Kapitel 20

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Groß und pechschwarz ragte das Schiff vor ihnen empor. Das Holz saugte das Mondlicht des sternenübersäten Nachthimmels förmlich in sich auf und er wusste, dass es sich am Tag mit der Sonne nicht anders verhielt. Wie ein segelschiffförmiger Schatten oder ein schwarzes Loch würde es sich vor dem Blau abzeichnen. Wobei die Segel Dekoration waren, die das magisch betriebene Schiff nicht brauchte, Mack aber gefielen.
Der Bug war aufwändig gestaltet: Ein Engel zierte ihn. Mit herausgerissenen Flügeln, die die Szene einrahmten, und klagendem, flehendem Gesichtsausdruck kniete er vor einem Dämon, der ihn mit einer Lanze aufspießte. Ein sehr schönes Kunstwerk, eigentlich.
Heute jedoch ließ ihn der Anblick frösteln.

Hinter ihnen waren Stände aufgebaut, krumm und schief und wild durcheinander. Lebende Tiere wurden neben gegrilltem Fleisch verkauft, daneben wurde Kleidung angeboten, dann gab es einen Tisch, auf dem Waffen ausgebreitet lagen, und auch einige Schattenhändler tummelten sich hier.
Verkäufer priesen ihre Waren an, als wäre es ein Wettbewerb, bei dem der lauteste Schreihals gewann. Oder der gewiefteste Lügner.
Er brauchte neue Schatten, dringend sogar, aber so verzweifelt war er dann doch nicht. Qualität statt Quantität.

Über allem lag der Geruch von verdorbenem Fisch, säuerlich und ammoniakähnlich. Wäre das Gelände nicht sowieso umzäunt und bewacht, würde der Gestank Menschen davon abhalten, hierherzukommen.

Geschäftig schritten Dämonen vorbei, tätigten letzte Einkäufe, machten das Schiff abfahrbereit, gingen an Bord oder hatten einen anderen Grund, hier zu sein.
Niemand schien ihnen allzu große Beachtung zu schenken, sah man von den Beleidigungen ab, die ihnen entgegengeschleudert wurden, weil sie wie ein Fels in der Brandung die Menge teilten. Das hieß, er war der Fels, der von allen angerempelt wurde, um Tyriel, der sich vor ihm befand, zu schützen.

Erneut stieß ihn jemand mit der Schulter an.

„Hör auf, die Leute so anzustarren", zischte er. „Hör auf, alles so anzustarren, und beweg deinen Arsch!"

Der Engel schien ihn gar nicht zu hören. Er sah aus, als wäre er ein kleines Kind, das in einen Süßigkeitenladen spaziert war. Seine Augen waren groß und rund, zuckten hin und her, während ein verzücktes Lächeln sein Gesicht zum Strahlen brachte.
Man würde sie töten. Nein, man würde sie fassen, foltern und dann erst qualvoll krepieren lassen.
Als hätte der Engel noch nie ein Schiff gesehen. Aro stutzte.
„Wird das deine erste Schiffsfahrt?"

Lächelnd sah der Engel zu ihm auf. „Ist das so offensichtlich?"

Stöhnend schob er den Engel vor sich her.
„Was hast du mit der ganzen Zeit deiner Existenz eigentlich angefangen?"

„Warte, Nyx, ich habe mir noch gar nicht alles angesehen! Diese Tücher da hinten sind schön. Haben die Muster eine Bedeutung? Und die Schmuckstücke da? Oder das Obst? Ist das Obst? Diese kleinen rot gepunkteten runden Dinger? Ich habe so etwas noch nie gesehen. Und das da? Sind das die Süßigkeiten, die Hel hatte? Solche herrlich süßen Speisen gibt es bei uns nicht. Ich –"

Er schaltete auf Durchzug und schleifte ihn einfach weiter. Ein kleines Grinsen musste er dabei allerdings schon unterdrücken.

Hel hatte einen Arzt bestellt, der lediglich Tyriels Worte bestätigen konnte: Das Gift war vollständig aus seinem Körper getilgt und seine Selbstheilungskräfte taten wieder ihre gewohnt überragende Arbeit. Einer Weiterreise hatte nichts mehr im Weg gestanden. Hel war praktisch sofort in der Küche verschwunden.
Zum Abschied hatte er Hel gebeten, sich um Rascan zu kümmern und sie ihnen eine Torte gebacken. Mehrstöckig mit Frischkäsecreme, Buttercreme, Sahne und Marzipan. Abscheulich süß, er hatte kaum ein Stück hinunterbekommen. Dafür hatte Tyriel ordentlich zugeschlagen. Sein Speiseplan sah anscheinend normalerweise etwas anders aus, so, wie er sich auf alles Süße stürzte, das sich in sein Blickfeld traute.

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