Emmy Kapitel 3

52 16 0
                                    

„Ahhhh!", war das erste was ich sagen konnte, bevor ich meine Augen aufschlug und sie fast zugleich wieder zuschlug, denn ich wurde von einem grässlichen, weißen Licht geblendet.

„Ist sie wach?", die Stimme klang irgendwie verzerrt, als wäre sie kilometerweit entfernt. Mein Kopf pochte und erinnerte mich schlagartig wieder an das, was eben passiert war. War es eben, oder gestern, letzte Woche, vielleicht sogar letzten Monat? Ich war mir einfach nicht mehr sicher. Vielleicht hatte ich auch alles einfach geträumt und wenn ich die Augen nun erneut aufschlagen würde, würde ich in mein gemütliches Zimmer, direkt auf die hölzerne Decke gucken, von der ein selbstgebasteltes Universum aus Pappe baumelte. Also öffnete ich die Augen einfach noch einmal. Wieder war da dieses kalte, weiße Licht. Aber diesmal behielt ich die Augen auf. „Jetzt ist sie wach. Ich habe es eindeutig gesehen.", kam es von links. Ich schaute mich in dem Raum um. Die Wände waren kahl und auf der linken Seite gab es ein Fenster, welches von dunkelgrünen Gardinen verdeckt wurde. Nicht gerade meine Lieblingsfarbe. Links und rechts von mir standen Leute. Manche trugen weiße Hosen und Kittel, die anderen einfach nur Jeans. Langsam verstand ich, wo ich war. „Schatz, wie fühlst du dich?", fragte die Person von links, bei der es sich um niemand anderen als meine Mutter handeln konnte. „Ich... ich weiß nicht.", stammelte ich. Alles wirkte so verschwommen und unwirklich. „Kannst du mal versuchen, deinen Kopf zu bewegen?", fragte mich ein Mann im weißen Kittel. Vermutlich war das ein Arzt. Vorsichtig drehte ich meinen Kopf und zuckte vor Schmerzen zusammen. Es fühlte sich an, als würde mein Kopf mit jeder Bewegung zerreißen. „Sieht so aus, als müsste sie wohl noch ein paar Tage hierbleiben.", murmelte der Arzt an meine Eltern gewandt. „Ist es denn sehr schlimm?", wollte mein Vater wissen, der ebenfalls gekommen war. „Ich denke nicht", erklärte der Arzt, „aber ihre Tochter sollte sich die nächsten Wochen nicht zu viel bewegen und auch erst einmal nicht in die Schule gehen. Das war Glück im Unglück, würde ich sagen." Oh nein, dachte ich, ich musste doch Emmy helfen. Wenn sie überhaupt noch am Leben war. Bei dem Gedanken wurde mir übel und mein Kopf fing schlagartig wieder an zu pochen. „Autsch.", zischte ich. Nachdem sich der Arzt verabschiedet hatte und auch noch einige Schwestern das Zimmer verlassen hatten, fragte ich meine Eltern, was passiert war. „Na ja,wir wissen das selbst nicht so genau. Ein Mann hat um ca. 23 Uhr den Krankenwagen gerufen, weil du mit blutigem Kopf vor seinem Haus lagst und dich nicht bewegt hast. Der Krankenwagen hat dich daraufhin hierher gefahren und uns über das Adresschild in deiner Jacke ausfindig gemacht. Du wurdest genäht und hast bis jetzt geschlafen. Wir dachten schon, du würdest überhaupt nicht mehr aufwachen." „Wow ", flüsterte ich. Von all dem hatte ich nichts mitbekommen.
„Und?", fragte meine Mutter mich. „Wie und?" „Na, weißt du wie du um diese Zeit in die Parkstraße gekommen bist, und was du da wolltest? Dein Fahrrad stand nämlich auch an der Hauswand.", meine Mutter sah mir tief in die Augen. Was machte ich nun? Meinen Eltern konnte ich unmöglich die Wahrheit erzählen, denn dann würde Emmy bestimmt in eine Klinik gesteckt werden, obwohl sie doch im Moment viel lieber allein sein wollte. Ich seufzte: „Ich habe mir Sorgen gemacht, um Emmy. Ihr wisst doch, ihre Mutter ist letzte Woche gestorben. Darum bin ich so spät noch zu ihr gefahren. Weil ich keinen Schlüssel für ihr Haus hatte und um diese Zeit nicht an der Tür klingeln wollte, bin ich aufs Dach geklettert, um über die Dachluke in das Haus einzusteigen. Auf dem Weg muss ich wohl abgerutscht sein." „Um Himmels Willen, Ava! Du hättest tot sein können! Ist dir das eigentlich klar?", rief meine Mutter. Auf ihrer Stirn hatten sich Falten gebildet, die ich nur zu gut kannte. Immer, wenn meine Mutter diese faltige Stirn hatte, war sie gerade seeehr sauer oder machte sich große Sorgen. Hoffentlich sind es die Sorgen, dachte ich. Mein Vater sagte gar nichts. „Aber es geht mir doch gut.", erwiderte ich. „Gut?", meine Mutter sah mich entsetzt an, „Du kannst deinen Kopf nicht bewegen und darfst wochenlang nicht zur Schule gehen. Ein riesengroßes Glück hast du gehabt." „Ich weiß, das war dumm von mir.", ich ließ zur Bestätigung meinen Kopf hängen. Wie ich Lügen hasste.

______________________________

Sie raste die Treppe hinauf. So schnell war sie noch nie gelaufen, erst recht nicht in einem Gebäude mit einem gut funktionierenden Aufzug und mit einer tonnenschweren Schultasche auf dem Rücken. Gleich zwei Stufen übersprang sie, und wäre am Ende der Treppe beinahe mit einer Putzfrau zusammengestoßen, die gerade mit ihrem Wagen an der Treppe vorbeilief. „Bist du wahnsinnig?", rief sie hinter ihr her und lief kopfschüttelnd den Gang entlang. „'Tschuldigung!", hatte sie ihr schnell hinterhergerufen und sich auf die Suche nach Zimmer Nummer 25 gemacht. Nach einigen Minuten fand sie das Zimmer und klopfte vorsichtig an. Eigentlich durfte Ava jetzt noch keinen „fremden" Besuch empfangen, aber das war ihr egal. Am Empfang hatte sie sich als Avas Schwester ausgegeben. Ava und sie sahen sich eigentlich auch ziemlich ähnlich. Strohblonde und leicht gewellte Haare bis zur Schulter und beinahe die selben blau-grünen Augen. Nach einem leisen „Herein" öffnete sie behutsam die Tür und trat ein.

______________________________

Neugierig schaute ich zur Tür und staunte nicht schlecht, als Sarah völlig außer Atem das kleine Zimmer betrat und ihre Schultasche auf einem leeren Stuhl abstellte. „Was machst du denn hier?", fragte ich fröhlich. „Wenn unsere Lehrerin uns schon sagt, dass du im Krankenhaus liegst, konnte ich ja nicht einfach so nach Hause fahren.", lachte Sarah und kam näher. „Uiuiui, das sieht ja fies aus.", sie deutete auf meinen Kopf. Ich selbst hatte ja noch gar nicht gesehen, wie er nach meinem Sturz gestern aussah. „Aber wie hast du meine Zimmernummer herausgefunden?", wollte ich wissen. „Ich habe eben so meine Tricks.", erwiderte Sarah grinsend. Das war mal wieder typisch für sie. „Wie geht es dir?", erkundigte sie sich. „Ach, mein Kopf tut ein bisschen weh, aber halb so schlimm.", antwortete ich und grinste. „Ein bisschen?" Mama schüttelte lächelnd den Kopf und flüsterte Papa etwas ins Ohr. Daraufhin gingen sie mit einem „Dann lassen wir Euch Mädels mal alleine" auf die Tür zu und versprachen, heute Abend noch einmal nach mir zu sehen und auch meinen kleinen Bruder mitzunehmen. Nachdem sich die Tür geschlossen hatte, atmete ich erleichtert auf. „Mensch ich hab mir solche Sorgen gemacht", erzählte Sarah, „ich dachte erst, Du wärst operiert worden oder so." „Das zum Glück nicht", stellte ich fest, „aber sag mal. Wie hat Emmy eigentlich reagiert, als unsere Lehrerin Euch erzählt habe, dass ich im Krankenhaus liege?" „Gar nicht", sagte Sarah. „Gar nicht?", wiederholte ich ihre Worte. War Emmy denn völlig egal gewesen, was gestern passiert war? War alles jetzt doch ein Traum gewesen? „Na ja, sie war heute gar nicht in der Schule.", klärte mich Sarah auf. „Nicht in der Schule? Warum sagst du das denn jetzt erst? Oh verdammt! Dann hat sie es doch getan.", stammelte ich. In meinem Kopf rasten die Gedanken wie wild durcheinander. Warum hatte sich nur dieser verdammte Dachziegel gelöst? Es war alles meine Schuld. „Was hast du denn", fragte Sarah besorgt, „und was ist überhaupt passiert. Hatte das etwa etwas mit Emmy zu tun?" „Ja", murmelte ich. „Ich hab's geahnt.", kam zurück. Dann erzählte ich meiner Freundin die ganze Geschichte. Es tat so gut, jemandem endlich die ganze Wahrheit zu erzählen. Während ich erzählte, kamen mir die Tränen und ich musste immer wieder neu ansetzen, weil mein Kopf das einfach nicht mehr aushielt. Am Ende meiner Erzählung war ich völlig fertig und Sarah kreidebleich. „Was dir alles hätte passieren können", überlegte sie nach einiger Zeit, „glaubst du Emmy hat wirklich versucht sich... na ja du weißt schon." Ich zuckte nachdenklich mit den Schultern: „Es sah auf jeden Fall verdammt danach aus. Und sie hatte noch irgendeinen Kristall in der Hand. Aber den konnte ich nicht richtig erkennen, ich hatte viel zu viel Angst um sie." Eine Weile sagten wir gar nichts. Danach fasste Sarah einen Entschluss. „Ich fahre jetzt zu ihr. Nur um zu gucken, ob es ihr gut geht. Wenn alles in Ordnung ist, dann melde ich mich heute nicht mehr bei dir. Wenn nicht", sie machte eine kurze Pause, „dann fahre ich noch heute Abend zu dir, um mich mit dir zu beraten." Meine Augen füllten sich wieder mit Tränen und ich stotterte: „E-einverstanden. Aber bitte, bevor meine Familie kommt. Sie dürfen von all dem auf gar keinen Fall etwas mitbekommen. Sonst sind wir alle geliefert." Das Mädchen nickte: „Du kannst dich auf mich verlassen."

EmmyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt