Kapitel 1 - Zwei Welten

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„Ich habe nie von dir verlangt das du deine Prioritäten änderst. Nicht wegen mir! Also hör bitte auf mir den Vorwurf zu machen, ich würde dich davon abhalten deine Ziele zu verfolgen.", zischte Charles aufgebracht ohne den Blick von der Straße zu heben. Diese Diskussion dauerte nun schon knapp dreizig Minuten und war nicht die erste dieser Art. Er richtete die Manschettenknöpfe an den Ärmeln seines weißen Hemdes, während er die Hand am Lenkrad routiniert wechselte. „Und jetzt lass uns diese unsinnige Unterhaltung beenden. Von deinen undurchdachten Vorhaltungen bekomme ich Kopfschmerzen." Das Auto in dem sie saßen und in welchem er Julie von dem offiziellen Abendessen seines Fechtclubs heimfuhr war ein Bentley T2. Ein Geschenk seines Vaters zum erfolgreichen Beginn seines Jurastudiums an der Harvard Universität.

Julie saß mit verschränkten Armen auf dem Beifahrersitz und lachte freudlos auf. „Undurchdachte Vorhaltungen? Entschuldige Herr Jurist, dass ich deinem normalen Sprachniveau nicht genüge. Anscheinend ist es das einzige was dich stört, denn meine Zukunft ist in deiner Welt wohl unbedeutend genug um einfach mit einem Handwink ignoriert zu werden.", schnauzte Julie ihn garstig an. Das hatte gesessen. Charles hasste es, wenn sie so mit ihm sprach. Er mochte es generell nicht, wenn man seine Stimme erhob. Es reize sein Gehör, hatte er mal erklärt. „Liebling, mach dich bitte nicht lächerlich. Das hast du nicht nötig und mir ist auch gerade nicht danach amüsiert zu werden. Meine Geduld ist für heute am Ende nach diesem taktlosen Auftritt, den du heute abgegeben hast. Ich brauche jetzt ein warmes Bad und einen guten Tropfen Brandy. Naja, vielleicht auch zwei...", meinte er in einem arroganten Tonfall, der ihn als Opfer dieses Abend darstellte. Schließlich war er derjenige, der sie heute eingeladen hatte ihn zu begleiten. Und sie hatte ihn vor den anderen Clubmitgliedern mit ihren Worten bloßgestellt. Na klar... Sie war die Schuldige. Und er war der Mittelpunkt. Wie immer.

Julie zog ein beleidigtes Gesicht und sah auf die spärlich beleuchtete Straße hinaus. Sie durchfuhren gerade ein Viertel, das man nicht zu Fuß durchqueren sollte. An den Häusern bröckelte der Putz ab, die herabgerutschten Ziegel bildeten Löcher in den Dächern, die Grünstreifen waren mit Mülltüten und Altpapier bedeckt. Alles hier war heruntergekommen und dreckig, viele der Häuser unbewohnt. Es war keine Menschenseele auf der Straße zu sehen, jedenfalls keine, die im Licht der wenigen funktionierenden Straßenlaternen zu sehen war. Und dennoch war ihr, als würden tausend versteckter Augen dem viel zu teuren Auto folgen, in dem sie saß. Julie schauerte in dem eleganten cremefarbenen Hosenanzug und zog den schwarzen Blazer enger um sich. Warum fuhr Charles diesen Weg? Es gab doch sicher einen anderen, oder? Sie hatte Berichte von diesem Ort gehört. Verschwundene Kinder, getötete Ehefrauen, Kriminalität. Selbst die Polizei sei ungern für dieses Viertel eingeteilt und wandte den Blick gerne mal ab, wenn es um einen geplanten Mord ging, um selbst nicht in der Schusslinie zu stehen.

„Nein, nein, jetzt sei bitte nicht kindisch und tu so als wärst du eingeschnappt. Erstens hast du dafür gar keinen Grund, denn immerhin habe ich den Abend -und unseren guten Ruf - gerettet. Und zweitens möchte ich nun die Julie, die ihre Fehler einsieht, sich entschuldigt und sich wie eine erwachsene Frau benimmt. Danach werden wir heimfahren und diesen Abend vergessen.", mahnte er sie wie ein aufmüpfiges Kind das er erziehen musste. Julie verdrehte wütend die Augen und machte keine Anstalten Charles einen Blick zu würdigen. „Ein hübsches Frauchen das zu allen ja sagt, das brauchst du...", nuschelte Julie leise grummelnd gegen die Scheibe, sodass er es unmöglich verstehen konnte. „Wie bitte?", fragte er dann auch sogleich verständnislos nach. Julie schnaubte höhnisch und wollte sich gerade mit einem zuckersüßen Lächeln zu ihm umdrehen und ihm mal endlich die Meinung sagen, als sie ihn sah. Er kam gerade aus einer dubios aussehenden Gasse zwischen zwei verlebten Wohnblöcken in den fahlen Schein einer Laterne. Nach all den Jahren, die Julie ihn nicht gesehen hatte brauchte sie dennoch nur einen Wimpernschlag lang, um ihn zu erkennen. Stefan. Und er war verletzt. Seine gekrümmte Gestalt schleppte sich bis zu Hausecke, wo er gegen die Mauer gestützt stehen blieb und nach Luft rang.

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