Als Lennox am Morgen aufstand, zog milchiger Dunst durchs Haus. Der Rauch von Zigaretten stach ihm in die Nase.
In seinem Magen rumorte es und er betrat die Küche, in der noch immer alles verwüstet war. Die Lebensmittel, die er gestern eingekauft hatte, hatte er hinter einem losen Dielenbrett in seinem Zimmer verstaut. Sie würden sich nicht lange halten, aber in den Kühlschrank wollte er sie auch nicht legen, denn sonst würde sein heimlicher Ausflug auffliegen und sein Vater würde ihm vermutlich keinen großen Anteil des Essens überlassen.
Soll er doch selbst für sich sorgen, dachte Lennox grimmig. Er beschloss, erst Ordnung zu schaffen bevor er sich über die gestrige Ausbeute hermachen würde. Bevor sein Vater wach wurde, musste alles ordentlich sein.

Als ein Großteil des Chaos beseitigt war, verdrückte Lennox ein Sandwich und zwei Äpfel; als er gerade beim Rest des zweiten Apfels war, hielt er inne und spitzte die Ohren. Die Dielen im Wohnzimmer knarrten und kündigten seinen Vater an. Lennox schob sofort alles unter das lose Dielenbrett und begann, sich anzuziehen. Viele Klamotten hatte er nicht, also schlüpfte er in eine ausgewaschene Jeans und das schwarzes T-Shirt von Vortag, das neben seinem Bett auf dem Boden lag.
Da ging die Tür auf. „Willst du nochmal versuchen mir zu erklären, was du hier gestern veranstaltet hast?" Die Stimme seines Vaters war rau vom Nikotin und seine Klamotten rochen schwer nach Rauch. „Nein", gab Lennox gezwungen ruhig zurück, innerlich stand er unter höchster Anspannung. Er wusste nicht, wie er seinen Hals aus dieser Schlinge ziehen sollte, ohne mit Ärger davonzukommen.
„Schön. Dann bleibst du hier drinnen, bis du es dir anders überlegst." Mit diesen Worten stapfte sein Vater zum Fenster, drehte den Schlüssel am Griff herum und zog ihn ab. Schnaufend verließ er das Zimmer. Lennox sah ihm nicht nach, sondern ließ sich langsam aufs Bett sinken. „Verflucht", murmelte er.

Eine Woche hielt Lennox es in der kleinen Wohnung aus. Sein Vater sorgte für einen jämmerlichen Einkauf, der sie über die Runden brachte, Lennox selbst war gezwungen, zu putzen. Eine andere Beschäftigung hatte er auch nicht, denn die ganze Zeit Gitarre spielen ging auch nicht. Als sein Vater an einem Nachmittag schlief, schlich Lennox herum und suchte den kleinen Schlüssel zu seinem Fenster. Er musste hier raus. Sein Zimmer konnte er nun ja nicht mal mehr lüften und die stickige Luft versetzte ihn in eine schläfrige Grundstimmung, die ihn nach und nach zu erdrücken drohte.
Mucksmäuschenstill durchsuchte er den kleinen Einbauschrank, der gegenüber vom Sofa stand, wo sein Vater im Schlaf schnaufte. Er war zum größten Teil leer, nur ein paar Papiere und Rechnungen lagen darin; sie wurden allmählich zugestaubt.
Der Esstisch war vollgestellt. Teller und Besteck, wo sein Vater gegessen haben musste, was er manchmal zu den merkwürdigsten Zeiten tat. Lennox warf einen bitteren Blick auf die Bierflaschen, die über den Tisch verstreut leer oder auch voll standen. Die Jacke seines Vaters hing über einem der drei Stühle und Lennox hielt sie für ein vielversprechendes Versteck für den Schlüssel.
Entschlossen ging er darauf zu, ließ sich auf dem Stuhl nieder und wollte sich die Jacke über dem Schoß ausbreiten, um sie zu durchsuchen, da passierte es. Ein Ärmel der Jacke warf eine halbvolle Bierflasche vom Tisch, die sofort auf dem Boden zersprang. Lennox fluchte leise und sein Vater setzte sich auf. Ein Blick reichte um zu sehen, dass er sehr wütend war. „Was soll das werden?", knurrte er und stand auf. Bedrohlich langsam kam er näher. „Nichts", stammelte Lennox und erhob sich vom Stuhl. Es gefiel ihm nicht, noch kleiner als ohnehin schon vor seinem Vater zu sein, der mit wutverzerrtem Gesicht eine weitere Flasche vom Tisch fegte.
„Es reicht", zischte der Mann und griff nach der nächsten Flasche. Lennox wich mit zusammengekniffenen Augen zurück. Die blauen Augen seines Vaters waren kalt und blickten ihn hasserfüllt an, Lennox war wie gelähmt. Wie konnte Mama sich nur in diesen Mann verlieben?
Dieser Mann, in den Xenia sich vor langer Zeit verliebt haben musste, näherte ihm sich, bis sein rotes Gesicht fast seine Nasenspitze berührte. Der Gestank Rauch und die Alkoholfahne umhüllten ihn, Lennox' Blick wanderte zu der Bierflasche, die sein Vater nun drohend hob. „Und jetzt verschwinde von hier, bevor ich dir die hier über den Kopf ziehe."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 18, 2022 ⏰

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