Es waren die Gedanken, die mich fast zerrissen. Mein Inneres nach außen wanden und mich dazu zwangen, mich beinahe zu übergeben. Ein Strudel einer Meerenge, der einen nach unten zog und einem die Kehle verschnürte, so dass die Luft wegblieb und die Lunge sich protestierend im Brustkorb aufbäumte. Hinterhältig und tückisch und doch musste man sich erst zum Boden herunterziehen lassen, um sich dann kräftig abstoßen zu können. Die Augen schließend und die Ohren versiegelnd, so dass der Druck nicht zu stark sein würde, der auf den Schädel eintrimmte, als würde er ihn bersten sehen wollen. Doch gab es dieses Mal keinen Grund, zu dem ich mich hätte ziehen lassen können. Nichts, von dem ich mich hätte abstoßen können. Meine Gedanken waren ein einziger tiefer dunkler Abgrund, der drohte, mich in kleine Glassplitter zu zerschlagen. Ein heftiger Wirbel, der mich mit sich riss und sich weigerte, mich auszuspucken. Es war schwindelerregend wie das Karussell, dem ich jedes Mal aufs Neue mit meiner Mutter zu gestiegen bin. Jedes Jahr im November in einer anderen Stadt, mit einer anderen Art von Regen und einer anderen Sprache, die uns von allen Seiten umgab. Ein anderer Nebel, der die Fahrgeschäfte umhüllte und eindeckte. Es gab Tage, da war sie glücklicher und jene, an denen sie sich heftig zusammen reißen musste, um nicht an den Ketten des sich drehenden Stuhls zu zerren und frustriert in den weiten bunten Trubel um uns herumzuschreien. Damals ist ihrem traurigen Gesicht das Wasser heruntergerannen und doch habe ich es für den Regen gehalten, der auf uns niederpeitschte. Meine Mutter war schon immer eine starke Frau gewesen. Eine Kämpferin mit eisernem Willen und unglaublichen Disziplin. Sie hätte glamourös in diese Welt gepasst. Hätte ihr Amt mit Würde und Ehre getragen, wäre jetzt nicht kurz vor dem Durchdrehen. Hätte Jem nicht ziehen lassen. Hätte die, die sie liebt, geschützt. Und doch bin ich es, die Mr. Fensher hatte erholen lassen. Meine Mutter genügte ihnen nicht. Konfrontiert mit einem Rätsel, dessen Lösung ich sein sollte. Ein Labyrinth, dessen Ausgang ich darstellen würde. Ein glänzendes Medaillon, um das jeder rang. Sie hätte das Institut nicht enttäuscht. Sie brauchte niemanden, der sie beschützte und in den Schlaf sang. Der ihr half, sich selbst zu verstehen. Den Boden unter ihren nackten Fußsohlen in diesem furchtbar kalten Wasser zu spüren und sich mit ihrer verbliebenen Kraft abzustoßen und an die glitzernde und schimmernde Wasseroberfläche zu kämpfen. Niemandem würde es gelingen, ihren Willen zu brechen. Einen Willen, den ich nicht vererbt bekommen hatte. Ich war keine Kriegerin, keine Bezwingerin meiner Furcht. Ich war nicht dazu imstande, meinen Zorn herunter zu schlucken und meine Angst in einer der düsteren Ecken meines Selbst zusperren. Schon immer war ich diejenige gewesen, die von allem Chaos dieser Welt, all den dunklen Seiten, die die Menschheit zu bieten hatte, heimgesucht wurde. Als sei ich ein Magnet, dessen Anziehungskraft nur das Finstere zu verspüren wusste.
Stönend rieb ich mir die Schläfen und lehnte meine nasse Stirn an das kühle Holz dieses unverschämt großen Bettes, in dessen Lacken und weicher Baumwolle ich versank. Meine Haut glühte und oberhalb meiner Lippe bildeten sich zarte Eiskristalle aufgrund des kalten Schweißes, der sich wegen des unaufhörlichen Kreises meines Gedächtnisses auf meinem Gesicht ausbreitete. Ein Kreis, wie zwei Schlangen, die sich gegenseitig in das jeweilige Ende bissen. Der Anfang, der plötzlich zum Ende wurde und das Ende, welches zum Anfang überging. Ein ewiger Kreis der Unendlichkeit ohne Erbarmen und des Entkommens.
Zitternd nahm ich ein Glas Wasser von den dunklen Dielen des Bodens, an dessen Seite ein bunter Strauß mit exotischen Blumen gestellt worden war und in dessen Mitte sich eine weiße Lilie als Zeichen des französischen Königshauses befand. Sie hatten sich Mühe gegeben, mich so freundlich wie möglich zu empfangen. Hatten keine unangenehmen Fragen gestellt und hatten mich augenblicklich nach der Konfrontation Charlotte Beauvoirs auf mein Zimmer geführt. Schweigend hatte Laure an der Zimmertür gewartet, während ich mir umständlich die Lederkleidung vom Leib gezogen habe, um mir die frische Kleidung zu reichen, die sie mir hatten lassen wollen. Leichte Leinen, die sich an meinen erschöpften Körper schmiegten. Warm und auf eine seltsame Art und Weise geborgen fühlten sie sich an. Ich war dankbar für ihre Distanz und das Wahren meiner Verschlossenheit, denn mit dem Gegensatz wäre ich in diesem Moment nicht fertig geworden. Viel zu sehr war ich damit beschäftigt, mich vor mir selbst zu schützen. Dafür zu sorgen, dass mich meine Gedanken nicht bei lebendigem Leibe verzehrten. Jedoch schier erfolglos. Auch das eiskalte Wasser sorgte für keine Linderung meiner Gefühle und meines aufgewühlten Verstandes, welcher mich langsam in einen unruhigen Schlaf wiegte. Ein Schlaf, der mich in Welten entführte, die mein Herz höher schlagen ließen.
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Wächter der Zeit
ParanormalAhnungslos, verwirrt und verletzlich. So fühlt sich Evelyn Hunter, als sie in eine fremde Welt gezogen wird, die ihre Vorstellungskraft bei Weitem übertrifft. Verborgen im Schatten des Verteidigungsministeriums der Welt entdeckt sie Wesen, die ande...