"Ja, die Luzia braucht immer eine Extrawurst."
Hallo, mein Name ist Luzia*, ich bin 20, behindert, psychisch krank, chronisch krank, ein komischer mitteleuropäischer Mix und lebe in der Twillight Zone. Ich bin nicht offensichtlich behindert, nicht offensichtlich psychisch krank, nicht offensichtlich chronisch krank und auch nicht sichtbar „ausländisch".
Seit ich 16 bin, habe ich eine schwere Autoimmunerkrankung, ein unfassbar seltener Gendefekt. Vielleicht wird er mal nach mir benannt, drückt mir die Daumen. Ich habe etwas, das wohl eine ALPD (autoimmune lymphoproliferative-ähnliche Erkrankung) ist, so genau wissen das meine Immunologen und Hämatologen nicht.
Grob aber geht Folgendes in meinem Körper ab: Mein Immunsystem greift sich selbst an, deshalb sind meine Leukozyten unterentwickelt beziehungsweise sterben keinen natürlichen Zelltod. Dadurch sind meine Lymphknoten, Milz und Leber einem Dauerbeschuss ausgesetzt. Friendly fire, 360 no scope. Das zieht so viel Energie, dass ich chronisch erschöpft bin (Fatigue-Syndrom) und mich schlecht konzentrieren kann. Es fehlt Energie für den Arbeitsspeicher, das Kurzzeitgedächtnis, ich fange an zu lallen, wenn ich zu erschöpft bin oder schlafe einfach ein.
Meine chronische Erkrankung hat Auswirkungen auf meine kognitive Leistungsfähigkeit, ich bin also „geistig behindert" ohne dem typischen Bild zu entsprechen. Ich nehme Medikamente wie jemand mit Spenderorgan, damit mein Immunsystem sich nicht weiter abstößt, sodass ich Lymphknotenkrebsbingo spiele und einmal im Jahr außerplanmäßig im MRT stecke, weil eine Gruppe Lymphen nach Krebs aussahen. Darauf kann man Wetten abschließen. Tue ich auch. Der aktuelle Kurs liegt bei 2:1 für die Lymphome. Dazu kommt, dass mich eine Grippe Schach Matt setzen kann.
Ansonsten habe ich Migräne mit Aura, Asthma, eine Gerinnungsstörung und bin psychisch krank ohne feste Diagnose (von Asperger bis Borderline war schon alles dabei). Man sieht mir meine Handicaps nicht an, zumal ich in den letzten 4 Jahren Techniken entwickelt habe, um sie zu kaschieren. Dennoch ist es nicht verhinderbar davon Freunden oder Lehrern zu erzählen. Irgendwie ist man ja behindert, auf Papier und in vielen Alltagssituationen, aber man sieht es nicht und fühlt es nicht immer. Die körperlich-geistige Twillight Zone.
Dazu kommt ein so verwirrender Stammbaum, dass nicht mal meine Eltern durchblicken. Meine Mutter ist halb Ungardeutsche, halb Engländerin, mit englischem Pass und schottischer Verwandtschaft, aber in Deutschland geboren. Mein Vater ist zur Hälfte deutsch, zu einem Viertel Polnisch, zu einem Viertel tschechisch, allerdings ist der deutsche Teil nicht ganz geklärt, weil sich das Gebiete, aus dem sein Vater stammt, im heutigen Polen befindet. Er wird gerne mal von Kroaten oder Slowenen für einen Landsmann gehalten. Mein Uropa pflegte zu sagen: „In Pol[e]n hom [haben] ma [wir] drai [drei] Haiser [Häuser] kappt [gehabt]. A kleens [ein kleines] Ha[u]s, a groß' Has un a Scheißhas."
Ich lebe also zwischen den Welten, nicht Ausländerin, aber dennoch zerrissen zwischen den Wurzeln meiner Eltern. Man weiß irgendwie, dass man nicht hier her gehört, aber man gehört auch nicht in die Länder seiner Vorfahren. Ich fühle mich als Europäerin und als Deutsche, aber gleichzeitig will ich meine Wurzeln erforschen und zu ihnen stehen. Die kulturelle Twilligth Zone.
Ich kann es mir meistens aussuchen, ob ich das alles über mich Preis gebe, und die Veränderungen in meinem Umfeld, die daraufhin passieren, sind manchmal witzig, manchmal traurig, aber meistens beunruhigend, denn sobald ich „die Engländerin" bin, oder der „Spasti", bin ich ein andere Mensch, nicht mehr Luzia.
Ich kann euch aber mit 100 davon hoffentlich trotzdem zum Lachen oder Nachdenken bringen.
Schreibt gerne über eure Erfahrungen mit Rassismus oder Diskrimminierung in den Kommentaren, oder in einem eigenen 100 days of-Projekt!
Hier Accounts mit weiteren 100 days of-Projekten:
roselillae
alterade
onflowers
thewordnamedfreedom*ich heiße nicht wirklich Luzia, wurde aber von einer lieben kroatischen Oma so genannt und werde das hier beibehalten. Mein echter Name ist ein bisschen komplizierter, schwerer auszusprechen und zu schreiben. Probleme mit meinem Geburts- und Vornamen wären mehrere Kapitel wert, allerdings möchte ich die auf Grund meiner Privatsphäre großteils außen vorlassen.
DU LIEST GERADE
100 Days of Twilight Zone
Non-FictionCN: • Suizidalität • Psychische Erkrankungen • Krankenhäuser und Kliniken • Homo- und Transphobie "Stell dich mal nicht so an." "Ach, das bisschen Kopfweh." "Ach Sie sind behindert? Das sieht man ja gar nicht!" Ich habe gleich mehrfach abgesahn...