Kapitel 21

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Aro trottete hinter dem Engel her, der sie erst aus dem Wald und dann eine Straße entlang führte. Der Dämon strich sich über die Wange. Betrachtete das schwarze Blut, das an seinen Fingern klebte. Auch sonst war er in keinem guten Zustand mehr. Wenn er seinen Begleiter so anblickte, sahen sie beide fertig aus. Frisch einer Zombieapokalypse entkommen, bei der er selbst infiziert worden war. Würde zumindest seine leichenhafte Erscheinung erklären.
Nichtsdestotrotz streckte der Engel die Hand aus und reckte den Daumen nach oben, wann immer ein Auto vorbeifuhr.
Als würde irgendjemand tatsächlich –
Und genau in dem Moment hielt ein kleines blaues Auto an, als wolle es ihn verspotten. Aro musste ein Lachen unterdrücken, das sich in seinem Inneren schon viel zu sehr nach Wahnsinn anfühlte.
Das Fenster surrte nach unten. Große Augen in einem verwitterten faltigen Gesicht zuckten von ihm, zu Tyriel, zu ihm zurück. Wahrscheinlich bereute sie es spätestens jetzt, angehalten zu haben. Ihre rechte Hand war unwillkürlich zu ihrer Stirn gewandert. Es sah aus, als hätte sie sich bekreuzigen wollen, es dann aber lieber doch sein lassen.

„Guten Morgen", grüßte der Engel höflich und beugte sich vor. „Nun, wir hatten einen kleinen, äh, Autounfall. Könnten Sie uns vielleicht Richtung Cesena mitnehmen?" Er schenkte ihr ein zuckersüßes Lächeln.

Sie zögerte.

„Das so etwas aber auch immer mir passieren muss", murmelte der Engel niedergeschlagen, während er sich wieder aufrichtete. „Dabei sind das unsere Flitterwochen. Er wollte lieber eine Schiffsreise unternehmen, aber neeein, ich musste ihn ja überreden. Bis jetzt ist alles einfach nur schiefgelaufen." Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und dann durch die Haare. „Ich kann ihm nicht verdenken, wenn er mir das jetzt ewig vorhält. Kein guter Start, oder?" Er lächelte resigniert und sah zur Seite. Trotzdem konnte man sehen, wie er Tränen wegblinzelte.

Aro blickte von dem Engel, zu ihr.

Sie blickte von dem Engel, zu Aro, zu ihm zurück.
Mitleid trat in ihren Blick. „Du armes Ding. Ja, natürlich – Natürlich nehme ich euch mit. Wohin wollt ihr denn genau? Ich fahre nach Ponte Abbadesse. Wäre das in Ordnung?"

„Das wäre perfekt! Sie sind unsere Rettung, vielen Dank."

„Kein Problem, steigt ein. So was kann doch mal passieren, daran sind Sie doch nicht schuld."

Verblüfft beobachtete der Dämon, wie Tyriel das Auto umrundete, ihm zuzwinkerte und dann hinter der Fahrerin einstieg.
Augenverdrehend öffnete Aro die Autotür auf seiner Seite.
Dieser kleine verrückte Schauspieler.


Er hatte sich die ganze Autofahrt das unsinnige Geplapper zwischen dem Engel und der netten Dame anhören müssen.

Lag es wirklich nur an dem Engel, dass sie sie mitgenommen hatte? Ohne magische Tricks? Nur wegen diesem Schmierentheater? Wer wäre schon dumm genug, zwei mitzunehmen, die so aussahen wie sie beide? Vielleicht hatte sie aber auch Angst um den Engel und wollte ihn vor dem Zorn ihres ‚Mannes' bewahren. Er grunzte abfällig und bemerkte, wie die hellen blauen Augen der alten Frau im Rückspiegel aufblitzen.

Nachdenklich sah er aus dem Fenster und nahm doch kaum etwas wahr, trommelte mit den Fingern der Rechten auf der Innenverkleidung der Tür.
Es war nicht fair gewesen, dem Engel vorzuwerfen, dass er sein Leben zerstört hatte. Denn dem war nicht so. Er hatte es durcheinandergebracht. Was nicht unbedingt schlecht war. Jedoch ... Ihre Reise näherte sich schneller ihrem Ende, als er es für möglich gehalten hatte. Wie sollte es danach weitergehen?
Er wusste es nicht. Sein Kopf war so leer wie der blaue Himmel über ihnen. Er wusste es verdammt noch mal nicht.


Die Fraktion der Gemeinde Cesena erstreckte sich südlich und war einer ihrer kürzeren Tentakel. Aro war froh, als sie endlich vor einem Restaurant anhielten und er dem süßlichen, staubigen, schweren Alte-Leute-Mief im Auto entkommen konnte. Und der plappernden Frau, die gar nicht mehr hatte aufhören können, dem Engel von ihren drei Kindern und sieben Enkelchen zu erzählen.
„Noch einmal vielen Dank fürs Mitnehmen, Francesca", verabschiedete sich Tyriel fröhlich und winkte ihr hinterher. Dann wandte er sich ihm zu. „Das ist sehr gut. Jetzt ist es nicht mehr weit bis zur Biblioteca Malatestiana."

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