12. 𝑬𝒊𝒏𝒆 𝒔𝒄𝒉𝒓𝒆𝒄𝒌𝒍𝒊𝒄𝒉𝒆 𝑼𝒏𝒕𝒂𝒕

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Es ist wohl verständlich, dass ich in dieser Nacht kein Auge zubekomme. Allein der Gedanke daran, dass ein Wolf nebenan wohnt, macht mich nervös. Allerdings nicht aus Angst, eher aus Neugier.
Während ich mich unruhig auf der Matratze wälze, überlege ich ob er mich wohl hören kann? Wie gut sind seine übermenschlichen Sinne durch Wände und Türen?

Ich schüttle meine Gedanken ab und drehe mich auf den Bauch. Mein Gesicht vergrabe ich im Kissen und stöhne genervt. Der Schlaf will einfach nicht kommen.
Gegen Drei Uhr stehe ich auf, weil ich es leid bin darauf zu warten endlich schlafen zu können, während mich ständig meine Gedanken überrollen.

Nachdenken kann ich auch, wenn ich auf bin. Also mache ich mir einen Kaffee und schalte alle Lampen im Wohnraum an. Es ist zwar eigentlich nicht hell genug für Künstleraugen, aber trotzdem baue ich meine Staffelei auf und bereite ein paar Farben vor. Was soll ich auch sonst machen um diese Uhrzeit? Fernsehen und Radio wären zu laut und raus gehen möchte ich im Dunkeln nicht.

Wobei ein wenig frische Luft nicht schaden könnte. Also mache ich noch die Balkontür auf und genieße die Kühle Brise, die mir entgegen weht.
Im selben Moment bemerke ich eine Gestalt einige Meter vor dem Haus.
Ein Junge, nicht älter als sechzehn steht dort und schaut zu mir hinauf. Er trägt kurze Hosen und ein zerrissenes Sweatshirt mit Kapuze, die er sich über den Kopf gezogen hat. Dennoch erhellt das Licht der Straßenlaterne sein Gesicht.

Was macht ein Kind um diese Uhrzeit noch hier draußen? Es ist mitten in der Nacht.
Der Junge sagt nichts und rührt sich auch nicht. Erst als ich neben mir etwas flattern höre, wende ich meinen Blick von dem Jungen ab und schaue zu Erons Balkon hinüber. Vor Schreck hätte ich mich fast verschluckt. Die gesamte Balkonumrandung ist voll mit schwarzen Krähen.

Wieso bemerke ich sie jetzt erst?
Als ich die Tür geöffnet habe, hätte ich sie hören oder sehen müssen. Es ist, als wären sie vorher nicht dort gewesen.
Wie merkwürdig.
Ich sehe wieder zu dem Jungen hinunter, der plötzlich direkt unter meinem Balkon steht. Auch das habe ich nicht bemerkt. Wann ist er dorthin gegangen?

Das ist echt unheimlich.
„Verschwinde, Toulouse, du machst ihr Angst."
Das ist Eron, der in diesem Moment hinaus auf seinen Balkon tritt.
Er kennt den Jungen also. Doch wer ist das?

„Eron, du musst nach Hause kommen. Sira will mit dir sprechen."
„Und warum kommt sie dann nicht selbst zu mir?"
„Sie fürchtet du könntest ihre Absicht falsch verstehen und denken, dass sie hinter ihr her ist."
Meint er mich damit?
„Außerdem weißt du doch, dass sie keinen Fuß in die Stadt der Menschen setzt."

„Das sah vorhin aber ganz anders aus", knurrt Eron und verjagt damit die Krähen, die laut protestierend wegfliegen.
„Wir haben nur das getan, was wir immer tun. Sie hat die Grenze überschritten."
„Sie wusste es nicht besser", verteidigt Eron mich.
„Doch, du hast sie schließlich mehrmals gewarnt."
Eron wird wütend.
„Wie lange beobachtet ihr mich schon, Toulouse?

„Du weist warum wir das machen. Sieh dich doch mal um. Jeden Tag werden es mehr Krähen und du ignorierst das einfach."

„Lass die Krähen aus dem Spiel. Sira will doch bloß verhindern, dass ich Erfolg habe. Sag ihr: Ich lasse mich nicht aufhalten. Geh, bevor ich deine Anwesenheit auch noch als Vertragsbruch ansehe."

„Was willst du machen, Eron? Dich abermals auf deinen Bruder stürzen?"
„Lasst Nisha in Ruhe! Das ist meine letzte Warnung, Toulouse. Ich werde sie von nun an beschützen. Ist das klar?"
Ich höre den Jungen knurren.
„Du willst einen Menschen beschützen? Wie tief kann man nur sinken. Eines Tages werden dich deine Naivität und dein Glaube noch umbringen. In Anbetracht der vielen Krähen um dich herum wird das wohl sehr bald sein."

ERONWo Geschichten leben. Entdecke jetzt