Kapitel 25

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Diese eine Nacht würde ihre letzte gewesen sein.
Der Engel hatte sich nicht von seiner Entscheidung abbringen lassen.
Hatte am frühen Morgen begonnen, die nötigen Vorbereitungen zu treffen.
So selbstsicher, als hätte er dieses Ritual schon unendlich oft durchgeführt.

Und egal wie Aro es drehte und wendete, ihm fiel keine bessere Möglichkeit ein, die Seelen dieser höheren Engel zu transferieren. Er konnte Tyriel einsperren. Oder einen anderen zum Opferlamm machen. Verzeihen würde der Engel ihm sowas niemals. Aufschieben und nach einer Alternative suchen, kam für die sture Ratte auch nicht in Frage.

Wie konnte Tyriel sich nur so sicher sein? Er verstand es nicht.
Es ging zu schnell. Er war so mächtig, aber in diesem Moment fühlte Aro sich einfach nur schwach. Er brauchte mehr Zeit. Verdammte Engel ... Nein, nur dieser eine verdammte Engel.

„Auf Wiedersehen, Aro."

Der Dämon schreckte aus seinen Gedanken.
Tyriel stand neben einem munter knisternden Feuer inmitten des vollendeten Kreidekreises.
Das konnte es nicht gewesen sein. Das ... konnte es einfach nicht gewesen sein.
Und trotzdem. Er stand da. Beide standen sie da, zögerten, blickten einander befangen an. Nur einen Moment. Und dann nickte er dem Engel zum Abschied zu. Ein erschreckend nüchternes Lebewohl, nach allem, was sie gemeinsam erlebt hatten.

In einer harschen Bewegung warf Tyriel die Phiole mit dem Blut ins Feuer. Die Flasche zersprang und die Flammen verfärbten sich für einige Sekunden schwarz. Dann begann er die Formel zu rezitieren. Ohne zu zögern, sicher.

Jetzt konnte auch Aro nicht mehr den Mund halten, die Worte sprudelten einfach aus ihm heraus. „Tyriel, tu das nicht ... Tyriel, bitte, ich habe noch niemals um etwas gebeten, ich habe noch niemals gebettelt, aber bitte, bitte, tu das nicht." War seine Stimme am Anfang beschwörend, wurde sie zunehmend zittriger.

Unbeirrt fuhr der Engel fort, doch in seinen Augen sammelten sich Tränen. Sein Lächeln sollte Aro wohl beruhigen. Vielleicht bat er damit auch um Verzeihung.
Die gezeichneten Symbole glommen, badeten den Engel in schummrigem unwirklichem Licht.

„Tyriel ..." Er war auf den Formelkreis zugestolpert und prallte jetzt gegen eine unsichtbare Wand, die ihm einen Energiestoß verpasste. Kurz sah er alles doppelt.

Die letzten Worte.

Und der Dämon konnte nicht anders, als seine Feigheit zu verfluchen.
„Tyriel, ich muss dir etwas sagen. Tyriel, ich –"

Die Stimme des Engels verstummte, die Formel war vollständig, das Feuer in der Mitte des Kreises sprang auf ihn über und ...
Tyriel sah den Dämon erstaunt an.
Nicht wegen seiner Worte.
Sondern weil die Flammen zischend erloschen waren, die Kreidezeichnungen nicht mehr viel mehr waren als das – einfache Kreidezeichnungen. Der Engel stand immer noch da, atmend und lebendig.
„W...was ist passiert? Wieso – wieso ...?" Mit großen Augen sah er an sich hinab, blickte sich um, sackte schließlich zusammen. „Wieso hat es nicht funktioniert?", flüsterte er. „Wieso hat es nicht funktioniert!" Frustriert krallte er seine Finger in den Boden, sein Blick huschte über die Symbole. ,,Habe ich einen Fehler gemacht?"

„Weißt du, ich glaube, das ist eine Art ... Schicksal." Aro konnte nicht anders, als mit Spott zu reagieren. Er war viel zu glücklich. Himmel, er war glücklich! Erst jetzt fiel ihm auf, dass seine Wangen nass waren. Verblüfft fuhr er mit einem Handrücken darüber. Jedoch konnte er sich nicht lange mit sich selbst befassen.

Ungläubig und mit einer Art von Wahnsinn in den Augen sah Tyriel ihn an. „Schicksal?" Er spuckte das Wort förmlich aus. „Schicksal hält mich davon ab, die Throne zu retten? Nach dem Motto: Der Weg ist das Ziel?"

„Nicht gan..."

„Der Weg ist steinig, du musst daran wachsen, dich würdig erweisen?"

Aro musste lachen und der Blick des Engels wurde düsterer. Was ihn noch mehr zum Lachen brachte.
„Nein, eher: Wenn das Leben dir Zitronen schenkt, mach Limonade draus."

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