Ich habe es wieder getan

60 7 2
                                    

Ich habe es wieder getan. Wieder habe ich mich im Bad eingeschlossen. Wieder sitze ich auf dem kalten Fliesenboden angelehnt an der ebenso kühlen Wand und schaue, wie sich die rote Schlieren auf meinem Arm allmählich vergrößern. Der Schmerz ist ein Zeichen der Bestätigung. Der Genugtuung. In meiner rechten Hand befindet sich noch immer die silbrige Klinge. Ich zittere gerade am ganzen Körper. Kraftlos. Den Stimmen im Kopf ergeben. Mir ist übel. Kein Wunder bei dem ganzen Blut. Ich bin ja selber schuld.
Ein Teufelskreis ist das. Kein entrinnen möglich. Die Stimmen im Kopf werden laut, sobald ich zu Hause bin. Sie schreien förmlich nach der Klinge. Nach Schmerz und Blut. Wenn man ihnen nicht gehorcht werden sie immer lauter. Im Moment sind sie still. Wie immer, wenn ich ihnen gefolgt bin, mich ihnen ergeben habe. Gefangen in den eigenen Gedanken. Nie habe ich darüber versucht zu sprechen. Zu groß ist die Angst auf Unverständnis zu stoßen. 
Langsam stehe ich auf. Gehe zur Tür und drehe den Schlüssel in Zeitlupe. Immer noch etwas benommen gehe ich in mein Zimmer. Anstatt den Gedanken mehr Raum in meinem Gehirn zu geben, den sie einnehmen könnten, verdränge ich lieber alles und lerne für die nächsten Tests und arbeiten. Das hilft. Wenigstens meistens.
Einem ›Ich kann nicht mehr‹ meines Körpers schenke ich kein Gehör mehr. Das weiß ich und kann es trotzdem nicht ändern. Zu groß ist der Druck in der Schule, zu groß ist die Angst, dass jemand mitbekommt, wie es mir "wirklich" geht. Von Freunden werde ich als ehrgeizig, nahezu perfektionistisch in meinen Tun dargestellt. Das reicht nicht. Für mich ist es immer noch nicht genug. Ich muss beweisen, dass ich es besser kann, um mir selber wieder zu gefallen.


Rote TränenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt