Paranoia

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"Warum hast du mir das angetan, Vi? Du hast mich im Stich gelassen!"
"Ich wollte dich nicht zurück lassen, glaub mir.", Tränen brannten ihr in den Augen.
"Es ist alles deine Schuld! Jeden Tag wird dich dieser Gedanke quälen!", er verschluckte sich beim Sprechen und hustete Blut, welches ihm auf den Pullover tropfte.
"AARON!"

Viola schreckte schwer atmend hoch. Ihr Puls raste wie wild und pochte in ihren Ohren wieder.
Aaron tauchte wieder vor ihrem inneren Auge auf.
Er sah sie mit diesem Blick an.
Er hätte alles für sie getan. Nein, er hat sogar alles für sie getan.
Er hat sich wortwörtlich eine Kugel für sie eingefangen.

Viola fuhr sich über das Gesicht. Ihre Wangen waren feucht. Sie hatte im Schlaf geweint. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als das alles nur ein Traum war. Dass Aaron ihr gleich schreiben würde, dass er schon Frühstück besorgt hatte, da sie schon wieder verschlafen hatte.
Doch der Schmerz in ihrer Lende ließ sie in die bittere Realität blicken. Es war kein Traum.
Sie sah sich um, erkannte jedoch nicht gleich, wo sie war.
Sie befand sich in einem ihr nicht bekannten Raum, beleuchtet durch das Sonnenlicht, welches durch die zerfetzten Vorhänge fiel.
Staub tanzte auf den Lichtstrahlen auf und ab.
Das Zimmer wirkte ziemlich schäbig. Die Tapeten blätterten teilweise von den Wänden ab und an der Decke war in den Ecken Schimmel.
Die Wohnung musste verlassen gewesen sein.
Soweit Viola sich erinnern konnte, hatte sie es geschafft zu fliehen und in einem Viertel, wo die untere Bevölkerungsschicht lebte, Zuflucht zu finden.

Vorsichtig stand sie auf und schüttelte die müden Muskeln aus.
Ihr tat alles weh, aber hauptsächlich ihre Seite. Immerhin hatte die Wunde aufgehört zu bluten.
Immer noch auf der Hut, sah sie sich in der Einzimmerwohnung um. Mehr als eine durchgelegene Matratze, die auf dem Boden lag und Papier von Müsliriegeln, war nicht zu finden.
Irgendjemand musste hier hausen. Es war nur die Frage, wann er wieder kam.
Erstmal musste sie sich ausruhen. Die Schmerzen machten sie fertig.
Kalter Schweiß bedeckte ihren Körper und ließ sie frieren.
Die Kugel musste dringend raus, doch fehlte ihr das nötige Werkzeug dafür.
Stöhnend fuhr sie sich durch die Haare und versuchte eine Position zu finden, die etwas entlastend war.
Sie bräuchte nur eine kurze Pause, bevor sie sich jemanden suchen würde, der die Kugel entfernen konnte.
Ihre Augenlider wurden immer schwerer. Sie hatte Angst, die Augen zu schließen, da sie ihren verblutenden Partner und Freund nicht sehen wollte.
Die Müdigkeit siegte jedoch und ihr fielen die Augen zu.

Nachdem Viola sich noch etwas ausruhen konnte und wieder etwas zu Kräften kam, wartete sie den anbrechenden Tag in diesem schäbigen Zimmer ab um in der Dämmerung aufzubrechen. Am helllichten Tag fiel man auf, wenn man mit blutdurchtränkter Kleidung und das Gesicht Kreideweiß durch New York lief.
Die Agentin vertrieb sich die Zeit, indem sie darüber nachdachte, wie es weiter gehen sollte.
Sie brauchte einen Unterschlupf.
Eine Operationsbasis.
Ihre Wohnung würde sich dafür anbieten.
Nicht die, die sie von ihren Auftraggebern bekommen hatte, die wurde wahrscheinlich schon von Kameras angezapft und verwanzt, mit einer schnellen Eingreiftruppe vor der Tür.
Nein, den Gefallen würde sie ihnen nicht tun und in die Falle laufen.
Wenn sie sich verarztet hat, würde sie sich einen Plan überlegen, um ihren Partner zu rächen. So viel stand fest, diesen Hinterhalt wird sie nicht so auf sich sitzen lassen.
Eigentlich hasste sie es, ruhig zu bleiben und nichts zu tun, doch während sie darauf wartete, dass es draußen dunkel wurde, ging sie die verschiedensten Arten durch, wie sie ihren Partner am besten rächen könnte.
Und jedesmal, wenn sie auch nur an ihn oder seinen Namen dachte, zog sich ihr Herz zusammen. Fühlte sich an, als würde es von einer eisernen Hand zerquetscht werden.

Die Geräusche im Wohnblock machten sie wahnsinnig, da die Wände sehr dünn waren, bekam sie alles mit, was in den Wohnungen über und neben ihr passierte.
Rechts von der Agentin stritt sich ein Paar. Er brüllte Sie an und Sie fing, dem Scheppern nach zu urteilen, an mit Porzellan zu werfen.
Über Viola war gefühlt ein Fight Club für Kinder. Es war Getrampel und Geschrei zu hören.
Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass der Abend bald an brach.
Lange würde sie es hier nicht mehr aushalten.
Der pausenlose Schmerz in ihrer Seite, sie konnte die Infektion schon spüren. Die lauten Geräuschen ringsum und dann auch noch der Hunger, der sie plagte. Das letzte Mal, als sie was gegessen hatte, war das gestrige Mittagessen mit Aaron zusammen.
Aaron...was sollte sie nur ohne ihn machen? Er war wie ein großer Bruder für sie, hatte immer das Bedürfnis gehabt auf sie aufzupassen und das bis zu seinem letzten Atemzug.
Viola hatte ihm so viel zu verdanken. Alles was sie wusste, wusste sie von ihm.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie bitterlich versuchte runter zu schlucken.
Du musst stark sein, stark sein für ihn, sagte sie sich selbst in Gedanken und dachte wieder an ihre Rachepläne.
Sofort machte sich Wut in ihr breit und verdrängte die Trauer.
Violas Magen meldete und erinnerte sie wieder daran, dass ihr Körper Nahrung brauchte. Sie erinnerte sich, dass hier Müsliriegelverpackungen herum lagen. Vielleicht hatte sie Glück und derjenige, der hier gehaust hatte, hatte hier noch mehrere liegen. Mühsam kämpfte Viola sich auf die Beine und ging in das Zimmer mit der Matratze.
Als sie diese an hob, fand sie tatsächlich einen Müsliriegel. Innerlich stieß sie einen Jubelschrei aus und suchte schnell nach dem Ablaufdatum.
Es bestand jedoch kein Grund zur Sorge.
Sie riss das Papier auf und verschlang den Riegel.
Wirklich sättigen tat er zwar nicht, aber besser als nichts.

Revenge is served cold Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt