Kapitel 3

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Ruhelos schritt Saia in ihrer beengten Mansardenkammer auf und ab. Durch das zugeschüttete Fenster in der Dachschräge über dem Bett drang kaum Tageslicht herein und auch die Kerze auf der gegenüberliegenden Kommode war schon lange abgebrannt. Aber ihre Augen hatten sich inzwischen an die dämmrige Umgebung gewöhnt. Seit den frühen Morgenstunden grübelte sie hier bereits vor sich hin. Wer jedoch dieser Weirokolus war und woher sie sich kannten, hatte sie immer noch nicht herausgefunden. Dabei musste es irgendjemand Wichtiges sein, doch war sie ihre Bekanntschaften und Freunde unzählige Male durchgegangen. Kein Mensch hatte diesen außergewöhnlichen Namen getragen und doch ... und doch spukte er unerbittlich in ihrem Kopf umher. Sie wechselte erneut die Laufrichtung.
Schließlich streckte sich Saia resigniert. Ein Gähnen konnte sie nicht unterdrücken. Die Luft in der Kammer war unglaublich schlecht. Vielleicht sollte ich heute noch etwas anderes tun, als meine Füße hier drin wund zu laufen. Rasch befestigte sie ihre beiden Waffen neben dem Geldbeutel an den Gürtel und warf ihren Mantel über. Dabei fiel etwas aus ihrer Tasche auf den Boden. Überrascht fischte sie eine kleine Pergamentrolle zwischen den staubigen Dielen hervor. Sie trug kein Siegel; nur ein einfaches Band. Saia entfernte es und rollte den Brief auf. Jemand, der nicht häufig schrieb, hatte ihn verfasst. Es war sehr schwer, alles zu entziffern:

„Werte Saia,
besten Dank für die Annahme meiner Bitte. Ich weiß, ich kann euch nicht viel dafür zahlen, aber es ist alles, was ich besitze. Als Schmied verdient man in einem kleinen Dorf wie Rulid eben nicht viel. Aber nun zum Auftrag: Ihr sollt ein altes Familienerbstück für mich bergen; einen unscheinbaren Dolch mit mystischen Inschriften. Mein Vater vermachte ihn mir kurz vor seinem Tod, doch leider stahl man die Klinge bevor ich sie erhielt. Am besten geht Ihr zu meinen diebischen Verwandten in den Süden – nach Miklan. Meine Tante führt dort gemeinsam mit ihrer Tochter einen Krämerladen. Sie könnten mehr wissen als sie zugeben.
Es ist sicherlich nicht von allzu großer Dringlichkeit, doch ich möchte zurück bekommen, was mir rechtmäßig zusteht.
gez. Dern Norox" 

Neue Gedanken formten sich in ihr. Endlich gab es eine Ablenkung von dem alten Kauz, der sie seit Stunden beschäftigte. Nun, eigentlich war sie ja ausschließlich wegen dieses Briefes hergekommen. Den Auftrag hatte ich fast vergessen ... so ein Mist. Zum Glück hat es der Schmied nicht sonderlich eilig. Hmm, ich war gestern in einem Krämerladen. Es wäre schon ein großer Zufall, hätte ich auf Anhieb den richtigen gefunden. In den hiesigen Ladenstraßen wird es mehrere davon geben. Ich sollte mich einmal umhören. Entschlossen steckte sie die Schriftrolle ein und verließ ihr Zimmer. Auf dem Weg nach unten empfing sie der leckere Geruch von frisch gebackenem Brot. Saia hatte ihn immer geliebt. Er erinnerte sie an ihre Kindheit. Die besten Bäcker Avredos tischten ihr damals beinahe täglich die verschiedensten Kreationen auf – von den ausgefallensten Süßkuchen bis hin zu deliziösen, herzhaften Pasteten. Sie durfte so viel davon essen wie sie wollte. Heute widerte sie dieser Geruch allerdings nur an, denn der Eintopf vom Vortag lag ihr noch immer schwer im Magen. Ich glaube, ich verzichte heute auf ein Frühstück. Mein Geldbeutel würde sich auch darüber freuen. Dem gerade anwesenden Bäcker und Aetas nickte sie nur knapp zur Begrüßung zu und verließ dann das Schmetterlingsnest.

Als Saia den Weg betrat, musste sie die Augen zusammen kneifen. Vielleicht haben mir die vielen Stunden in der kleinen Kammer doch nicht so gut getan. Schnell gewöhnte sie sich an den grellen Schein. Bevor sie jedoch die Suche nach dem Dolch ihres Auftraggebers begann, stattete sie dem großen Badehaus Miklans einen Besuch ab. Nur eine halbe Stunde später verließ die Söldnerin das Gebäude wieder. Ihren Blick gen Himmel gerichtet, blies sie der Sonne ein paar Atemwolken entgegen. Rasch stopfte sie ihre nassen schwarzen Haare unter die Kapuze. Nun folgte sie einfach der Hauptstraße, um sich auf dem Rückweg daran orientieren zu können. Auch heute erblühte die Kleinstadt wieder in geschäftigem Gewusel. Saia bemühte sich darum, abseits der Massen zu laufen, doch wie immer blieb sie von der großen Menge misstrauischer Blicke nicht verschont. Sie hatte sich daran gewöhnt und gelernt, das gemeine Volk zu ignorieren. 

Die BegegnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt